Gutachten von Johann Kleemann zu § 2 der Anträge der Erzbischöfe und Bischöfe des Kaiserreichs zur Umsetzung des Konkordats
o. O. [Wien], o. D. [1856]
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Regest

Der § 2 des Antrags der Erzbischöfe und Bischöfe widmet sich der Organisation der Knabenseminare. Der Episkopat betont zunächst, dass es große Unterschiede bei den verschiedenen Knabenseminaren gäbe. Grundsätzlich möchten die Bischöfe aber eine Angleichung an die staatlichen Gymnasien vornehmen. Dies betrifft auch die Anerkennung von Zeugnissen.
Johann Kleemann bestätigt zunächst die Feststellung der Bischöfe. Er führt dann aus, dass die Unterschiede zwischen den kirchlichen und staatlichen Schulen sowohl deren Ausrichtung und Funktion als auch die Dauer der Ausbildung betreffen. Kleemann weist dann darauf hin, dass es vereinzelt schon Verhandlungen für eine Reform gegeben habe, eine Vereinheitlichung stünde allerdings noch aus. Einzig die Frage hinsichtlich der Aufnahmebedingungen in Knabenseminare sei bereits geklärt. Demnach müssten nach der Meinung Kleemanns nun besonders die Bedingungen geklärt werden, wie eine Angleichung zwischen kirchlichen und staatlichen Gymnasien erfolgen könne.

Anmerkungen zum Dokument

Das Gutachten ist mit weiteren 18 Gutachten unter der Signatur A3 XXI D383 abgelegt.1

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000B-DBEC-5

Schlagworte

Edierter Text

II.
Die Seminarien, deren Gründung das heilige Conzilium von Trient angeordnet hat, haben sich nicht auf den Unterricht in der Theologie zu beschränken, sondern sollen auch dazu dienen, um Knaben, welche sich dem geistlichen Stande zu widmen wünschen, in jenen Gegenständen zu unterrichten, welche für jeden wissenschaftlicher Bildung bedürftigen Lebensberuf als Vorbereitung dienen. In einem Theile des Kaiserthumes haben die bischöflichen Seminarien wirklich diese Ausdehnung, in anderen Diözesen bestehen Knabenseminare, welche den theologischen als Ergänzung und Vorschule dienen, und die versammelten Bischöfe erkennen es als dringend nothwendig, daß der heilsamen Anordnung des Konziliums überall, sei es durch Erweiterung des bisherigen Seminares oder durch Hinzufügung eines Knabenseminares genügt werde. In Betreff der so wünschenswerthen Unterstützung muß alles der Großmuth Seiner Majestät überlassen und nur bemerkt werden, daß diese Gründungen einen ausgezeichneten Anspruch auf huldreiche Berücksichtigung haben.
Da künftig die Heranbildung der Geistlichkeit von der Kirche allein wird geleitet und beaufsichtiget werden, so wird es den Bischöfen vollkommen überlassen bleiben, den Unterricht in den Gymnasialfächern, in soweit derselbe zur Vorbereitung der theologischen Studien dient, nach eigenem Ermessen einzurichten. Allein der Priester bedarf nicht nur jener Vorkenntnisse, welche für die Theologie selbst unentbehrlich sind, sondern es soll ihm auch keine Kenntnis fehlen, welche nach Maßgabe der Zeit und des Volkes jeder Mann von Bildung zu besitzen pflegt. Schon dadurch müssen die Bischöfe sich aufgefordert fühlen, den Gymnasialunterricht in ihren Gymnasien so einzurichten, daß er in allem, was die wahre Wissenschaft vorbereitet und fördert, mit dem der öffentlichen Gymnasien wetteifern könne. Hiezu kömmt noch eine andere Rücksicht. Die Zöglinge des bischöflichen Seminares können ihre dem geistlichen Stande zugewendeten Wünsche ändern und sich einem anderen Berufe zuwenden, und es ist zu wünschen, daß die Freiheit ihres Entschlusses durch keine, auch nicht durch eine mittelbare Nöthigung beirrt werde. Durch das Konkordat ist dafür gesorgt, daß die Zöglinge der bischöflichen Seminare, nachdem sie ihre Befähigung durch eine Prüfung ausgewiesen haben, bei jeder anderen Lehranstalt Aufnahme finden werden. Es ist jedoch überall, vorzüglich aber unter den besonderen Verhältnissen, welche in den Kirchenprovinzen Mailand und Venedig obwalten, sehr zu wünschen, daß die Zeugnisse der bischöflichen Gymnasiallehrer denen der Staatsgymnasien gleichgestellt werden. Dabei handelt es sich nun allerdings auch um die Fähigkeit zu Anstellung im Staatsdienste, deren Bedingungen die Staatsgewalt vorzeichnet, indessen dürfen die versammelten Bischöfe hoffen, daß die Wünsche und Anträge, welche die Bischöfe, in deren Seminarien der Gymnasialunterricht ertheilt wird, darüber vorlegen, wohlwollende Beachtung finden werden.

a. § II. die Knabenseminarien betreffend:
"Der gegenwärtige Stand der Frage ist in Beziehung auf den ganzen Umfang des Reiches mit Ausschluß des lombardisch-venezianischen Königreiches darzustellen und die Äußerung zu erstatten, ob im Hinblicke auf denselben die vorliegenden Eingabe zu einer Bemerkung oder Verfügung Anlaß gebe."

Votum:
Sowohl der Ausdehnung als der Einrichtung nach besteht gegenwärtig eine Verschiedenheit unter den Knabenseminarien. In ersterer Hinsicht giebt es einige, die den theologischen Seminarien als Ergänzung und Vorschule dienen, meistens unter dem Namen "philosophische Hauslehranstalten" (wie in Bruneck für die Kapuziner, in Görz für die Franziskaner, in Martinsberg für die Benediktiner, in Agram, Neutra, Spalato als Institute des Diöcesanordinarius. Außer den Genannten ist hierorts über kein anderes verhandelt worden.) Andere sind wieder als achtklassige Gymnasien eingerichtet oder sollen es werden. (Marienschein [Bohosudov], Freienberg bei Linz).
Der Einrichtung nach, was nämlich den Lehrplan anbelangt, sind jene zu Martinsberg, Castagnavizza [Kostanjevica] bei Görz, am Freienberg bei Linz den bezüglichen Klassen der öffentlichen Gymnasien mit größerer oder geringeren Abweichung gleichgestellt.
Die Knabenseminare zu Laibach (bestand schon vor dem Jahre 1848), dann zu Budweis (Akt 15542 55) und zu Prag (Akt 16126 55) sind mehr Convikts- und Erziehungsanstalten zu nennen, deren Zöglinge öffentliche Schüler des Ortsgymnasiums sind und aller Rechte und Vortheile der öffentlichen Schüler theilhaftig werden. Dies war auch bis zum Schluße des Schuljahres 1856 der Fall bei dem Knabenseminar zu Graz; mit Beginn des Schuljahres 1856/57 wurde häuslicher Unterricht eingeführt, worüber bedeutet wurde (Akt 16728 56), daß das Knabenseminar als kirchliches Institut der Inspektion des Schulrathes nicht unterliege und daß die Zöglinge, wenn sie giltige Zeugnisse erwerben wollen, als Privatisten, die keinen Anspruch auf Erlangung von Stipendien haben, zu behandeln sind.
Die Kleriker der Hauslehranstalt zu Martinsberg unterziehen sich regelmäßig den Maturitätsprüfungen zu Raab.
Knabenseminare, über welche hierorts eine Verhandlung derart gepflogen wurde, daß dieselbe zu einer bestimmten regelnden Entscheidung gelangte, sind nur folgende:
1. die Hauslehranstalt (7. und 8. Klasse) zu Bruneck, zu deren Gunsten eine Modificirung des allgemein vorgeschriebenen Lehrplanes unter einigen Beschränkungen provisorisch gestattet wurde (Akt 2511 54, liegt als Preis bei 13613 55 - noch nicht approbiert - aber auch einzusehen in Normalienbuch 1854, Seite 347).
2. die Hauslehranstalt der Franziskaner zu Castagnavizza bei Görz. Auf Grundlage der vom Ordensvorstande und dem Erzbischofe gestellten Anträge wurden die Verhandlungen dahin abgeschlossen, daß der Lehrplan der 7. und 8. Klasse der öffentlichen Gymnasien eingeführt werde, mit dem Rechte öffentliche Zeugnisse auszustellen, unter Aufsicht des Gymnasialinspektors (Akt 13857 55).
3. das philosophische Hausstudium zu Agram. Der Erzbischof Kardinal hat in einige Annäherung zu dem vorgeschriebenen Lehrplane eingewilligt; ein Abschluß der Frage ist mit Hinblick auf das mittlerweile abgeschlossene Konkordat, Absatz XVII unterblieben.
4. das Knabenseminar und Gymnasium des Bischofes zu Linz hat das Recht, staatsgiltige Zeugnisse auszustellen und Maturitätsprüfungen mit seinen Zöglingen unter Leitung des Schulrathes abzuhalten, Akt 5702 56.
5. das Knabenseminar des Bischofes zu Leitmeritz. Über dieses Institut allein wurden tiefer eingehende Verhandlungen gepflogen und wurde auch im Einvernehmen des Bischofscomités etc. in Folge allerhöchster Entschließung eine prinzipielle Entscheidung gefällt (Akt 359 54, Normalienbuch Seite 61). Es wurde nämlich vom Bischofscomité die Versicherung erneuert, "daß niemand in die theologischen Studien aufgenommen werden soll, welcher nicht das Ober- und Untergymnasium mit hinreichendem Erfolge zurückgelegt hat, ... es könne der Regierung nicht zugemuthet werden, daß sie den Gymnasialunterricht der Knabenseminare schlechthin und in allen Fällen ausreichend finden sollte, da es wünschenswerth sei, daß der an einem Knabenseminar empfangene Unterricht auch die Befähigung zum Eintritt in das juridische und medicinische Studium mit sich bringe ...".
Es wurde demnach die Frage hinsichtlich der Aufnahme von Kandidaten in die Theologie und des Grades der von ihnen nachzuweisenden Bildung im Grundsatze als erledigt erklärt, dagegen wurde die Frage offen gelassen, welche Einrichtung des Unterrichtes im Knabenseminar und welches Maß der Beaufsichtigung derselben von Seite der Regierung festgesetzt werden soll; bis dahin sollen die bestehenden Verordnungen (über Privatanstalten, RGBl 1850 Nr. 309) in Kraft bleiben.
Diese Bestimmungen waren bisher nur für den Episkopat der deutsch-slavischen Kronländer bindend; mit der vorliegenden Eingabe erklärt nun der Gesammtepiskopat, daß wenn es ihm auch überlassen bleibt, den Unterricht in den Gymnasialfächern nach eigenem Ermessen einzurichten, er sich doch aufgefordert fühle, den Unterricht in seinen Gymnasien so zu bestellen, daß er mit dem der öffentlichen Gymnasien wetteifern könne, damit die Seminarszöglinge nicht gehindert werden, sich auch einem anderen Berufe zuzuwenden, zumal durch das Konkordat dafür gesorgt ist, daß solche Zöglinge, nachdem sie ihre Befähigung durch eine Prüfung ausgewiesen haben, bei jeder anderen Lehranstalt Aufnahme finden.
(Über den Wunsch nach Unterstützung und Berücksichtigung der Knabenseminarien von Seite der Regierung läßt sich schon jetzt nachweisen, daß das Ministerium nach Thunlichkeit jede Schonung und Berücksichtigung in dieser Hinsicht habe eintreten lassen, wie in jüngster Zeit das Gymnasium zu Capodistria [Koper] ein solcher Fall ist.)
Aus den gegebenen Andeutungen dürften sich folgende Bemerkungen ergeben:
a. Die prinzipielle Frage wegen Aufnahme der Kandidaten der Theologie und des Maßes ihrer Vorbildung ist erledigt; sie hätte in den weiteren Verhandlungen als erster Vereinbarungsgrundsatz zu gelten.
b. Die freie Wahl der verschiedenen Modi, nämlich die Seminarszöglinge das öffentliche Gymnasium des Ortes besuchen oder sie als Privatisten einschreiben oder durch häuslichen Unterricht für die Maturitätsprüfungen vorbereiten zu lassen, kann den Bischöfen nicht verwehrt werden.
c. Wo jedoch bischöfliche Gymnasien errichtet werden, wird wohl auch die kaiserliche Verordnung über Privatlehranstalten (RGBl 1850 Nr. 309) im Wesen aufrecht zu erhalten sein, jedoch nicht in durchgängig strenger Anwendung (z. B. Nachweis der Subsistenzmittel?, österreichische Staatsbürgerschaft bei Lehrkörpern aus der Gesellschaft Jesu? u. v. a.)
d. Die Bischöfe erklären sich (explicite in dem citierten Normalienbuch 1854, pag. 61, implicite in der vorliegenden Eingabe) für jenen Modus der Einrichtung des Unterrichtes, wonach ihre Gymnasien sowohl den Rechten als den Verpflichtungen nach den öffentlichen Gymnasien gleichgestellt werden können, jedoch unter gewissen Modifikationen, welche sich beziehen auf den Lehrplan, auf die Prüfung der Lehrer und auf die Form, unter welcher die Regierung sich von der Erfüllung der für den Gymnasialunterricht festgesetzten Bestimmungen zu überzeugen habe.
Darüber nur ist Verhandlung und Vereinbarung nothwendig. Hiebei könnte nur der dem Jesuitenorden vorgeschlagene Vereinbarungsentwurf – mutatis mutandis – zur Grundlage genommen werden.

Kleemann