Alois Cäsar Pavissich an einen Sektionsrat im Unterrichtsministerium
Wien, 22. Dezember 1850
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Regest

Der Priester Alois Pavissich berichtet über den Zustand der Volks- und Hauptschulen in Dalmatien, wobei er zwischen den Schulen der Küstenstädte und jenen der Dörfer unterscheidet. Die Schulen der Küstenstädte seien zwar mit tauglichen Lehrern ausgestattet, allerdings würden die Gegenstände, die sie unterrichten vielfach nicht den Fähigkeiten der jeweiligen Lehrer entsprechen. Pavissich ist zudem überzeugt, dass durch Klüngeleien vielfach schlecht geeignete Lehrer eingestellt würden. Ein weiteres Problem ist aus seiner Sicht, dass sowohl die gelehrten Fächer als auch die Lehrbücher nicht den Anforderungen des Landes entsprächen. Außerdem glaubt Pavissich, dass die Lehre in der Landessprache vernachlässigt werde: Durch den italienischen Unterricht würden die Schüler die illyrische Sprache verlernen und damit werde letztlich auch die Kultur des Landes verloren gehen. Dann geht Pavissich auf die Schulen am Land ein: Die Lehrer dort seien meist schlecht ausgebildet und hätten ein geringes Gehalt. Pavissich bemängelt auch hier die zunehmende italienische Dominanz. Schließlich gibt Pavissich auch einige Vorschläge, wie ein Teil der Probleme gelöst werden könnte: Zunächst müsse die Ausbildung der Lehrer und des Klerus verbessert werden, außerdem plädiert er für eine gewissenhaftere Überwachung der Schulen. Diese Überwachung sollte durch einen fähigen und verlässlichen Schulrat erfolgen. Als möglichen Kandidaten für dieses Amt des Schulrates schlägt Pavissich Georg Marchich, Professor für Dogmatik in Zara, vor.

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Edierter Text

Hochwürdigster Herr Sektionsrath!

Von Euer Hochwürden aufgefordert, meine Ansicht über den gegenwärtigen Zustand der Normalschulen in Dalmazien [Dalmatien] schriftlich zu unterbreiten, will ich dieser ehrenvollen Aufforderung mit jener Gewißenhaftigkeit und wahren Freimüthigkeit nachkommen, welche jeder, der von dem Bewußtsein des dringenden Bedürfnisses heilsamer Reformen in diesem Fache durchdrungen ist, vor allem als Grundsatz annehmen muß.
Zur klareren Auseinandersetzung des Gegenstandes und um dadurch einen festen Grund zur Beurtheilung der nöthigen Reformen zu legen, ist es nothwendig die Normalschulen der Seestädte wohl zu unterscheiden von jenen der zwischen den Bergen gelegenen Marktflecken und Dörfer in derselben Provinz. Um mit den ersten zu beginnen, muß ich gestehen, daß es bei jeder Hauptschule tüchtige Männer gibt; allein die Gegenstände, aus welchen sie Unterricht ertheilen, sind den individuellen Kräften nicht angemessen und somit das Ziel verfehlt.
Die Hauptschulen von Zara, Spalato, Ragusa und Cattaro sind genügend gut mit Lehrern versehen. Eben so gibt es taugliche Individuen in den Schulen von Sebenico, Traù [Trau], Makarska, Lesina und Eurzola; allein jene Lehrer können allein tüchtig genannt werden, welche in dem Fache, in welchem sie Unterricht ertheilen, Genügendes leisten; ein ausgezeichneter Filosof kann zugleich ein erbärmlicher Lehrer für die erste Normalklasse sein; und außerdem nützen auch die besten Lehrer nicht viel, wo der Plan, das System und die Art und Weise des Unterrichtes nicht den Bedürfnissen der Jugend und der Provinz im Allgemeinen angemessen ist.
1. Für die Schulen von Dalmazien waren dieselben Gegenstände, ja selbst dieselben Lehrbücher vorgeschrieben wie für die Schulen im lombardisch-venetianischen Königreiche. Die Bedürfnisse des Lombarden oder Venezianers, die Natur des Volkes sind ganz verschieden von jener der Dalmatiner. Es müssen daher bei den beiden Nationen verschiedene Mittel zur Bildung derselben angewendet werden.
2. Bei der Wahl der Lehrer für die oberwähnten Schulen fanden bisher arge Mißbräuche und Unzukömmlichkeiten statt. Viele Würdige wurden übergangen, um andern Platz zu machen, die von den Inspektoren der Distrikte und Diözesen begünstigt wurden. Dies waren seit jeher große Übelstände und es kann denselben nur dadurch abgeholfen werden, daß zu Distrikts- und Diözesaninspektoren Männer von strenger Gewißenhaftigkeit und den diesem wichtigen Posten entsprechenden Fähigkeiten gewählt werden.
3. Die Gehalte der Lehrer von jenen Schulen sind nicht verhältnismäßig vertheilt gewesen; die Lehrer der dritten Classe mit 350, 400 und 450 fl (je nach den verschiedenen Städten) konnten allerdings anständig leben. Dennoch nahmen mehrere, nicht zufrieden mit jener Besoldung, zu Repetizionsstunden ihre Zuflucht und nicht geringe Mißbräuche und Ungerechtigkeiten entstanden durch derartige Spekulationen. Unmöglich aber können die Lehrer der zwei untersten Classen mit 250 und 200 fl sich anständig durchbringen, ohne die Gerechtigkeit, die sie bei Ausübung ihres Amtes immer vor Augen haben sollten, zu verletzen? Daher entsteht der Verfall des guten Namens und des Ansehens bei dem Landvolke und das fortwährende Bestreben, sich durch andere Mittel eine angenehme Existenz zu verschaffen.
4. Daß die Normalschulen der Provinz von den bischöflichen Ordinariaten der Diözesen abhängig sind, daß die Volksschulen von den Bischöfen geleitet werden, halte ich für eine höchst ehrwürdige Einrichtung und bin innerlich überzeugt, daß man die Erziehung des christlichen Volkes keinen würdigeren Händen anvertrauen könne. Aber Ihnen gegenüber, hochwürdiger Herr Sectionsrath, erlaube ich mir mit aller Freimüthigkeit zu sprechen, wie sie ein erleuchteter Christ gleich dem Ihrigen voraussetzt. Es waltet keine Zweifel darüber, daß unsere Bischöfe Männer von vortrefflichem Herzen und von wahrer musterhafter Tugend sind; allein intellektuelle Fähigkeiten sind nicht immer mit moralischen Vorzügen gepaart.
Denn ich habe oft gesehen, von welch nachtheiligem Einfluß auf die Schulenangelegenheiten [sic!] oft die schlimmen Rathgeber und unwürdigen Räthe sind, denen so mancher Bischof sich unbedingt überläßt, entweder aus eigener Unfähigkeit, aus Unkenntnis oder in blindem Vertrauen, welches leider oft Unwürdigen geschenkt wird und das Ansehen der Bischöfe beim Volke zerstört. Auch jene Räthe sind wieder von ehrgeitzigen und falschen Freunden umgeben, so daß Angelegenheiten, die mit Ruhe und Gerechtigkeit betrieben werden sollten, ein Kampfboden für Neid, Eifersucht und Privatrache werden. Nach dieser meiner kurzen Andeutung mögen Euer Hochwürden Herr Sectionsrath das dringende Bedürfnis erkennen bei der Bestimmung der Diöcesanschulenauktoritäten für unsere Provinz sehr vorsichtig zu Werke zu gehen, nicht etwa, als ob über den guten Willen der erlauchtesten Bischöfe ein Verdacht obwaltete, sondern weil die Schulen sehr oft von deren Rathgebern geleitet werden, welche ihr Vertrauen mißbrauchend oft die Gerechtigkeit verletzen.
5. In den Schulen Dalmaziens würden viel reißendere Fortschritte gemacht werden, wenn man nicht die Landessprache vernachlässigen würde. Nicht alle, welche die Normalschulen besuchen, sind bestimmt, ihre Studien auf den Gymnasien oder Universitäten fortzusetzen. Das Land bedarf Leute, welche in den Normalschulen Lesen, Schreiben, Religion, Rechnen etc. gelernt haben und nach Beendigung dieses Lehrkurses zu ihren Familien zurückkehren und vom Ackerbau, von dem Handel und der Schifffahrt leben und ihre in den Schulen erworbenen Kenntnisse zur Vervollkommnung dieser Zweige zum Besten der Provinz anwenden. Was wird gegenwärtig meistens aus den Knaben unserer Normalschulen? Sie vergessen die illyrische Sprache, weil der Unterricht durchgehends italiänisch ist, sie gewöhnen sich an die Stadtsitten und schämen sich nach beendeten vier Normalschulen zu den Gewerben ihrer Eltern zurückzukehren oder sie kehren verderbt dahin zurück, zum Skandal und Verderben für andere. Und wenn sie auch zu ihrer Familie zurückkehren, haben sie nicht hinreichende Kenntnisse, zum Besten derselben zu wirken, ihre eigenen Fähigkeiten zu erweitern und alles dies kömmt daher, weil das Studium der Ackerwirthschaft, des Handels, des Seewesens vernachläßigt wurden; Zweige, welche mit großem Eifer und von tüchtigen Lehrern betrieben werden müssen, woran man bis jetzt sehr wenig dachte.
Die Volksschulen sollen den moralischen, intellektuellen und ökonomischen Zustand des Landes verbessern. Zu diesem Zwecke erheischen sie Anordnungen, welche den Bedürfnissen der einzelnen Provinzen angemessen seien, ein Fehler, der erst dann verbessert wird, wenn man für jede Provinz einen Mann von strenger Gewißenhaftigkeit und der das volle Vertrauen des Ministeriums genießt, gefunden hat und seine Vorschläge von der Regierung sorgfältig thätig unterstützt werden.
Nach Betrachtung dieser Umstände, welche den langsamen Fortschritt der Normalschulen in den Städten Dalmaziens begründen, will ich Ihnen, hochwürdiger Herr Sectionsrath, den Zustand der Schulen in den Gebirgen der Provinz schildern.
1. Das eigentliche dalmatische Volk darf man nicht in den Seestädten suchen. Mit Ausnahme der Inseln gibt es wenige Seeorte in Dalmazien, wo sich das reine illyrische Idiom unter dem Volke erhalten hat, und auch die einfache, freie, offenherzige Natur des dalmatinischen Städtebewohners ist durch die italiänischen Sitten verdorben worden, welche während der venetianischen Republik sich im Übermaße unter den dalmatinischen Seeleuten eingeschlichen, durch die Vermischung unzähliger italiänischer Familien mit dalmatinischen, durch die italiänische Einrichtung, die man den Schulen gab, und durch die ausländische Erziehung, welche Jünglinge unseres Landes außerhalb ihrer Heimath erhielten. Daher kam es, daß der am Meer gelegene Theil Dalmaziens ganz zu einer italiänischen Provinz ward, eine Umgestaltung, von welcher die Regierung beurtheilen möge, ob sie vortheilhaft oder nachtheilig für die Einheit und Festigkeit der Monarchie sei. Ich meinestheils halte sie für nachtheilig und glaube, da man alles mögliche thuen sollte, um zu verhindern, daß dieses fremdartige Element tiefere Wurzel fasse unter einem Volk, welches die Gesetze achtet und bereit zu jedem Opfer ist, wodurch das Wachsen und Gedeihen der Monarchie erzweckt wird. Welche sind nun die Mittel, die man bisher vorzüglich angewendet hat zur Erziehung eines Volkes, welches rein dalmatisch erhalten werden sollte, indem ich unter dem Namen Dalmatier einen Inbegriff aller jener Tugenden verstehe, die jeder treue Unterthan und wahre Vaterlandsfreund im Herzen tragen soll?
2. Es wurden unfähige, armselige, fahrlässige Lehrer gewählt. Die Lehrer, welche man für Landschulen hielt, hatten kaum erst die dritte Normalklasse absolvirt. Sie wußten nicht, welche die Bestimmung eines guten Bürgers seien, welche Tugenden ihn auszeichnen, welche Mittel zum Gedeihen des Landes, der Familien, der Städte, des Volkes gewählt werden müßten; und doch wurden sie zum Unterrichte des Landvolkes gesendet. Sie waren unwißend in der Religion und sollten dieselbe den Kindern des Landvolkes lehren. Sie selbst konnten nicht gut lesen und schreiben und sollten andere darin unterrichten. Von solchen Lehrern wurde die Jugend eher verdorben als geleitet und erbaut. Aber diese Lehrer waren nicht nur unfähig, sondern auch arm. Der Lehrer soll so anständig leben, daß er andern als Muster dienen könne. Er muß mit allen Subsistenzmitteln versehen sein, um nicht zu Privatunterstützungen, der Quelle unzähliger Ungerechtigkeiten und Unzukömmlichkeiten, seine Zuflucht nehmen zu müssen. Was sind hundert Gulden für einen armen Landschullehrer? Und diese karge Besoldung war die Ursache, daß man nur unfähige, zu nichts besserem taugliche Lehrer fand, indem niemand, der zu Besserem befähigt ist, sich einige Jahre in eine entlegene Landschule, entfernt von seiner Familie, begeben wird um einen so spärlichen Lohn. Noch mehr; die Art und Weise, Lehrer des Landvolkes zu bilden, war falsch und lächerlich. Sie mußten durch sechs Monathe einen Lehrkurs der Methodik und Erziehungskunde frequentiren. Nach dessen Beendigung wurden sie angestellt. Ist vielleicht eine vernünftigere und reifere Vorbereitung minder nothwendig, um ein verdummtes unwißendes Volk, als um Kinder der Städter zu erziehen, welche vielleicht schon einen vollständigeren Unterricht genossen haben, nämlich den ihrer Familie, ihrer eigenen Eltern? Die Unfähigkeit und Armuth der Lehrer hat auch zur natürlichen Folge ihre Fahrläßigkeit im Unterricht. Unglücklicherweise kam zu dieser Fahrläßigkeit der Lehrer noch der Ehrgeitz und die Auszeichnungssucht einiger Schulinspektoren und Direktoren, denen nichts an den Fortschritten der Schulen zum Besten des Volkes, sondern alles nur daran lag in ihren jährlichen Berichten an die Regierung herauszustreichen, wie sie in wenigen Monathen fünfzehn, zwanzig Schulen gegründet hatten, ohne sich bei der Wahl der Mittel zur Befriedigung ihres Ehrgeitzes lange zu bedenken.
3. Diesen unermeßlichen Übelständen könnte meiner Ansicht nach nicht besser abgeholfen werden, als
I. durch eine sorgfältigere Heranbildung der zu den Lehranstalten bestimmten und indem man besser für sie sorgt.1
II. durch eine angemessenere Erziehung des Clerus in Dalmazien.
III. durch eine gewißenhaftere Überwachung des Fortgangs der Schulangelegenheiten von Seite der Districtsinspektoren und Direktoren.
In Betreff der zwei ersteren Bedürfnisse erachte ich es überflüßig Ihnen hochwürdiger Herr Sectionsrath den Weg zur Abhülfe für dieselben anzugeben, indem Ihre Kenntnisse und Erfahrungen dazu gewiß die passendsten Mittel finden werden; mein Vortrag beschränkt sich nur auf eine Darstellung des gegenwärtigen Standes der Dinge und der vorzüglichsten Ursachen der Übelstände. Aber in Betreff des dritten Punktes, „der gewißenhafteren Überwachung des Fortgangs der Schulangelegenheiten“, wage ich als den einzigen Weg dazu die Wahl eines ausgezeichneten Schulrathes und obersten Leiters vorzuschlagen für die Normal-, Volks- und Landschulen der Provinz. Es ist mir bekannt, daß die Absicht des Ministeriums dahin geht, aber ich glaube freimüthig meine Ansicht über die Wahl dieses Individuums aussprechen zu dürfen. Ich kenne gegenwärtig wenige zu einem solchen Posten befähigte Dalmatiner; aber einer ist mir bekannt, der alle Vorzüge in sich vereint, diesen Posten würdig zu vertreten. Es ist der Professor der Dogmatik im Seminar zu Zara, der hochwürdige Herr Georg Marchich, Diözesan von Spalato; ein Mann von 35 Jahren, ausgezeichneter Moralität und guter politischer Gesinnung, tiefer Gelehrsamkeit, strenger Gewißenhaftigkeit, Kenner der illyrischen, italiänischen, deutschen, lateinischen, französischen und griechischen Sprache, gründlich vertraut mit den Zuständen der Provinz und ihren Bedürfnissen, ein Name, der allen Dalmatinern theuer ist. Diesen Mann empfehle ich Ihrem Herzen und Geiste, hochwürdigster Herr Sectionsrath, und ich bin überzeugt, daß durch seine Wirksamkeit die Volksschulen in Dalmazien in wenigen Jahren eine vortheilhafte Gestaltung annehmen, daß das hohe Ministerium einen Mann werth des vollsten Vertrauens und von mehr als genügender moralischer Kraft in ihm finden würde, die vielen Wunden zu heilen, aus denen das unglückliche Dalmatien auch in Betreff des Schulwesens blutet. Indem ich diese wenigen Andeutungen über den gegenwärtigen Zustand und die vorzüglichsten und dringendsten Bedürfnisse meines Vaterlandes niederschreibe, habe ich die Ehre mich zu zeichnen

Ihren unterthänigsten, ehrfurchtsvollst ergebenen Diener
Alois Caesar Doctor Pavissich

den 22. December 1850 in Wien