Der Kunsthistoriker Rudolf Eitelberger berichtet erneut über Ruggiero Bonghi. Zunächst entschuldigt er sich jedoch für seine späte Rückmeldung. Dann äußert er sich – der Bitte Thuns entsprechend – über die politische Einstellung Ruggiero Bonghis. Eitelberger wurde von mehreren Personen, die Bonghi kennen, versichert, dass dieser politisch unbedenklich sei und weit entfernt von demokratischen Tendenzen stehe. Eitelberger bemüht sich jedoch, nähere Informationen zu Bonghi zu erhalten. In der Zwischenzeit sendet er die greifbaren Schriften Bonghis an Sektionsrat Joseph Mozart.
Euer Excellenz!
Ich bitte zu entschuldigen, daß ich das werthe Schreiben vom 13. Juli erst heute
beantworte. Auf Reisen ist man nicht immer Herr seiner Zeit und seiner Launen,
und so ist es gekommen, daß ich Mitte Juli plötzlich von
Verona nach Ravenna reiste,
nachdem ich in Brescia in einer verlassenen Kirche, die
gegenwärtig als Militärmagazin dient, und nicht ganz mit Unrecht dem
Langobardenfürsten Luitprand zugeschrieben wird, Kapitäle fand, welche eine
entschiedene Verwandtschaft mit den Bauten Ravennas, so weit ich sie damals
kannte, hatten. Theils um meine Wahrnehmung zu verificieren, theils um die
altchristlichen Monumente Ravennas kennen zu lernen, reiste [ich] so schleunig
als möglich über Modena und
Bologna nach Ravenna und kam
heute, nach einem mehr als 8tägigen Aufenthalte in dieser Stadt, die für die
altchristliche Baugeschichte nach Rom die wichtigste
Italiens ist, in Venedig an, wo ich den Brief Euer
Excellenz posta restante fand.
Ich beeile mich wenigstens einen Theil
desselben sogleich zu beantworten. Bonghis Lettere critiche1 werde ich im Laufe dieser Woche an Herrn Sektionsrath Mozart senden.
Bonghis Arbeit über
Aristoteles
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konnte ich weder in der Bibliothek Marciana, noch in irgend einem Buchhandel
finden, glaube auch nicht, daß sie in irgend einer öffentlichen Bibliothek oder
Buchhandlung des lombardo-venetianischen
Königreichs zu finden ist. Wenn es mir einigermaßen möglich ist,
näheres hier über dieses Werk zu erfahren, werde ich es sogleich Herrn Mozart mittheilen.
Was den politischen
Charakter Bonghis betrifft, so habe ich von keiner Seite auch nur das geringste
gehört, was in mir den Verdacht erregen könnte, er gehöre destruktiven
Richtungen an. Im Gegentheil ist mir von Personen, die ihn persönlich genau
kennen, versichert worden, daß sein ganzes Wesen, weit entfernt demokratisch zu
sein, von Hause aus etwas aristokratisch-Vornehmes habe, das sich mit
demokratischen Elementen nicht verträgt. In diesem Moment kann ich nicht
angeben, wo ich diese Freunde Bonghis, die ich kennen lernte, treffen kann, ich werde aber
jedenfalls Alles aufbieten, um die Wünsche Eurer Excellenz in möglichst kurzer
Zeit zu befriedigen.
Ich bitte, die Flüchtigkeit dieser Zeilen zu
entschuldigen. Ich selbst bin von dem letztem Ausfluge nach
Ravenna in dieser außerordentlich heißen Zeit
todtmüde und wünschte doch, das Schreiben Eurer Excellenz sogleich zu
beantworten, bevor Euer Excellenz Wien verlassen.
Mit dem Ausdruck tiefster Ergebenheit
gehorsamstest
Eitelberger Prof.
Venedig 28. Juli 1857