Alexander Hübner an Leo Thun
Paris, 16. Oktober 1855
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Regest

Alexander Hübner, österreichischer Gesandter in Paris, gratuliert Thun zum Abschluss des Konkordats und zu den Reformen im Bildungswesen. Aus seiner Sicht sind dies die beiden größten Erfolge dieser Regierung. Hübner glaubt auch, dass damit die Zeit politischen Argwohns und polizeilicher Überwachung beendet sei, die bisher die freie Entfaltung der geistigen Kräfte Österreichs verhindert hatten. Der verstorbene Karl Ernst von Jarcke hätte diese Entwicklung sehr begrüßt. Hübner versichert Thun dann, Eduard van der Nüll unterstützen zu wollen, allerdings müsse bedacht werden, dass Österreichs Kunst in Frankreich weniger angesehen sei als dessen Industrie. Zuletzt spricht Hübner seine Hoffnung aus, dass Thuns Bruder Friedrich bei seiner neuen Aufgabe in der Lombardei Erfolg haben wird.

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Edierter Text

Geehrtester Herr Minister,

Erlauben Euer Excellenz einem Laien Ihnen zu dem großen Umschwunge, der unter Seiner Majestät Ägide und unter Ihrem unmittelbaren Einflusse heute auf dem Gebiete der kirchlichen Verhältnisse Österreichs und auf dem des wissenschaftlichen Unterrichts vorgeht, seinen wärmsten Glückwunsch darzubringen. Eigentlich gelten diese Wünsche – die aufgehört haben fromme zu sein – dem großen Vaterland, welches nunmehr von den Banden befreit wird, mit welchen es politischer Unverstand, ängstlicher Argwohn nach allen Seiten hin, und die Meinung, mit der Polizei allein müsse regiert werden, durch beinahe zwei Menschenalter hindurch umfangen hielten. Von allen großen Dingen, welche unter unseres aller gnädigsten Herrn Regierung bisher geschehen sind, halte ich die Abschließung des Konkordats und die Reform unseres Studienwesens in Ihrem Sinne für die wichtigsten und weittragendsten Maßregeln. Der Staat, der bisher im Zwiespalte mit dem Gewissen und im Kampf mit den lebendigen Kräften des Geistes gelebt hatte, schließt mit beiden Frieden, beruhigt jene und gewinnt diese für sich.
Wie würde sich der arme Jarcke freuen, könnte er die erläuternden Artikel der Wiener Zeitung lesen. Ihm hatte der Weg, den wir vor 1848 gingen, das Herz gebrochen. Als die Wiedergeburt Österreichs begann, siechte er bereits dem Grabe entgegen.
Herr van der Nüll unterbricht mich hier, und durch ihn erhielt ich die geehrten Zeilen vom 10. dieses Monats. Euer Excellenz wollen überzeugt sein, daß ich ihn nach Kräften unterstützen werde. Ich fürchte aber, daß unseren Kunstleistungen, hier minder unvortheilig beurtheilt als unsere Industrie, ihr Recht nicht widerfahren wird, wenigstens nicht in vollem Maße. Ich habe hierüber an Graf Morny geschrieben, und werde auch Graf Nuiverkerke günstig zu stimmen suchen.
Von Ihrem Herrn Bruder habe ich einen langen und in heiterster Stimmung geschriebenen Brief aus Verona vor wenigen Tagen erhalten.
Meine besten Wünsche begleiten ihn auf seinem Wege. Er ist gewiß der richtige. Ich fürchte aber, wenn er nicht außerordentlich kräftig unterstützt wird, daß er ihn schwieriger steiniger und beschwerlicher finden wird, als er zu glauben scheint. Aber die großen Dinge werden nur im Schweiße unseres Angesichts erreicht. Per aspera ad astra.
Verzeihen Sie, verehrtester Graf, diese Herzensergießung und empfangen Sie die Versicherung der ausgezeichneten Hochachtung und Verehrung, womit ich verharre

Euer Excellenz gehorsamer Diener
Hübner