Der Jurist Ernst von Moy de Sons berät den Minister bezüglich der Berufung eines Professors für Römisches Recht an die Universität Wien. Dieser Professor soll, so der Wunsch Thuns, eine Koryphäe in seinem Fach sein und das Studium des Römischen Rechts in Österreich etablieren. Thun wäre daher nötigenfalls auch bereit, einen Protestanten zu berufen. Moy hingegen empfiehlt die Berufung von Carl Ludwig Arndts, der ein hervorragender Romanist und zudem ein aufrichtiger Katholik sei. Arndts, so Moy, sei zwar nicht frei von politischer Schwärmerei und dem Streben nach materiellen Gütern, doch einem Protestanten wäre er immer noch vorzuziehen. Im Folgenden betont Moy die zentrale Rolle des Studiums des Römischen Rechts für einen Aufschwung der Rechtswissenschaften in Österreich. Daher müsse das Römische Recht auch in die Reihe der Prüfungsfächer aufgenommen werden. Außerdem empfiehlt Moy die Errichtung einer Kanzel für vergleichende Rechtswissenschaft als Bindeglied zwischen dem Römischen Recht und dem österreichischen Privatrecht. In Verbindung mit der Rechtsgeschichte könnte man so die gemeinsamen historischen Ursprünge des Rechts aufspüren und damit auch das Naturrecht endgültig beseitigen. Seine eigene Rechtsphilosophie könnte dazu eine erste Maßnahme sein. Ein derartig gestaltetes Rechtsstudium würde aus der Sicht von Moy auch anziehend für deutsche Studenten sein und Österreichs wissenschaftlichen Stellenwert in Deutschland heben. Abschließend bittet Moy um die Erhöhung seines Gehaltes, da er derzeit nicht seiner Stellung entsprechend leben könne.
Hochgeborener Herr Graf!
Euer Exzellenz haben mich zur Äußerung aufgefordert, bezüglich der Berufung eines
Romanisten nach Wien und nach dem,
was Euer Exzellenz mir zu sagen die Güte hatten, begreife ich, daß es vor allem
ein Mann seyn muß, der durch seinen wohl begründeten Ruf in seinem Fache das
Studium des römischen Rechtes in Schwung zu bringen vermöge; daß daher
nöthigenfalls ein Protestant berufen werden müßte, wenn unter den katholischen
Gelehrten in Deutschland kein Mann von solchem Rufe sich
fände. Da ich nun außer Arndts in
München keinen solchen kenne,
so reducirt sich für mich die Frage auf die Alternative, ob es besser sey
Arndts oder einen Protestanten
nach Wien zu berufen. In dieser
Alternative kann meine Entscheidung nicht schwanken.
Was man auch gegen
Arndts sagen möge, als
Romanist hält er jedem anderen die Wagschale und als Katholik verdient er meiner
Überzeugung nach vor jedem anderen den Vorzug; denn daß er ein aufrichtiger
Katholik sey, steht mir außer Zweifel. Er hat nicht jene Festigkeit des
Charakters, jene Freiheit von aller weltlichen Absichtlichkeit und jene
Geradheit und Entschiedenheit des Wesens, die man ihm wünschen möchte, und hat
demzufolge auch seinerzeit in Frankfurt beim sogenannten
Reichstag nicht jene Selbständigkeit und politische Klarheit bewiesen, die ein
unbedingtes Vertrauen rechtfertigen würden; aber er gehört doch nicht zu jenen
Katholiken, denen ein ehrenhafter Protestant stets und überall vorzuziehen ist.
Er ist religiös, aufrichtig katholisch und im Wesentlichen ein braver Mann. Da
gilt meiner Überzeugung nach für den vorliegenden Fall ganz und gar der
französische Grundsatz: le mieux est l’ennemi du bien. Ich würde also unbedingt
und um jeden Preis für die Berufung des Prof.
Arndts mich entscheiden.
Ich sage um jeden Preis, weil ich
das römische Recht als den Cardinalpunkt bezüglich der Begründung eines tieferen,
wahrhaft wissenschaftlichen Rechtsstudiums in Oesterreich
betrachte und die Erweckung dieses Studiums als ein dringendes Bedürfnis ansehe,
dessen Befriedigung nicht auf den Zeitpunkt verschoben werden darf, wo etwa ins
Ausland gesendete junge Leute jenes Studium nach Oesterreich
zu verpflanzen imstande waren. Übrigens wird auch die Berufung eines wie immer
ausgezeichneten Romanisten nach Wien
nicht genügen, dem gedachten Studium bei den jungen Leuten Eingang zu
verschaffen, wenn nicht gleichzeitig das römische Recht unter die
Prüfungsgegenstände bei der Staatsprüfung aufgenommen wird. Diese Maaßregel
möchte ich also neben der Berufung von Arndts angelegentlichst empfehlen.
Auf unserem gegenwärtigen
Standpunkte in Oesterreich scheint mir aber
noch eine dritte Maaßregel unbedingt nöthig, und das ist die Errichtung einer
Kanzel für vergleichendes Rechtsstudium als Vermittlungsglied zwischen den
Vorträgen über römisches und über österreichisches Privatrecht. Es müßte dieses
ein Vortrag seyn, bei welchem die Darstellung der Rechtsverhältnisse die
Grundlage, die Darstellung aber der Auffassung, welche diese Verhältnisse im
römischen und im germanischen Rechte gefunden, den Leitfaden der Entwicklung
bildete, um dann mit Hilfe des historisch zu behandelnden sogenannten
Naturrechts etc. in den bestehenden Gesetzbüchern die Elemente aufzuweisen, aus
welchen sie hervorgegangen sind, und die Seiten, von welchen aus sie einer
Fortbildung fähig oder bedürftig sind. Schon der selige Jarcke hatte einen Vortrag derart,
ähnlich dem, was er für das Criminalrecht zu leisten unternommen, im Sinne und
ich muß ihm ganz beipflichten, indem ich denselben als ein nothwendiges
Ergänzungsglied in unserem Studienplan und als das einzige Mittel erkenne das
sogenannte Naturrecht von seiner insurgirten Bedeutung zu entkleiden. Als eine
Vorbereitung dazu möchte ich meine Rechtsphilosophie bezeichnen.
Es wäre
zugleich ein Anziehungsmittel für die deutschen Studenten, ja es wäre ein
Fortschritt der österreichischen Universitäten vor den deutschen. Und um
Oesterreichs und Deutschlands willen wünschte ich, das gestehe
ich, daß die Bande der Gemeinschaft auch auf dem wissenschaftlichen Gebiete, und
gerade da, möglichst innig geknüpft würden. Ich wünschte es aber noch mehr im
Interesse der Wahrheit und sohin des katholischen Glaubens, dessen Sache nach
meiner Überzeugung mit der Sache Oesterreichs und mit Oesterreichs Geltung in Deutschland
unzertrennlich verbunden ist.
Euer Exzellenz glaube ich diese meine Ansicht
nicht erst weiter ausholend begründen zu müssen; denn, wenn ich mich nicht ganz
getäuscht habe, so sind Euer Exzellenz ohnehin auch derselben
Überzeugung.
Ich erlaube mir daher, auf das gnädige Wohlwollen bauend, das
Euer Exzellenz mir hier neuerdings bezeugt haben, zu meinem anderen Punkte
überzugehen, und das ist Frage meiner Existenz hier. Obgleich besser besoldet
als alle anderen hiesigen Professoren, kann ich dennoch nicht leben. Ich habe
eine zahlreiche Familie, wie keiner, und Bedürfnisse, geistige und körperliche,
welche die Folge schwächlicher Gesundheit, vorgeschrittenen Alters, des Ganges
meiner Studien sind und sich nicht willkürlich beschränken lassen. Auf
irgendeine Weise muß ich Euer Exzellenz dringend bitten zu helfen. Der Herr Statthalter hat, glaube ich, im
Sinne mich in das Referat für Kirchen- und Schulsachen in Vorschlag zu bringen
und diese Stellung wäre mir an und für sich sehr willkommen; allein, um
finanziell für mich haltbar zu seyn, müßte sie mit irgendeiner lucrativen
Nebenfunction an der Universität oder sonst verbunden werden. Doch ich stelle
das vertrauensvollst dem weisen Ermessen Euer Exzellenz anheim. Genug, daß Euer
Exzellenz wissen, ich bedarf der Hilfe und bedarf ihrer dringend. Mich ihrer
würdig zu erweisen, wird stets mein Bestreben seyn.
In tiefster Verehrung
empfehle ich mich
Euer Exzellenz unterthänigster Diener
Freiherr von Moy
Innsbruck, den 19. Juli 1854