Friedrich Ludwig Keller, Professor an der Universität Berlin, berät Leo Thun bei der Suche nach einem geeigneten Kandidaten für den Lehrstuhl des Römischen Rechts an der Universität Wien. Keller hat dazu einige Nachforschungen angestellt. Zunächst informiert er Thun jedoch, dass Karl Georg Wächter den an ihn ergangenen Ruf nicht annehmen werde. Da außerdem Carl Ludwig Arndts, wie Thun selbst glaubte, nicht zu gewinnen sei, wäre von den katholischen Kandidaten am ehesten Alois Brinz aus Erlangen geeignet. Keller kann allerdings nichts über dessen Fähigkeiten als Lehrer berichten. Er bietet daher Thun an, sich in Erlangen selbst ein Bild über das Lehrtalent von Brinz zu verschaffen. Von den protestantischen Professoren kann Keller Karl Georg Bruns aus Halle und Otto Müller aus Leipzig empfehlen. Bruns hatte sich zwar zeitweise der Hegelschen Philosophie zugewandt, sich aber mittlerweile wieder davon entfernt. Anschließend erörtert Keller, welches Gehalt man beiden jeweils bieten müsste, um sie nach Wien locken zu können: Müller wäre wohl mit 2.000 Gulden, Bruns aber wohl nur mit 3.000 zufriedenzustellen. Keller glaubt außerdem, dass man Bruns gegenüber besonders die herausragende Stellung Wiens hervorheben müsste, um ihn für das Angebot begeistern zu können.
Euer Excellenz,
gnädige Erlaubnis mich über die für den Lehrstuhl des Römischen Rechtes in
Wien geeignete Persönlichkeit zu
äußern, benütze ich hiermit gehorsamst, nachdem ich zu diesem Behufe mich so
genau wie möglich erkundigt, zu diesem Behufe auf der Rückreise einige
Universitäten besucht und zuletzt auch noch mit Wächter, der mir leider seinen
Entschluß mittheilte, dem erhaltenen ehrvollen Rufe nicht zu folgen, mich
berathen hatte.
Da Arndts, wie
Euer Excellenz annehmen, nicht zu gewinnen ist, so wüßte ich unter den
katholischen Civilisten keinen, der mehr wäre als Brinz in Erlangen, welcher eben im Begriffe steht vom Extraordinarius zum
Ordinarius zu passiren; allein diesen kann ich nach der Art seiner Schriften zu
dieser Stelle in der That nicht empfehlen und werde in diesem Befinden neuerlich
auch durch Wächter bestärkt.
Möglich wäre es allerdings, daß durch besondere Eigenschaften in Lehrtalent,
Charakter und dergleichen der Mangel aufgewogen würde, und ich kann deßhalb nur
meine gehorsamste mündliche Äußerung wiederholen, daß falls Euer Excellenz auf
diesen jüngern Gelehrten reflectiren sollten, ich mir zur angenehmen Pflicht
machen würde, auf den ersten Wink denselben in Erlangen
aufzusuchen und über seine gesammte Persönlichkeit nach bester Wahrnehmung
umständlichen Bericht zu erstatten.
Unter den protestantischen Civilisten
gestatte ich mir gehorsamst vorzugsweise auf Bruns in Halle
(einem Verwandten von Schrader in
Tübingen) und Otto Müller in Leipzig aufmerksam zu machen; der
erstere etwas über, der letztere etwas unter 35 Jahren, beide mir genau durch
ihre Schriften und persönlich bekannt. Bruns, der ein bedeutendes Buch über den Besitz geschrieben hat,
ist das größere Talent, hat zwar eine Zeitlang etwas sehr in die Hegelsche Philosophie hinein
gegeben, soll aber, wie mich namentlich auch Wächter versicherte, in der neusten Zeit auf eine recht
vortheilhafte Weise davon zurück gekommen sein. Müller bewegt sich fortwährend auf dem Wege solider und
tüchtiger Quellenforschung, welche auch Bruns nie verlassen hat. Müller hat eine kleine Schrift über Eisenbahnvergehen, dann eine
größere über Eriction und neuerlich ein hübsches Lehrbuch der Institutionen
geschrieben. Lehrtalent, Sinn für die eigenthümliche Stellung und Aufgabe in
Wien und der hiezu erforderliche
Charakter ist, wie ich überzeugt bin, bei beiden in vollem und gleichem Maße
vorhanden. Bruns hat in Halle 1200
rtlr. Gehalt und gute Aussicht, Müller
ist in bedeutend geringerem Gehalt und in seinen Verhältnissen und Aussichten
etwas beengt durch die erst nach seiner Berufung eingetretene Concurrenz
Wächters, neben welchem er
übrigens eine ganz hübsche und sehr zu seiner Ehre gereichende Stellung
behauptet. Demnach bin ich überzeugt, daß Müller die Stelle in Wien mit fl 1800 bis 2000 in Freude, Eifer und Liebe ergreifen
würde; bei Bruns müßte im Gehalt
nahmhaft höher, wohl etwa fl 3000 gegangen werden, zumal es einmal die Unart
deutscher Professoren ist, einen an sie ergangenen Rufe gerne zuerst zu einem
Versuche einer Verbesserung der bisherigen Stellung zu benutzen; wozu in diesem
Falle Bruns mehr Anlaß als Müller hätte, sodaß ich wirklich, falls die
Wahl Euer Excellenz auf Bruns fallen
sollte, gehorsamst anheimgeben möchte, demselben die hohe Bedeutung und das
Ansprechende und Begeisternde der Stellung in Wien auf vertraulichem Wege darstellen und seine Äußerung darauf
vernehmen zu lassen, welches Geschäft, wenn Euer Excellenz es wünschen sollten,
ich sofort durch mündliche Unterredung mit Freuden besorgen würde.
Von
meinen neueren Schriften, deren ehrerbietige Übersendung mir Euer Excellenz
gnädigst haben gestatten wollen, fehlt mir noch etwas weniges, wodurch die
Übersendung sich noch um etwa 8 Tage verzögern wird.
Indem ich es mir zur
größten Ehre und Freude nehme, wenn ich durch obige oder künftige gehorsamste
Mittheilungen zur ersprießlichen Besetzung des wichtigen Lehrstuhles etwas
beitragen oder sonst Euer Excellenz dienen kann, bin ich
Euer Excellenz
ganz gehorsamster
Dr. Friedrich Ludwig von Keller, k. Geh. Just. R. und
Professor
Berlin 1. Oktober 1854