Der Fürstbischof von Breslau, Heinrich Förster, übersendet Leo Thun ein
Schreiben von einem nicht näher genannten Beamten aus Berlin.
Gleichzeitig nützt er die Gelegenheit, um auf die Situation der
Protestanten und Katholiken in Österreich und Preußen einzugehen. Dabei
spricht er den Wunsch aus, dass die katholische Minderheit in Preußen
wenigstens so gut behandelt werde, wie dies die protestantische
Minderheit in Österreich wird. Gleichzeitig glaubt er, dass die
Protestanten in ihren Ansprüchen nie vollkommen zufriedengestellt werden
können, da jene ihre Forderungen ständig ausweiteten.
In der Beilage
warnt der nicht genannte Schreiber vor einer Berufung des deutschen
Kanonikers Emil Richter als Berater nach Wien. Richter sei seiner
Ansicht nach nicht der richtige Mann zur Neuordnung der protestantischen
Kirche in Österreich. Überdies sei Richter als Gegner des kürzlich
abgeschlossenen Konkordats bekannt. Der Schreiber bittet daher
Fürstbischof Förster, seine Bedenken in Wien bekannt zu machen.
Hochgebender Herr Minister,
Hochgeborener Herr Graf!
In Anlage beehre ich mich Euer Excellenz eine getreue Abschrift des Schreibens
eines wohlmeinenden höheren katholischen Staatsbeamten aus
Berlin ganz ergebenst zu übersenden.1
Da ich, fern von
konfessioneller Engherzigkeit, diesen Schritt nur aus reiner Liebe zur Sache
thue, so fürchte ich nicht, daß er mir von Euer Excellenz als unberufene
Andringlichkeit oder als Anmaßung ausgelegt werden wird.
Ich erlaube mir
dieser ergebensten Mittheilung noch folgende aphoristische Anmerkungen
beizufügen.
Durch eine 35jährige kampfreiche Amtsführung habe ich die
kirchlichen Zustände in Preußen kennen
gelernt, bin nun auch seit nahezu 6 Jahren Bischof in Östreich und kann mit gutem Gewissen sagen, daß ich sehr
zufrieden sein würde: wenn die Katholiken in Preußen, wo sie die kleinere Hälfte bilden, die selben Rechte ungeschmählert besäßen, welche die Protestanten in Östreich haben, wo sie ein Minimum
bilden.
Auch ist es gewiß, daß die Protestanten den Katholiken gegenüber nie
zufrieden gestellt werden können und in dem Grade ihre Ansprüche erhöhen als
dieselben Gewähr finden.
Ferner dürfte man in der Berathung eines
protestantischen Oberkirchenrathes in Berlin mehr ein
Zeichen der Schwäche und Lamoiranz als des freien Entschlußes seitens Östreichs sehen.
Endlich wird dieser Schritt
nicht verborgen bleiben und seine Einwirkung auf die Katholiken Deutschlands kein günstiger sein.
Vergeben
mir Hochdieselben meine redlich gemeinte Offenheit und genehmigen Euer Excellenz
den erneuerten Ausdruck der größten Verehrung, mit welcher ich verharre
Euer Excellenz
gehorsamster
Heinrich
Fürstbischof
Breslau, d. 16. Juni 1859
In aller Eile theile ich im engsten Vertrauen mit, wie mir heute in
zuverläßigster Weise bekannt wird, daß die östreichische Regierung behufs
Regulirung der Verhältnisse der Protestanten unseren bekannten Canonisten,
meinen jetzigen Collegen Professor Richter (er ist jetzt Justitiar in der evangelischen
Abtheilung) zu Rathe gezogen hat und daß ein Gutachten desselben sich in den
Händen des Erzherzogs Albrecht
befindet, welches sich speziell auf Ungarn bezieht.
Richter ist jedenfalls ein
Ehrenmann und sollte mal ein Protestant hier Rath ertheilen, so ist die auf
ihn gefallene Wahl eine gute. Aber er ist doch – wie dies die beiden letzten
Ausgaben seines Kirchenrechts2, die 4. und 5. dem Kenner zeigen – wenn auch milder als
andere, so doch weit entfernt von einer klaren und correkten Auffassung des
Verhältnisses der Confessionen unter sich und zum Staate. Wie kann er auch
anders als vieljähriges Mitglied des Oberkirchenrathes und des dort gegen
uns mit tiefem Plane geführten Kampfes? Er mag nicht zu den
allerlebhaftesten Antipoden des Conkordates gehören: aber ein Gegner
desselben ist er mit allen übrigen Protestanten und vielen unklaren
Katholiken. Erwäge ich nun, wie man in Wien in der
jetzigen Lage doppelt imponirt sein mag von dem Conkordatssturme und den
Confessionsforderungen für die Protestanten, die in allen deutschen
Blättern, unter denen kaum noch ein katholisches ist, täglich und stündlich
repetirt werden, so muß ich um so mehr besorgen, daß man sich dort übereilte
– zumal dieselbe Presse kein Maaß findet in dem Lobe der goldenen Lage der
Katholiken in Preußen. Indem möge sein
volles Recht werden, aber nicht dem einen Theile allein, während der andere
in so vielen Theilen Deutschlands in
Ketten liegt. Wir kennen die Verhandlungen in
Holstein etc.
Nur Ihnen, hochwürdigster
theuerer Gönner, kann ich diese Notiz geben: denn ich wüßte Niemand, der
sonst in der Lage wäre, in Betreff Wiens
orientirt zu sein, um etwa Vorsicht empfehlen zu können.
Berlin, den 10.6.[18]59