Ministerialsekretär Ludwig Heufler berichtet Leo Thun von seiner Dienstreise nach Siebenbürgen. Heufler beschreibt zunächst die Reise und schildert Thun seine ersten Eindrücke. Dabei geht er insbesondere auf die Lage der Siebenbürger Sachsen ein. Er befürchtet, dass die deutschen Bewohner Siebenbürgens mittelfristig verdrängt werden, weil die Siebenbürger Sachsen, im Vergleich zu den anderen dort lebenden Nationalitäten wenige Kinder hätten. Er glaubt daher, dass bei einer Zusammenfassung Siebenbürgens in einem Kronland, die deutschsprachigen Bewohner benachteiligt würden. Er vergleicht dazu die Situation der Deutschen in Siebenbürgen mit jener der Deutschen im Trentino und in Venetien. Da laut ethnografischen Karten Siebenbürgen von drei Volksgruppen bewohnt werde, lautet sein Vorschlag zur Lösung der Situation, Siebenbürgen in drei Kronländer zu teilen, mit Hermannstadt als zentralem Sitz der Verwaltung. Dadurch könne man den nationalen Sonderbestrebungen entgegentreten und zugleich die Siebenbürger Sachsen schützen. Zuletzt versichert Heufler dem Minister, dass bei er bei all seinen bisherigen Besprechungen großes Vertrauen in die Politik des Ministers erkennen konnte.
Heufler schickte den Brief zunächst nicht ab, sondern sandte ihn als Beilage zum Brief: Ludwig Heufler an Leo Thun. Hermannstadt, 29. April 1850..
Verweis auf A3 XXI D51 und A3 XXI D61
Euere Excellenz!
Es drängt mich, von der Erlaubnis brieflicher Mittheilungen Gebrauch zu
machen. Zu amtlichen Anträgen ist es natürlich noch nicht an der Zeit; auch
muß ich erst mein Zelt aufschlagen, denn es giebt hier kein
gemeinschaftliches Regierungsgebäude und für jedes einzelne Bureau muß
mühsam Dach und Fach aufgesucht werden.
Die Reise durch Siebenbürgen ist eine Reise neben Trümmern
zerstörter Dörfer. Das Sachsenland ist
als das fruchtbarste am meisten besucht und geplagt worden und nur das
Wirken der Natur, die mit ihrem Segen die Wunden ausgleicht, die der Mensch
geschlagen hat, giebt Trost und Hoffnung.
Die Lage der Deutschen in
Siebenbürgen ist keine gute; seit
langer Zeit ist die Bevölkerung stationär, in einzelnen Dorfschaften sogar
im Rückschritte, und die uralte eingeborne Einwohnerschaft, die Romanen,
überfluthen das germanische Element. Eine eigenthümliche Verschrobenheit ist
daran Schuld. Der Sachse betrachtet viele Kinder als eine Schande und damit
das Vermögen nicht zerstückelt werde, verzichten die Eheleute auf zahlreiche
Nachkommenschaft. Daß diese Erscheinung nicht in der Unfruchtbarkeit liege,
beweist der Umstand, daß Pfarrer und Schullehrer, deren Kinder nicht auf
Grundbesitz angewiesen sind, durchaus viele Kinder haben; auch erzählte mir
ein Landgeistlicher, wenn er das Kind eines Bauern zu Grabe geleite, er
sicher rechnen könne, ein Jahr später zur Taufe gebethen zu
werden.
Jener Geistlicher gestand mir zu, daß hier eine tiefe sittliche
Fäulnis zu Grunde liege, daß man aber dagegen nichts thun könne. Das warum
blieb er mir schuldig, und wenn ich hier als Privatmann wäre, hätte ich es
ihm gesagt; es ist nämlich dem evangelischen Geistlichen durch den Mangel
der Ohrenbeichte der Haupthebel tiefgehenden Wirkens abgeschnitten.
Eine
andere Furcht der Sachsen besteht darin, daß die Regierung Siebenbürgen als tabula rasa betrachtet,
auf welcher ein Proconsul mit bestem Willen aber ohne Verständnis der
Geschichte und nationeller Gegensätze seine Linien zieht.
Durch die
jüngste Arrondirung des Sachsenbodens ist dort die Anzahl der Wallachen eine
größere als die der Deutschen. Käme nun dazu, was man so sehr fürchtet, daß
Siebenbürgen als Ein Kronland
erklärt würde, so wäre dem Deutschthum in Siebenbürgen der Todesstoß gegeben. Ich erinnere mich hier
lebhaft, wie die deutschen Enclaven im Vienetischen und Tridentinischen unter der Regierung der Dogen von Venedig und
der Bischöfe von Trient, also unter der Regierung von Wälschen, Deutsche
geblieben sind, dreißig Jahre aber der deutschen österreichischen Regierung
hingereicht haben, das germanische Element dort auszurotten, so daß man die
Wälder und Wiesen bei ihren Namen fragen muß, um zu erfahren, daß dort einst
Deutsche gehaust haben. Lernen wir doch einmal von der Geschichte in der
Gegenwart richtig handeln. Das wolle Gott verhüten, daß der Kaiser von
Oesterreich diese östliche deutsche Vorhut zu Grunde gehen lasse, während
der Großfürst von Siebenbürgen und früher der König von Ungarn sie gehegt
und gepflegt hat. Gehegt ist hier aber das rechte Wort; sie ist wie ein
edler Blumengarten in der wilden Steppe; der Hag aber, den sie braucht,
bedarf, benöthiget, ist eine eigene Kronlandsverfassung, ein eigenes
Territorium, eine eigene, von den Romanen und Magyaren geschiedene
Repräsentation. Wenn ich kein Abgesandter der Regierung wäre, schriebe ich
für das große Publikum. So lege ich mit dem Ausdrucke unbegränzten
Vertrauens Euerer Exzellenz ans Herz, was mir eine nothwendige Maßregel für
Siebenbürgen scheint: Eine einzige
Administration mit dem Sitze der Regierung in
Hermannstadt, drei repräsentativ geschiedene
Kronländer. Wenn ich das Original der ethnographischen Karte Siebenbürgens studiere, das mir Häufler mitgegeben hat, fasse
ich die Überzeugung von der Möglichkeit einer solchen Abgränzung; die
Magyaren bewohnen nur das Szeckler [Szekler]
Land in kompackten Massen; im „Lande der Ungarn“ sind fast nur
Romanen und die Magyaren waren nur die Herren; das Land der Sachsen, wie es
vor dem Jahre 1848 war und wie es wieder herzustellen wäre, ist überwiegend
deutsch. Also ein Land der Sachsen, der Romanen und der Magyaren (Szeckler).
Der gemeinschaftliche Name Siebenbürgen
als Ausdruck für das ganze administrativ und militärisch einheitliche Land
soll bleiben. Ähnliches ist ja auch im Küstenlande geschehen, wo
Triest mit seinem Gebiethe und Istrien
mit Görz zwei Kronländer unter einer Administration bilden.
Nicht in schnurgerechten [sic!] Linien, nicht in der Uniformität liegt das
Heil, sondern in der naturgemäßen Mannigfaltigkeit, die nach Einem Ziele
strebt.
Ich bitte Euer Exzellenz, diese Betrachtungen nicht als Ausdruck
von Deutschthümelei anzusehen, ich habe durch mein Benehmen in
Istrien und ich glaube auch durch meine Arbeiten im
Ministerium gezeigt, daß eine solche beschränkte Liebe
eigener Stammgenossen mir ferne liege.
Aber die Romanen träumen von der
Wiederherstellung des alten Daciens, die Ungarn von einem magyarischen
Donaureiche, beide sind geschworene Feinde der Habsburger und der großen
mitteleuropäischen Monarchie, die langsam aber sicher unter dem
augenscheinlichen Segen des Himmels und auf dem Boden des Rechtes groß
wächst und dazu bestimmt scheint, germanische Bildung und Sinnesart den
drohenden modernen Scythen als Bollwerk entgegenzusetzen. Da nun das junge
einheitliche Oesterreich glücklicherweise in den
dacischen Karpathen eine deutsche Oase findet, auf die allein es sich
verlassen kann, so wäre es der Gipfel der Thorheit, die Mauer der Gesetze,
welche sie seit sechshundert Jahren völlig wunderbarer Weise – denn so groß
ist die Kraft der Achtung vor dem Recht – vor Kumanen und Magyaren, vor
Türken und Wallachen als Deutsche erhalten hat, jetzt einzureißen und sie
der Übermacht der Anderen preiszugeben. Geschähe dieses, so könnten die
Sachsen wohl sagen: Gott schütze mich vor meinen Freunden, vor meinen
Feinden werde ich mich selber schützen.
Verzeihen Euere Exzellenz, daß
ich soviel von einer Sache gesprochen habe, die nicht buchstäblich zu meinem
Geschäfte gehört und worüber zu reden nach so kurzem Aufenthalte eine
Verwegenheit scheint; aber ich bin nicht ohne Vorbereitung hergekommen und
dazu kömmt jetzt eignes Hören und Sehen, Liebe zum großen Gesammtverbande
und Begeisterung für seine kommende Größe. In den ersten frischen Eindruck
mischt sich oft eine Intuition, die später selbst gerufen nicht wiederkommt
und hier ist sie nun, wie sie mir ward, in Worten abgespiegelt.
Ich habe
angefangen, Besuche zu machen und zu empfangen; ich finde überall den
Ausdruck des größten Vertrauens in die Persönlichkeit und die besten
Absichten Euerer Exzellenz und in die des Ministeriums
überhaupt; meine Aufgabe fängt im lebendigen Verkehre mit den Menschen an
feste Gestalt zu gewinnen, und da ich einmal im Wasser bin, kommt mir auch
der Muth zum Schwimmen. Für die Adjungirung des Prof. Schuller danke ich auf das
wärmste; schon auf der ganzen achttägigen Reise war er mir eine reiche
Quelle der Belehrung. Er läßt sich Euerer Exzellenz ergebenst
empfehlen.
Genehmigen Euere Exzellenz den Ausdruck der unbegränzten
Verehrung, mit der geharret Hochdero
ergebener Diener
L. Heufler
Hermannstadt, den 13. April 1850