Kritik von Samuel Schiel am reformierten Rekrutierungsgesetz
o. O., o. D. [1859]1
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Regest

Der Gymnasialdirektor Samuel Schiel äußert seine Kritik am neuen Rekrutierungsgesetz vom 25. September 1858. Er bezieht sich dabei auf einen Beschluss der Kronstädter Gymnasiallehrerkonferenz A. B. Diese hatte besonders den § 20 dieses Gesetzes kritisiert, der die Befreiung der Schüler eines Obergymnasiums von der Militärpflicht durch Nachweis der Vorzugsklasse vorsieht. Bisher genügte die erste Zeugnisklasse, um Schüler an Gymnasien und Seminaren von der Militärpflicht zu befreien. Die Konferenz sowie Schiel sehen darin aber einen Widerspruch zum Organisationsentwurf, der die erste Klasse als ausreichend bezeichnet, um in die nächste Klasse aufsteigen zu können. Schiel glaubt, dass durch das neue Rekrutierungsgesetz sowohl der Organisationsentwurf, den er allgemein lobt, ausgehöhlt werde, als auch die Qualität der Schulen abnehmen werde.

Anmerkungen zum Dokument

Schlagworte

Edierter Text

Einige Bedenken gegen den § 20 des neuen Gesetzes vom 25. September 1858 über die Ergänzung des Heeres.
Vgl. RGBl Nr 167/1858.

In der bisher über die Befreiung von der Militärpflicht geltenden Vorschrift vom Jahre 1851 wurde die erste allgemeine Zeugnisklasse für genügend erklärt, um Studierende an Gymnasien und Schullehrerseminarien von der Militärpflicht zu befreien. Nach dem neuen Rekrutierungsgesetz soll dies nun anders sein. Der § 20 dieses Gesetzes vom 25. September vorigen Jahres befreit die ordentlichen und öffentlichen Studierenden eines Obergymnasiums von der Militärpflicht, wenn sie über ein tadelloses sittliches Betragen und mit der allgemeinen Vorzugsklasse im Fortgang sich ausweisen. Maturitätszeugnisse über den vollendeten Gymnasialkurs werden diesen Nachweisen gleich gehalten.
Gegen dieses Gesetz nun haben sämmtliche siebenbürgisch-sächsische Gymnasien so wie sämmtliche Bezirksconsistorien der siebenbürgisch-evangelischen Landeskirche A.C. ernste Bedenken erhoben und sollen, so viel Einsender wenigstens weiß, diese Bedenken im Wege des hochlöblichen Oberconstistoriums dieser Kirche vor das hohe k.k. Cultus- und Unterrichtsministerium gebracht werden, um, wie zu hoffen steht, eine Modification dieses Gesetzes oder um Beibehaltung der Grundsätze von 1851 im wohlverstandenen Interesse der Erziehung und des Unterrichtes zu erwirken. Wahrscheinlich wird auch von anderen Gymnasien jedes Religionsbekenntnisses nach dieser Seite hin petitionirt worden sein.
Was nun in dieser Angelegenheit von dieser oder jener Seite speciell geschehen ist, ist noch nicht zur Kenntnis des Einsenders gekommen; wohl aber ist er im Stande einiges aus den Bedenken, welche die Kronstädter Gymnasiallehrer Conferenz A.C. erhoben und eingesendet hat, den Lesern dieser Blätter mitzutheilen. In dieser Eingabe heißt es unter Anderem:
1. „Das berührte Rekrutirungsgesetz scheint in § 20 mit dem Geiste und den Bestimmungen des auf der Höhe der Zeit stehenden hohen ministeriellen Organisationsentwurfes, welcher für die Entwickelung des Schulwesens in ganz Österreich von so wohlthätigen und nachhaltigen Folgen gewesen ist, nicht im Einklange zu stehen und besonders den bisher behaupteten Standpunkt in der Beurtheilung dessen, ob ein Schüler die nöthige Kraft und Befähigung zur Verfolgung einer wissenschaftlichen Laufbahn besitze oder ob es wünschenswerth sei, daß derselbe aus Mangel an jenen Bedingungen sich andern Berufskreisen zuwende, zu verrücken. Der Organisationsentwurf erklärt nämlich in § 76, daß alle diejenigen, welche das in diesem Organisationsentwurfe genau vorgezeichnete Classenziel erreichen und so wenigstens die erste Classe in allen Lehrgegenständen erhalten, für reif, um in eine höhere Schulklasse hinaufzurücken. Damit wird zugleich ein junger Mensch für befähigt erklärt auf der wissenschaftlichen Laufbahn seine Zukunft zu sichern und das Wohl des Staates oder der Kirche in einem auf wissenschaftlicher Grundlage ruhenden Berufe fördern zu helfen. Nun aber soll dieses nach dem neuen Rekrutirungsgesetz anders werden; diese erste Classe soll fernerhin nicht mehr die bisherige Bedeutung und Kraft haben. Denn offenbar erscheint doch nach diesem Gesetze vom (25. September 1858) die erste Classe unter die bisherige Bedeutung herabgedrückt und als ungenügend für die Beurtheilung und Entscheidung dafür, daß ein Schüler die nöthige Kraft und Befähigung für die Fortsetzung der wissenschaftlichen Laufbahn und die Wahl eines wissenschaftlichen Berufes besitze. Nur die Vorzugsclasse und nicht die erste Classe, welche doch nach dem Organisationsentwurfe die befriedigende Reife für das Aufrücken in die höheren Classen zur Genüge nachweiset, soll diese Kraft und Wirkung haben; nur die Vorzugsclassen, welche doch nach Organisationsentwurf § 76.4. und wie die Praxis an Schulen, wo der Geist dieses Organisationsentwurfes gehörig verstanden und gewürdigt wird und die erforderliche Strenge und Gewissenhaftigkeit herrschend ist, nachweise, nicht gar so wohlfeil und leicht, sondern nur den wenigen in der Regel ganz besonders Talentirten und sich ganz besonders Auszeichnenden gegeben wird. Ob nun aber dem Staate oder der Kirche besonders gut gedient ist, wenn nur solche Eminente und durch außergewöhnliche Talente Ausgezeichnete in die Ämter des Staates oder der Kirche eintreten, darüber muß die Erfahrung in größern und kleinern Kreisen befragt werden. Es zeigt sich wenigstens nicht selten, daß die brauchbarsten, eifrigsten und gewissenhaftesten Beamten im Staate, in der Schule und in der Kirche nicht immer gerade nur aus der Reihe der besonders talentirten und mit eminenzreichen Zeugnissen versehenen Studierenden hervorgegangen sind. Es ist demnach der § 20 des besprochenen Rekrutirungsgesetzes schon aus dem Grunde bedenklich, weil er im Widerspruche mit den pädagogisch richtigen Grundsätzen des fast in allen seinen Theilen so ausgezeichneten Organisationsentwurfes für österreichische Gymnasien zu stehen scheint und nicht einen sichern Maßstab für die Beurtheilung dessen, ob ein Schüler Kraft und Befähigung zur Verfolgung der wissenschaftlichen Laufbahn und für die einstige Tüchtigkeit in einem auf wissenschaftlicher Grundlage ruhenden Beruf besitze, an die Hand geben kann.
2. „Es ist ferner doch wünschenswerth und soll deshalb auch so viel nur möglich dahin gestrebt werden, daß im Classifikationsgeschäft und besonders in Ertheilung derjenigen Classen, an welche so bedeutende Folgen wie z. B. die Befreiung von der Militärpflicht, geknüpft sind, schon um der Gerechtigkeit und Billigkeit willen eine gewiße Gleichförmigkeit und Übereinstimmung zwar nicht im Resultat oder in der Zahl, aber doch ganz gewiß in dem von den verschiedenen Anstalten anzuwendenden Maßstab für die Beurtheilung der Schüler herbeigeführt werde, d. h. es sollen und können wohl nicht an den verschiedenen Anstalten dieselben Procentualzahlen der Eminenzen, Primen, Sekunden usw. vorkommen, aber es soll doch, so viel dies nur möglich, an allen Anstalten derselbe Grad von Wissen und geistiger Entwicklung ein Anrecht auf die Erlangung dieser oder jener Classenbezeichnung erwerben können. Die Natur der Sache und die bisherige Praxis an den verschiedenen Anstalten zeigt nun aber, daß diese Gleichförmigkeit des Maßstabes in der Beurtheilung der Schüler viel leichter und mit größerer Sicherheit bei den ersten Classen als bei den Vorzugsclassen erzielt werden kann. Der Organisationsentwurf schreibt in richtigem Verständnis der Sache das Unterrichtsziel für die einzelnen Schulklassen, in den meisten Lehrgegenständen sogar für die einzelnen Semester vor. Wer von den Schülern dieses so scharf und so genau vorgezeichnete Classenziel erreicht und zum Fortrücken nach aufwärts für reif befunden wird, erhält die erste Classe, nur die über das Maß Hinübergehenden „die sich besonders Auszeichnenden sollen auch besonders hervorgehoben werden“ oder erste Classe mit Vorzug erhalten. Ein Blick nun auf die cumulativen Classificationstabellen, wie sie sich in der österreichischen Gymnasialzeitschrift vom 2. Semester 1856/7 finden, wird die Überzeugung verschaffen, daß bei aller Verschiedenheit in den Procentualzahlen der den Schülern an den verschiedenen Anstalten ertheilten Classen, doch noch in Bezug auf die erste Classe die meiste Annäherung unter den verschiedenen Lehranstalten stattfindet, was ganz sicherlich in dem vom Organisationsentwurfe genau vorgezeichneten Maßstab für die Ertheilung der ersten Classe seinen Grund hat. Ganz anders verhält es sich mit den dort angegebenen Procentualzahlen für die erste Classe mit Vorzug. Denn da erhielten, um nur die siebenbürgischen Gymnasien zu berühren, am Schluße des bezeichneten Semesters ein Zeugnis der ersten Classe mit Vorzug:
1. am evangelischen Untergymnasium zu Mühlbach [Sebes] 1.3 Procent
2. vollständigen Gymnasium Kronstadt [Brasov] 10.6
3. Schäßburg 12.0
4. Mediasch 13.3.
5. Bistritz 13.9
6. Hermanstadt [Sibiu] 18.1
7. römisch-katholischen k.k. Staatsgymnasium zu Hermanstadt 18.2
8. reformierten Gymnasium Klausenburg 19.4
9. römisch katholischen Klausenburg 19.8
10. Csik Somlyo 24.5
11. griechisch katholischen Blasendorf [Blaj] 33.1
12. reformierten M. Vásárhely [Marosvásárhely] 34.5
13. römisch-katholischen Sz. Udvarhely [Székelyudvarhely] 41.8
14. unitarischen Klausenburg 42.2
15. Kersztur [Keresztur] 61.9
16. Tchorda 65.8
Das sind wohl Zahlenverhältnisse, die deutlich genug die Schwankungen der verschiedenen Lehrkörper in der Beurtheilung der Schüler, welche die erste Classe mit Vorzug verdienen, beweisen; und doch soll an diese Vorzugsclassen die Befreiung von der Militärpflicht geknüpft sein. Es ist also auch aus dem Grunde wünschenswerth, daß von den Bestimmungen § 20 des neuen Rekrutirungsgesetzes ab- und wieder zu der früheren Bestimmung und Gepflogenheit zurückgegangen werde, wornach die Befreiung von der Militärpflicht für die Studierenden der Gymnasien (und Seminarien) nicht nur an die erste Classe mit Vorzug, sondern an die einfache erste Classe geknüpft ist, weil sich bei dieser letzten Modalität viel leichter eine größere Gleichförmigkeit in der Beurtheilung der Schüler erzielen und also auch leichter die Möglichkeit, allen Schulanstalten ohne Unterschied in gleicher Weise gerecht zu werden, herbei führen läßt. Denn es erscheint außerdem
3. auch als eine Unbilligkeit, wenn beim Festhalten des Grundsatzes, daß nur die Vorzugsklassen von der Militärpflicht befreien, gerade diejenigen Anstalten gleichsam gestraft werden, welche wohl nicht aus übergroßem Mangel an tüchtigen Schülern, die zu guten Hoffnungen berechtigen und sich, wie die Erfahrung gezeigt hat, wohl mit den besser klassificirten Schülern anderer Anstalten messen können, sondern im wohlverstandenen Interesse der Zucht und Wissenschaft beim Geschäfte der Classification mit der nothwendigen größeren Strenge und Genauigkeit vorgehen und gewiß in der Regel solche Zeugnisse ausstellen, auf welche Staat und Kirche bei Beurtheilung der wissenschaftlichen und sittlichen Tüchtigkeit und Brauchbarkeit derjenigen, welche sich der wissenschaftlichen Laufbahn und dem öffentlichen Dienste als Beamte in den höheren Lebenssphären widmen wollen, mit größerer Sicherheit bauen kann. Es steht ganz gewiß wenigstens zu fürchten, daß diejenigen Anstalten, welche jetzt schon, man verzeihe den Ausdruck, die Vorzugsclassen wohlfeiler gegeben haben, aus Rücksicht auf diesen § 20 des neuen Rekrutirungsgesetzes ihren Maßstab für die Beurtheilung derjenigen Schüler, welche die erste Classe mit Vorzug verdienen, noch mehr herunter setzen werden und daß auch bei denjenigen Anstalten, bei welchen bisher gewiß nur zum Wohle des Ganzen eine strengere Observanz in der Classifikation obwaltete, aus Rücksicht darauf, daß von der Ertheilung der Classen die ganze Lebensrichtung der studierenden Jünglinge abhängt und bei dem Gedanken daran, daß die studierende Jugend aus Furcht vor dem § 20 des Rekrutirungsgesetzes die strengeren Anstalten verlassen und dahin laufen wird, wo die Eminenzen billiger gegeben werden – die Gefahr leicht eintreten kann, in ihren Forderungen an die wissenschaftliche Tüchtigkeit der jungen Leute gleichfalls tiefer herabzusteigen und den bisher mit Ehren behaupteten Boden der größeren Strenge und Genauigkeit zu verlassen. Ob aber eine solche Milde, ein so nachgiebiges elastisches Wesen zum Heile der ganzen Entwickelung des seit dem Erscheinen des so vortrefflichen ministeriellen Organisationsentwurfes in so schönem Aufschwunge begriffenen Schulwesens Österreichs gereichen wird, bleibt dem Ermessen eines jeden tiefer und weiter Blickenden überlassen. Wir können wenigstens nicht anders, als mit einer gewißen Besorgnis und nicht ohne Schmerz unsere Überzeugung dahin aussprechen, daß, wenn solche Folgen wirklich eintreten sollten, vielleicht selbst der seit Jahrhunderten behauptete Ruhm unserer siebenbürgisch-sächsischen Schulanstalten, die eben mit durch ihre größere Strenge2 nicht zu den letzten in Österreich gehörten, für die Zukunft in Frage gestellt werden könnte.“
4. „Endlich dürfte noch in Erwägung gezogen werden, daß die Zahl der Studierenden, aus welchen die Beamten für Staat, Schule und Kirche hervorgehen, jetzt schon in Folge der zur Vollendung des Studiums erforderlichen hohen Geldopfer und der doch dabei wenig glänzenden Aussichten für die Zukunft, wenigstens hier in Siebenbürgen eine kaum zureichende ist und daß sich diese Zahl, wenn auch die Befreiung vom Militärsdienst für die Studierenden noch an so erschwerende Bedingungen geknüpft ist, noch mehr verringern werde und das gewiß nicht zum Vortheile der Schule, der Kirche und des Staates. Ist auch unter diesen Verhältnissen nicht fast jedem Jünglinge anzurathen, sich von vornherein lieber einem anderen Berufe zuzuwenden, den er dann auch mit weniger Nachtheil nach Vollendung der Militärdienstzeit fortbetreiben kann, als sich dem Studium zu widmen, wo es ihm auf den verschiedenen Stufen der Studienzeit vielleicht nur aus Mangel an hervorragenden Talenten oder auch durch eintretende Krankheitsfälle und andere Umstände, wie z. B. die Veränderung des Wohnortes, zu der so viele besonders Beamtenfamilien sehr oft genöthiget sind, nicht immer möglich ist, Vorzugsklassen zu erhalten und wo es ihm dann, wenn er trotz seiner wohlverdienten ersten Classen in die Reihen des Heeres eintreten muß, nach vollendeter Dienstzeit, aus allem Zusammenhange herausgerissen, nur sehr schwer oder wohl in den meisten Fällen gar nicht möglich ist, eine sorgenfreie und ehrenvolle Laufbahn in einem wissenschaftlichen Berufe einzuschlagen und zu verfolgen.“
So viel im Auszuge aus der bezeichneten Eingabe der Kronstädter Gymnasiallehrer Conferenz an die höhern Kirchen- und Schulbehörden. In wie weit diese hier und ganz gewiß auch anderwärts in dieser Richtung gethanen Schritte von dem gewünschten Erfolge begleitet sein werden, wird die Zukunft lehren. Als ein erfreuliches Zeichen dafür, daß die von so tief greifenden Wirkungen begleiteten Bestimmungen über die Befreiung der Studierenden von der Militärpflicht einer erneuerten Erwägung an maßgebenden Orten unterzogen werden, muß es begrüßt werden, daß bereits unter dem 29. Dezember vorigen Jahres ein allerhöchster Erlaß erfolgt ist, welcher für die Ergänzung des Heeres in diesem Jahre die früheren Bestimmungen betreffs der Studierenden aufrecht erhält. Hoffen wir von der Weisheit und Gerechtigkeit der allerhöchsten Regierung auch für die Zukunft das Beste für den geistigen Fortschritt und die Culturinteressen des gesammten großen österreichischen Vaterlandes.

S. Schiel
Director des evgl. Gym. zu Kronstadt