Leo Thun teilt Agenor Goluchowski, Statthalter von Galizien, mit, dass
                        die kyrillischen Schriftzeichen in Galizien vorerst nicht abgeschafft
                        werden. Thun erklärt diese Entscheidung, die gegen den Ratschlag von
                        Goluchowski gefallen ist, in der Folge ausführlich und bittet den
                        Statthalter um Verständnis dafür. Als wesentlichen Grund für die
                        Entscheidung führt Thun an, dass eine oktroyierte Abschaffung der
                        kyrillischen Schriftzeichen die Stimmung gegen Österreich nur noch
                        weiter verschärft hätte. Insbesondere der Klerus, der bereits jetzt
                        vielfach einen Anschluss an Russland wünsche, hätte die Maßnahme
                        bekämpft. Thun glaubt daher, dass die Regierung Schritte unternehmen
                        müsse, um den Klerus für sich zu gewinnen. In diesem Sinn bittet er
                        Goluchowski auch, sein allgemeines Misstrauen gegenüber dem Klerus zu
                        mäßigen. Dabei bezieht er sich auch auf den Fall des Lemberger
                        Weihbischofs Litwinovicz, den Goluchowski, aus Thuns Sicht zu Unrecht,
                        wegen antiösterreichischer Ansichten diffamiert hatte. Thun verteidigt
                        außerdem das Konkordat, dem Goluchowski offenbar ebenfalls skeptisch
                        gegenübersteht. Am Ende bittet Thun nochmals um Nachsicht für seine
                        Kritik und um Verständnis für seine Politik.
In der ersten Beilage
                        schildert ein nicht genannter Schreiber die Stimmung in Galizien. Dabei
                        geht er besonders auf den Plan ein, die kyrillischen Buchstaben der
                        ruthenischen Sprache durch lateinische zu ersetzen. Dieser Plan werde
                        besonders vom Statthalter Goluchowski eifrig verfolgt. Der Haustheologe
                        der Familie Goluchowski habe hierzu auch ein Manifest verfasst, das
                        derzeit eifrig diskutiert werde. Die Ruthenen seien unterdessen besorgt,
                        dass die Regierung sie nicht gegenüber der polnischen Mehrheit
                        schütze.
Die zweite Beilage umfasst Notizen Thuns zu einzelnen Akten
                        des Ministeriums für Kultus und Unterricht hinsichtlich der ruthenischen
                        Gymnasien.
Die dritte Beilage beinhaltet Auszüge aus Akten des
                        Ministeriums für Kultus und Unterricht von den Jahren 1857 bis 1860 in
                        Betreff der ruthenischen Orthographie.
Die vierte Beilage enthält
                        einen Auszug aus den Verhandlungen der Beratungskommission zur
                        ruthenischen Sprachenfrage.
Die letzte Beilage befasst sich mit der
                        Situation der ruthenischen Sprache in Galizien. Dabei wird die Stellung
                        des Ruthenischen zu Russisch und Kirchenslawisch behandelt und auch die
                        verschiedenen Versuche der Angleichung an das bzw. die Übernahme des
                        Russischen besprochen. Außerdem wird konstatiert, dass die Entwicklung
                        einer eigenen ruthenischen Literatur in den letzten Jahrzehnten einen
                        kurzen Aufschwung erlebt hatte, nunmehr aber ein Stillstand eingetreten
                        sei. Die Förderung der Sprache seitens des Ministeriums wäre daher
                        notwendig.
Beilagen:
                        Auszug aus einem Brief eines nicht
                           genannten Verfassers vom 25. Mai 1859.
                        Handschriftliche Notizen Thuns zu den ruthenischen
                           Gymnasien.
                        
                        Auszüge aus den Akten des
                           Ministeriums für Kultus und Unterricht, die ruthenische Orthographie
                           betreffend. Mit Anmerkungen Thuns.
                           
                        Auszug aus den Verhandlungen der Beratungskommission zur
                           ruthenischen Sprachenfrage.
                        
                        Ausführungen zur ruthenischen Sprachfrage eines nicht genannten
                           Autors.
                        
Verweis auf A3 XXI D512.
An Graf Goluchowski1
Hetzendorf, 25. Juli 1859
Werthester Freund!
Ich bin Ihnen wahrhaft dankbar, daß Sie sich brieflich gegen mich ausgesprochen
                           haben, weil es mir die Möglichkeit gibt es auch mit voller Offenheit zu thun und
                           doch hoffen zu dürfen, daß unter der Offenlegung wesentlich abweichender
                           Auffaßung in dem was unseres Amtes ist, wenigstens meine freundschaftlichen
                           Beziehungen zu Ihnen, die mir lieb und werth sind, nicht leiden werden. Aus
                           diesem Präambulum werden Sie ersehen, daß ich in der anhängigen Angelegenheit
                           gegen Ihre Meinung entschieden habe. Soeben habe ich die verschiedenen, damit
                           zusammenhängenden Konzepte approbirt und adjustirt und theilweise selbst
                           geschrieben, wahrlich nicht weil ich widernatürliche Bestrebungen unter den
                           Ruthenen in Schutz nehmen oder deren Gefährlichkeit nicht sehen will, sondern
                           weil ich fest überzeugt bin, daß die imperative Veränderung der Schreibweise sie
                           nicht beseitigen, sondern nur steigern würde. Sie werden mir das Zeugnis geben,
                           daß ich in den Versuch aufrichtig eingegangen bin, allerdings aber immer nur in
                           der Erwartung und unter der Voraussetzung, daß es gelingen werde, ihn auf dem
                           Wege der Überzeugung von der Zweckmäßigkeit zur Geltung zu bringen. Der Verlauf
                           der Verhandlung hat diese Überzeugung bei andern nicht erzeugt und in mir selbst
                           mehr geschwächt als gestärkt. Damit will ich sagen: vom ruthenischen Standpunkte
                           aus betrachtet, erscheint mir die Frage der Zweckmäßigkeit mindestens
                           zweifelhaft. Vom österreichischen Standpunkte wäre sicher nichts dagegen
                           einzuwenden, wenn die Ruthenen zur lateinischen Schreibung übergingen, sie aber
                           dazu zwingen zu wollen, sich deshalb mit ihrem Klerus in einen höchst
                           aufregenden Kampf einzulassen, noch viel sicherer ein gewaltiger Mißgriff; der
                           Versuch könnte überdies unmöglich gelingen. Sie sind der Meinung: "Das Volk
                           wünscht es, nur die Sonderpartei ist dagegen." Aber zu dieser "Sonderpartei"
                           rechnen Sie die beiden Ordinariate und Konsistorien und wie Sie mir schreiben
                           "die meisten griechisch-katholischen Geistlichen, weil ihnen ein politischer und
                           religiöser Anschluß an Rußland so ausnehmend zusagt". Nun sind aber nach
                           österreichischer Schulverfassung die Schulen in den Händen der Ordinariate und
                           der Geistlichkeit; was sie mit aller Entschiedenheit nicht wollen, ist also,
                           ohne diese Verfassung zu ändern, nicht zu erreichen. Der Versuch, die
                           lateinische Schrift imperativ durchzusetzen, würde das ganze ruthenische
                           Schulwesen in völlige Verwirrung bringen; und die Wahrheit, daß es an und für
                           sich doch etwas gleichgültiges ist, ob mit diesen oder jenen Buchstaben
                           geschrieben wird; und daß es doch 1000mal besser ist die Leute schreiben zu
                           lassen, wie sie es von jeher gewohnt sind, als deshalb zu Gott weiß was für
                           Maßregeln gezwungen zu werden, ist so einleuchtend und tritt daher allen denen,
                           die von dem philologischen Zusammenhang der ganzen Geschichte gar nichts
                           begreifen, noch um so schreiender vor die Augen, daß ganz zuverläßig alle meine
                           jetzigen, wie alle denkbaren künftigen Kollegen und jeder Kaiser von Oesterreich
                           dem Statthalter und dem Minister, der solches unternehmen würde, sehr bald das
                           Handwerk legen würden.
Daraus wollen Sie ersehen, daß ich aus eigener
                           Überzeugung und nicht etwa blos unter dem Einfluße von dem a. oder b. die Idee
                           der Einführung lateinischer Lettern fallen lassen muß, so leid es mir thut,
                           dadurch Ihrer Ansicht entgegenzuhandeln und Sie einigermaßen zu kompromittieren.
                           Noch viel schwereren Kummer macht es mir aber zur klaren Einsicht gelangt zu
                           sein, daß diese Meinungsverschiedenheit nur die Folge einer viel allgemeineren
                           und tiefer liegenden ist. Sie perhoresziren den ruthenischen Klerus im
                           Allgemeinen und Sie sind – wie Sie dem Jireček offen erklärt haben – Josephiner. Das treibt Sie
                           nothwendig in eine Bahn, die nach meiner Überzeugung eine erfolgreiche heilsame
                           Regierung Galiziens unmöglich macht oder
                           vielmehr, es hat Sie längst in diese Bahn getrieben und hat Sie den Ruthenen
                           gegenüber in eine Stellung gebracht, aus der ich keinen Ausweg mehr
                           sehe.
Ich bin weit davon entfernt Ihre Gegner unter dem ruthenischen Klerus
                           weiß waschen zu wollen. Es sind darunter leidenschaftliche hochfahrende
                           Parteimänner; die – gelinde gesprochen – Unregelmäßigkeiten, die im Jahre 1848
                           ungerügt blieben, haben dazu beigetragen sie unfügsam und schwer zu behandeln zu
                           machen. Ich glaube es auch – obwohl mir vollgiltige Beweise noch nicht
                           vorgelegen sind – daß sich unter der ruthenischen Geistlichkeit manche befinden
                           mögen, die zum Schisma und zur russischen Regierung hinneigen, daß Sie aber
                           wiederholt Vorwürfe, die gegen einzelne gerecht sein mögen, generalisiren und
                           dem ruthenischen Klerus im Allgemeinen machen, ist – verzeihen Sie mir meine
                           offene Sprache – sehr ungerecht und eben deshalb außerordentlich verletzend. Und
                           wenn man Leute, die auf einer niederen Stufe geselliger Bildung stehen,
                           ungerecht verletzt, so kann es nicht fehlen, daß ihre Fehler sich steigern. Die
                           Verhältnisse der Ruthenen den Polen gegenüber müssen sie dazu treiben, daß sie
                           entweder auf die österreichische Regierung und dann auch auf
                           Rom oder auf die russische Regierung ihre Zuversicht
                           für die Zukunft setzen. Mir scheint es in allerhand Thatsachen begründet, daß
                           Hinneigung nach Rußland – abgesehen von
                           einzelnen verdrehten Köpfen, deren es überall gibt – anders als aus Verzweiflung
                           nicht entstehen könnte und in einem irgend Gefahr drohenden Maaße nicht
                           vorhanden sei. Sind Sie aber auch der entgegengesetzten Meinung, so folgt doch
                           nur daraus, daß die österreichische Regierung um so mehr bemüht sein sollte,
                           durch Wohlwollen und Vertrauen die Gemüther zu gewinnen und nicht auf bloße
                           Verdachtsgründe hin die Leute von sich abzustoßen. Gegen den Einzelnen, der sich
                           durch solche notorische Thatsachen kompromittirt hat, daß niemand ihn in Schutz
                           nehmen kann, werde mit Strenge vorgegangen; wer sich aber bereitwillig zeigt,
                           mit der Regierung und mit der Kirche zu halten (wie z. B. L. Litwinovicz) dem werde Vertrauen
                           geschenkt und selbst denen, die verdächtig scheinen mögen, werde der Verdacht
                           nicht gezeigt, in so lange er nicht in bewiesenen Vorwurf übergeht. Namentlich
                           die kirchliche Gesinnung zu verdächtigen ist für die Regierung eine äußerst
                           mißliche Sache; das überlasse sie doch lieber der kirchlichen Autorität, die
                           sich schon selbst vorzusehen wissen wird. Das schließt nicht aus offene Augen zu
                           haben und was man zu sehen glaubt am rechten Ort mitzutheilen; aber den
                           Betheiligten gegenüber sich selbst das Urtheil darüber anzumaßen steht der
                           weltlichen Gewalt nicht zu und frommt ihr nicht.
Die große politische
                           Bedeutung des Konkordates – abgesehen von der moralischen Bedeutung der
                           Verwerfung der mit der christlichen Wahrheit unvereinbaren und die Kirche
                           untergrabenden febroninischen Grundsätze – liegt darin, daß es denjenigen, denen
                           der Herr die Regierung seiner Kirche übertragen hat, es möglich macht wieder
                           aufrichtig an die österreichische Regierung sich anzuschließen und ihren
                           moralischen Einfluß auf das Volk für sie geltend zu machen. Daß die katholische
                           Geistlichkeit einen großen Einfluß auf die Gläubigen habe, ist in der Ordnung;
                           er wird im Verlaufe der Dinge immer der Sache des Rechts förderlich sein.
Es
                           ist eines der naturgemäßen und der einflußreichsten konservativen Elemente im
                           sozialen Organismus; darum wehe der Regierung, die ihn zu zerstören versucht. Er
                           kann in der Hand sündiger Menschen, die wir alle miteinander sind, ausarten;
                           dann wird man recht thun der Ausartung entgegenzutreten, – aber niemals die
                           Wurzel angreifen. – Sind Sie mit diesen Ansichten nicht einverstanden, so
                           bedenken Sie gleichwohl, daß nicht ich das Konkordat
                           geschlossen habe – sondern der 
                              Kaiser
                               und daß es seinem entschiedenen Willen
                           entgegengehandelt ist, wenn nicht im Geiste desselben vorgegangen wird.
Ich
                           kann leider nicht mehr daran zweifeln, daß Sie es sich wirklich zur Aufgabe
                           gestellt haben, das ruthenische Volk dem Einfluße seiner Christlichkeit zu
                           entziehen und ebenso den Einfluß der Ordinariate auf die Geistlichkeit zu
                           lähmen, das Ansehen der Ordinariate und der Geistlichkeit nicht zu heben,
                           sondern zu schwächen. Ich halte das für einen unseligen Mißgriff, der keinen
                           andern bleibenden Erfolg haben kann als einen destruktiven.
Vielleicht
                           lassen Sie meine Argumentation – wenn es schon sein muß – gelten für die
                           lateinische Kirche, aber nicht für die unirte. Aber der Kaiser und der Papst haben mit vollem Bewußtsein diese wie jene dabei vor Augen
                           gehabt und uns steht es daher nicht zu einen Unterschied zu machen. Über den
                           Punkt hätte ich noch vieles zu sagen, was aber, so lange das Gesagte nicht auf
                           Ihre Überzeugung wirkt, ohnehin vergeblich wäre und überdies zu weit führen
                           würde.
Mir war es ein Bedürfnis mich offen gegen Sie auszusprechen,
                           wenigstens werden Sie es hoffentlich mir dann minder verargen und nicht davon
                           überrascht sein, wenn ich, wie es geschehen muß, in mehr als einer Angelegenheit
                           so wie in der Frage der Schrift, Entscheidungen fälle oder allerhöchsten Ortes
                           befürworte, die Ihren Anträgen zuwider und Ihnen außerordentlich unangenehm
                           sind.
Können Sie unter diesen Umständen in meinen Ideengang noch eingehen,
                           so bitte ich Sie auf das Angelegentlichste, suchen Sie mit Litwinovicz aufrichtigen Frieden zu
                           machen und schenken Sie ihm Vertrauen. Über seinen moralischen Werth wird der
                           liebe Gott richten; daß er aber thatsächlich der katholischen Kirche und
                           Oesterreich ergeben ist, daß er überdies die üblen Seiten
                           seines Kapitels und seines Klerus sehr wohl sieht, daß er bestrebt ist sich, wie
                           es einem Bischofe geziemt, nicht von jenem beherrschen zu lassen, dessen bin ich
                           vollkommen sicher. Dazu bedarf er aber Unterstützung. Ich verlange von Ihnen
                           nicht mehr als eine negative; ein plötzlicher Anschlag würde die Schwierigkeiten
                           wahrscheinlich nur vermehren. Aber geben Sie es auf gegen ihn Verdacht zu
                           zeigen, dem Glauben Nahrung zu geben, daß bei Ihnen mißliebig wird, wer sich ihm
                           anschließt etc.
Es ist mir leid, daß dieser Brief erst nach meiner Entscheidung in Ihre Hände gelangt; es war mir aber in
                           diesen Tagen unmöglich ihn zu vollenden.
Aufrichtig der Ihrige
Thun
Geschlossen den 29. Juli
Auszug aus einem Briefe aus Lemberg vom 25. Mai 1859
Gleich am ersten Tage als das Machwerk des J[ireček]
                              2mittelst Präsidialschreibens uns allen und auch dem Direktor
                              Janowski zugstellt wurde,
                              berief zuerst Czerkawski,
                              dann auch Graf Gol[uchowski]
                              den Janowski zu sich; ersterer
                              redete ihm auf das dringendste zu, diese Angelegenheit, welche bereits die
                              entschiedenste Regierungsmaßregel sey, nach aller
                              Kraft zu fördern, am allerwenigsten aber sich beikommend zu lassen selbe zu
                              bekämpfen; dabei würde ihm ausdrücklich und zu
                              wiederholten Malen seine Stellung als Staatsbeamter unter die Nase gerieben.
                              Jan[owski] gab darauf eine
                              ruhige und seines bewährten Characters vollkommen würdige Antwort, was dann
                              zur Folge hatte, daß der Herr
                                    Graf sich selbst herbeiließ ihn zu belehren, daß er als
                              Beamter nur die Interessen der Regierung zu wahren habe, sich aber am
                              allerwenigsten beikommen lassen dürfe, irgend einem andern Einfluße
                              nachzukommen. Nachdem ihm solches in deutscher Sprache gesagt worden, hat
                              der Herr Graf noch auf
                              polnisch mehrere Witze gegen die Ultras vom St. Georg ("ultrasy
                              świętojurskie") (St. Georg ist die griechisch-katholische Domkirche in
                              Lemberg) losgelassen und die Erwartung
                              ausgesprochen, daß Jan[owski]
                              sich hüthen werde eben jetzt in irgend eine Berührung mit ihnen zu treten,
                              "bo ja wiem ze tam warzy sir znow stawna "Rada ruska" (denn ich weiß, daß
                              dort wieder der famose "ruthenische Rath" kocht).
                              Czerkawski ist wüthend; ... man
                              erzählt, daß er sich wie wahnsinnig geberdet, beständig
                              in den Klassen der hiesigen Gymnasien herumlauft, die ruthenischen
                              Gymnasiasten ohne alle Ursache bald lobhudelt, bald wüthend anfällt,
                              besonders aber die ruthenischen Lehrer und gar schon unsere Katecheten auf's
                              Korn genommen hat; letzteren hat er ausdrücklich gedroht,
                              daß er sie alle "wegblasen" werde.
Nachstehende wohl
                              verbürgte Notizen dürften sowohl Ihnen als auch dort oben nicht
                              uninteressant sein.
1. Es ist hervorgekommen und kann durch Zeugen
                              konstatirt werden, daß der Jesuit Baworowski – (ohne einen Jesuiten geht es nun einmal in den
                              Schicksalsschlägen für uns nicht ab) – bekanntlich ein Onkel der Gräfin Gol[uchowski] und Haustheolog
                              des Grafen in allen Streichen gegen uns und unseren Ritus – ein dickleibiges
                              Manuskript über die Ruthenen, ihren Ritus und – notabene – über die
                              ruthenische Sprache sammt dem Vorschlage zur Umstaltung der letztern
                              mittelst des lateinischen Alphabets noch im Sept. vorigen Jahres in dem
                              hiesigen Ossoliński'schen Institute von einem gewissen Kamiński – meinem verrufenen
                              Erz-Revolutionär und Mitsudler an dem Schandblatte "Kuryer" vom Jahr 1848 –
                              hat mundiren lassen, wobei Czerkawski tagtäglich die Arbeit beaufsichtigend,
                              korrigirend und betreibend erschienen war, besonders aber sich geschäftig
                              zeigte, um dieses Machwerk mit Beilagen auszustatten, nach denen er überall,
                              hauptsächlich aber in den Basilianer Klöstern zu
                              Lemberg, Buczacz und
                              Krechów herumgespurt und jeden
                                 Wisch konfiscirt hat, den nur irgend ein simpler Basilianer in
                              ruthenischer Sprache mit polnischen Buchstaben
                              niedergeschmiert hat. Das Manuskript des Baworowski wurde in dem Ossoliński'schen Institute von den
                              Koryphäen des radikalsten Polenthums mehreren Berathungen und vielfachen
                              Korrekturen unterworfen und mußte zweimal abgeschrieben
                              werden.
2. Graf
                                    Gol[uchowski] machte die krampfhaftesten Anstrengungen eine
                              Loyalitätsadresse des polnischen Adels zu Stande zu bringen. Anfangs Mai
                              wurde Graf Rusocki, ein
                              Busenfreund, beauftragt die Sache in den hiesigen Adels-Casino anzuregen,
                              fiel aber damit so total durch, daß er, der sonst
                              Lemberg nie verläßt, sich schleunigst auf's Land
                              flüchten mußte. Graf
                                    Gol[uchowski] berief nun einige Adelige zu sich und hielt
                              ihnen einen Sermon, worin folgender Passus – übrigens ganz
                                 verbürgt – besonders betont wurde: "Upokorzyłem największych wrogów
                              waszych i sprawy polskiej w Kraju; daliście mi słowo, iż moje dążności nietylko niczem
                              paraliżować nie będziecie, coby moje stanowisko w obec rządu
                                 (!) utrudniało, ale owszem wspierać chcecie zupełną harmoniją z rządem (!) dalsze kroki (!), a teraz, gdy właśnie najważniejszy krok uczynić pozostaje, urojiliście sobie
                              niepotrzebną i zgubną demonstracyę." (Ich habe eure und der
                                 polnischen Sache im Lande größten Feinde gedemüthiget; ihr habt mir euer Wort gegeben, daß ihr meine
                                 Tendenzen nicht nur durch Nichts paralysiren werdet, was meine
                              Stellung der Regierung gegenüber (!) erschweren würde,
                              sondern vielmehr in voller Übereinstimmung mit der
                                 Regierung (!) meine weiteren Schritte
                              unterstützen wollet; und jetzt, wo eben der wichtigste
                                 Schritt zu thun noch übrig bleibt, fällt euch ein eine unnütze und
                              verderbliche Demonstration zu machen.")
Und doch half auch dieses nicht;
                              die Adresse wurde unter den bittersten Ausfällen gegen die Regierung
                              abgelehnt; die Polen verließen Lemberg und
                              wallfahrten nun scharenweise nach
                                 Dresden
                                 , wo, wie man hier allgemein
                              spricht, eine Hauptberathung über die "polnische Sache"
                              unter den jetzigen Umständen stattfinden soll. Also so weit sind wir
                              gekommen, daß wir an die Polen förmlich verschachert werden!
3. Man
                              scheint dort oben eine Aufregung unter den Ruthenen für wenig wahrscheinlich
                              zu halten und Graf
                                    Gol[uchowski] scheint darüber die beruhigendste Bürgschaft
                              geliefert zu haben. Nun habe ich Ihnen letzthin schon geschrieben, daß die
                              Kunde des Gewaltstreiches sich mit Blitzesschnelle allenthalben verbreitet
                              und eine unsägliche Bestürzung in allen Schichten unserer Bevölkerung
                              verursacht hat; die polnische Partei breitet diese Stimmung besonders unter
                              dem Landvolke aus und man berichtet mir durch den Pfarrer Izak aus
                              Koniuchi, daß im Brzezaner Kreise [Bezirk Brzeżany] eine furchtbare
                              Aufregung der Bauern gegen unsere Geistlichkeit sich kund
                              gebe und das Kreisamt zu außerordentlichen Maßregeln zum Schutze der persönlichen Sicherheit einiger ruthenischer Pfarrer
                              veranlaßt habe. ...
Dieser Tage war der Klostervorsteher Koßak [Kossak] aus
                              Krechów (5 Meilen von
                              Lemberg im Zolkiewer Kreis [Bezirk Żółkiew]) eigends deswegen nach
                              Lemberg gekommen, um sich – was er auch gethan
                              hat – hier im Consistorium zu erkundigen, was denn gegen die Ruthenen
                              losgegangen sei? Das große und schöne Kloster Krechów ist ein weit berühmter
                              Wallfahrtsort wegen dem Wunderbilde des hl. Nicolaus; am 21. Mai, als dem
                              Feste dieses Heiligen, pflegen daselbst an zehntausend Menschen aus allen
                              Gegenden zusammenzuströmen. ... Heuer war die Versammlung – womöglich –
                              zahlreicher denn je. Und nun berichtet Koßak, daß zuerst der dort anwesende Klerus in einer
                              namenlosen Bestürzung durch zwei Tage von nichts anderem sprach und an
                              nichts anderes zu denken schien, als nur an das Attentat, von welchem
                              übrigens die abentheuerlichsten Versionen von den Polen
                                 verbreitet wurden. Selbst die von dem Dechant Kalitowski nach einer sichern Notiz
                              aus Przemysl gegebene Aufklärung, um was es sich
                              eigentlich handelt, vermochte die aufgeregten Gemüther des Klerus nicht zu
                              beschwichtigen; im Gegentheile machte sich niemand darüber Illusionen, daß
                              durch diesen Streich die Axt an die Wurzel unseres Volkslebens gelegt wird
                              und daß dem Gelingen dieses Streiches eine Reihe anderer
                              Gewaltstreiche auf alle Zweige unserer Existenz gewiß
                              nicht ausbleiben werden. Aber noch mehr! Bauern und Stadtler drängten sich
                              in die Sakristei und in die Klosterzellen zu den Mönchen und fragten
                              ängstlich, was denn gegen die Ruthenen von
                                 Wien aus angeordnet sei? Man glaubt
                              unter dem Volke an nichts Geringeres als an das gänzliche Preisgeben der
                              Ruthenen an die Polen, an die Wiedereinführung der polnischen
                              Oberherrschaft, Mandatare, Robot u. dgl. Viele weinten bitterlich und
                              sprachen die Befürchtung aus, daß sie wahrscheinlich niemals mehr den hl.
                              Nicolaus in Krechów werden verehren können, denn ein polnischer Lump, der
                              sich unter die Menschenmenge eingeschlichen hatte, möglicherweise ein
                              polnischer Emissair, habe behauptet, daß der Kaiser alle ruthenischen
                              Klöster und Kirchen aufheben werde u. dgl. Daß übrigens sowohl ich als die
                              Domherrn mit mündlichen und schriftlichen Anfragen über das Verhängnis von
                              Seite des Klerus förmlich bestürmt werden, ist eine selbstverständliche
                              Thatsache. So stehen wir. Wenn dies Alles nicht ein planmäßiges Attentat auf die Ruhe dieser Provinz ist, so weiß ich
                              nichts weniger zu sagen. Videant superi! Das kleine herabgeschmo[lzene]
                              Häuflein der sogenannten Gutgesinnten unter den Beamten
                              ist wie gelähmt und spricht sich in abgebrochenen Sätzen gerade so aus wie
                              zur Zeit der polnischen Klubtyrannei von 1848, als der infame Dobrźanźki
                              [Dobrjanský] sich zum Haupte
                              dieser Provinz proklamirt hatte. Selbst der Hofrath Mosch, der verschlossenste Mann, den ich
                              kenne, äußert sich unumwunden dahin, daß er die ganze Sache rein nicht
                              begreife und gar nicht absehe, wohin das Alles noch hinführen werde. ...
Aber sagen Sie mir doch um Gotteswillen! Ist man denn dort in Wien vollends mit Blindheit geschlagen? Der kaiserlich-patentirte Carbonaro und Erzräuber von Corsica kündigt Oesterreich einen Kampf auf Leben und Tod für unterdrückte Nationalitäten an und in Wien weiß man nichts Besseres und Gescheidteres darauf, als eine der harmlosesten Nationalitäten des Kaiserreiches auf den Tod zu hetzen und gegen ihr[e] Abc-Bücher zu Felde zu ziehen. Gott bessere es!
In ruthenischen Angelegenheiten
18634 [1]855
Ministerialerlaß mißbilligt den schriftlichen Verweis, der
                              dem Lemberger Gymnasiallehrer
                              (ruthenischer Priester) Basil
                                    Ilnicki ertheilt worden war, weil er dem Schüler [?] nicht
                              hatte die Vorzugsklasse geben wollen.
8721 [1]855
Ministerialerlaß,
                              daß dem Eustach Harasymowicz
                              (ruthenischer Priester), welcher Supplent in Sambor
                              gewesen, dort ohne Befähigung für Geschichte verwendet worden war, dabei
                              Taktlosigkeiten begangen hatte und deshalb entfernt worden war, die Aussicht
                              auf Verwendung im Lehrfache, wenn er sich gehörig dafür [?], nicht
                              abzusprechen sei.
272/CUM [1]855
Untersuchung über Disziplinarfall
                              in Sambor, der zu Entfernung von Harasymowicz Anlaß
                              gab.
Mehrere ruthenische Schüler hatten Versammlungen gehalten, um gegen
                              einen polnischen Losinski [?] Klage zu führen. Von Letzterem schändliche
                              Gotteslästerung nachgewiesen. Er hatte politische Dispute über die damalige
                              Lage (Frage im russischen Krieg) provozirt. Die Ruthenen sich dabei mehr
                              oder weniger russisch aussprachen. Damit wurde großer Lärm wegen schlechter
                              politischer Gesinnung, panslawistischen Umtrieben gemacht. Nebst Losinski
                              [?] die Ausschließung von 5 ruthenischen Schülern von allen Gymnasien
                              beantragt. (Letzreres vom Ministerium nicht genehmigt.) Nebstbei
                              hervorgehoben, daß der Einfluß der ruthenischen Geistlichkeit bedenklich sei
                              und sie deshalb möglichst vom Lehramt werden fern gehalten
                              werden!
301/CUM [1]855
Aus diesem Anlaße auch Erhebung, warum die
                              Ruthenen bei der Messe nicht knien.
18590 [1]858
Das
                              griechisch-katholische Ordinariat hatte dagegen Einsprache erhoben, daß
                              griechisch-katholische Schüler am Franz-Joseph-Gymnasium dem
                              lateinisch-katholischen Katecheten zugewiesen werden. Die Statthalterei
                              erklärt diese Einsprache für unzuläßig!
Besondere Bemerkungen:
ad
                              18593 [1]858 Beleuchtung und Begründung des Mißtrauens der Ruthenen gegen
                              Goluchowski (stützt sich
                              auf Akten und ist sehr beachtenswerth)
ad 1800 [1]858 Beleuchtung der
                              Vorgänge Czerkawskis
                              bezüglich der Aufnahme ruthenischer Schüler am Franz-Joseph-Gymnasium
ad
                              3817 [1]860 Beleuchtung des Berichtes über die Einsprache des Lemberger
                              Gemeinderathes gegen den Ministerialerlaß, daß an das Franz-Joseph-Gymnasium
                              keine ruthenischen Schüler aufgenommen werden sollen.
1084/CMU [1]860
                              Bemerkungen über Czerkawskis
                              ruthenisch-polnischen Lehrplan
3870 [1]859 Bemerkungen über die
                              Behauptung, daß ruthenische Lehrer sich durch Anwendung eines aus dem
                              kirchenslawischen und dem ruthenisch gemischten Idioms dem großrussischen
                              zuneigen.
Jahr 1857
554/CUM
Oberste Polizeibehörde macht auf die Nothwendigkeit aufmerksam,
                              eine gleichförmige und von der russischen Sprache prägnant unterschiedene
                              Schreibart für das Ruthenische zu stabilieren.
1632 CUM
Rüge an
                              Prof. Glowacer, daß er die Verbreitung der
                              großrussischen Sprache unter den Ruthenen fördere und Mißbilligung dieser
                              Tendenz
Jahr 1858
418/CUM
Bericht des Statthalters für
                                    Galicien, "Ich halte die Einführung der lateinischen
                              Schriftzeichen in der ruthenischen Sprache dermalen für so wichtig, daß ich
                              nicht umhin kann Euer Excellenz angelegentlichst zu bitten, die bereits im
                              Erlasse vom 27. April vorigen Jahres Z. 5308 in Anregung gebrachte
                              theilweise Anwendung derselben in den Schulbüchern in einem möglichst ausgedehnten Maaße durchführen zu lassen und zugleich
                              beim Justizministerium dahin wirken zu wollen, daß die Herausgabe des
                              Landesregierungsblattes in ruthenischer Übersetzung mit lateinischen
                              Schriftzeichen angeordnet werde." (eingeschlagen)
In
                              dem Erlasse wird auf dieses Einrathen eingegangen, der Gegenstand jedoch
                              einer besonderen Verhandlung vorbehalten. (Eingeschlagen)3
                              
1358/CUM
Erster Entwurf, wie das Ruthenische mit
                              lateinischen Schriftzeichen zu schreiben wäre, an den Statthalter
                              gesendet
1510/CUM
Gutächtlicher Bericht darüber.
Erlaß: Die
                              Commission hat in Lemberg zu berathen. Es sollen von
                              der Theilnahme davon solche Männer, welchen Sachkenntnis und redliches
                              Streben für die Hebung der ruthenischen Literatur nicht abgesprochen werden
                              kann, deshalb weil von ihnen Widerspruch zu erwarten steht, nicht
                              ausgeschlossen werden. Es sei vielmehr wünschenswerth, daß in der Commission
                              alle redlich genannten Bedenken und wirklich bevorstehende Schwierigkeiten
                              der Durchführung schon zur Sprache kommen, um in vorhinein erwogen werden zu
                              können.
Jahr 1859–1858
2. 23/CUM
Antrag wegen Ernennung der Commissionsmitglieder.
1.
                              1603/CUM
Erledigung der bezüglich der Pflege der ruthenischen
                              Volkssprache erlassenen Hirtenbriefs. Conf 488 – 58
Jahr 1859
634/CUM
Anordnung wegen Beginn der kommissionellen Berathungen.
(23/5
                              717/CUM
Erlaß an den Statthalter über die bei der Berathung einzunehmende
                              Haltung.
"Ich ersuche Euer Excellenz auch bei der Leitung der
                              bevorstehenden Berathungen der Meinungsäußerung der Mitglieder den freiesten
                              Spielraum zu gewähren und die Vorlage aufrichtig nicht als eine beschlossene
                              Sache, sondern als einen zwar wohldurchdachten und mit der Überzeugung
                              seiner Zweckmäßigkeit gemachten, aber bezüglich seiner Details sowohl als
                              seiner Ausführbarkeit im Allgemeinen noch von den Ergebnissen der Berathung
                              abhängigen Vorschlag zu behandeln."
959/CUM
Erledigung der
                              kommissionellen Vorlagen. (Gedruckt)
Begründung
                              derselben an den Statthalter.
862/CUM
Übersichtliche Darstellung des
                              ganzen Vorganges an das Ministerium des Innern und die oberste
                              Polizeibehörde.4
                              
1080/CUM
Kritik des vom
                              Statthalter an die
                              politischen Unterbehörden bezüglich der ruthenischen Schreibweise erlassenen
                              Cirkulars.
1186/CUM
enthält den Bericht des Ministerialsekretärs
                              Jireček über die
                              Commissionsverhandlung und als Einleitung einen Überblick der Sachlage unter
                              den Ruthenen.5
                              
1090/CUM
                              Statthalter für Galicien mit
                              mehreren Berichten der Unterbehörden über die Stimmung des Volks gegenüber
                              der ruthenischen Schriftfrage.
Note an das Polizeiministerium, worin die
                              Auffassung der ruthenischen Verhältnisse in dem Berichte des galicischen Statthalters beleuchtet
                              wird.6
                              
Jahr 1860
1113/CUM
Note des Ministers des
                                    Innern, womit die Miteinführung der lateinischen
                              Schriftzeichen in den ruthenischen Bukwar vom neuen bevorwortet wird.
II.
1859
1438/CUM
Bericht des galicischen Statthaltereipräsidiums, enthaltend den
                              Antrag, daß für den ämtlichen Geschäftsverkehr der Gebrauch lateinischer
                              Schriftzeichen in ruthenischen Eingaben und Erledigungen angeordnet
                              werde.
Abgetreten an das Ministerium des Innern.
1860
61/CUM
Note des Ministers des
                                    Innern, womit die wegen der Geschäftssprache in Galicien getroffenen Verfügungen mitgetheilt
                              werden.
III.
1859
1410/CUM
Erlaß an die galicische Statthalterei wegen Entwerfung
                              ruthenischer Schriftvorlagen.
Dem darin enthaltenen Auftrage ist bisher
                              nicht entsprochen worden.
Einwendung des Erzbischofs:
Die Kinder werden durch den Unterricht nach der
                              neuen Orthographie nicht befähigt kirchenslawische Bücher zu lesen.
                              
Entgegnung: Die ruthenische Sprache bedarf nicht aller jener
                              Schriftzeichen, welche für das Kirchenslawische erforderlich sind.
Wenn
                              die Kinder ruthenisch lesen lernen, genügen ihnen die für das Ruthenische
                              nothwendigen Buchstaben.
Damit sie aber dennoch befähigt werden auch die
                              im kirchenslawischen gewöhnlichen, dem Ruthenischen fremden Buchstaben
                              kennen zu lernen, ist dem Bukwar eine Anleitung dazu beigegeben.
Damit
                              ist dem Bedürfnisse viel besser gedient, indem man gleichartiges von
                              ungleichartigem scheidet.
Dasselbe Bedürfnis kirchenslawisch lesen zu
                              lernen, waltet auch unter den Serben vor und doch ist gegen die Einrichtung
                              der Fibel, welche jener der ruthenischen ganz gleicht, keine Einrede erhoben
                              worden.
                              Einwendung: Die orthographischen Änderungen werden, ohne
                              sich zur Überlegung Zeit zu lassen, von der Commission beschlossen.
                              Entgegnung: Die von Malinowski beauftragten Änderungen waren nicht neu, sondern
                              in der ruthenischen Versammlung im Jahr 1848 durch Stimmenmehrheit
                              angenommen worden. Die Commission hat daher nicht etwas Neues, sondern etwas
                              durch eine frühere kompetente Versammlung Beschlossenes angenommen.
                              Einwendung: Durch die neue Orthographie ward die ältere
                              ruthenische Literatur von der jüngeren geschieden.
                              Entgegnung: In allen europäischen Sprachen haben Änderungen der
                              Orthographie stattgefunden, ohne daß dadurch der vom Erzbischofe befürchtete
                              Nachtheil eingetreten wäre. Die Böhmen haben z. B. nicht blos die
                              Schreibweise, sondern auch die Schrift geändert, sind in orthographischer
                              Beziehung viel weiter gegangen, als es im Ruthenischen geschehen ist.
                              Dasselbe gilt von der deutschen Orthographie etc.
Auch die Ruhenen in
                              Kleinrußland haben ihre Orthographie in der letzten Zeit bedeutender
                              geändert, als die Lemberger Commission
                              beantragte, und doch kann man ihnen nicht nachsagen, sie hätten ihre
                              Literatur von der älteren abgetrennt.
Die Buchstaben, welche von der
                              Commission ausgeschieden wurden, sind k (ja-je), б (das Erhärtungszeichen am Ende der Worte, wo es keine
                              Bedeutung hat), є (je), wofür von ѥ
                              nach älteren ruthenischen Drucken aufnahm, und ë (io),
                              wofür ĭo angenommen ward, indem ĭo
                              jedenfalls den Laut js besser bezeichnet als ein mit zwei Punkten versehenes
                              ë. Endlich wurde der Buchstabe (zělo) ѯ ausgeschieden, der ohnedies von den wenigsten Schriftstellern
                              angewendet wird.
Zu der ruthenischen Sprachfrage
Die ruthenische Literatur, deren Entfaltung in den ersten Jahren dieses
                              Decenniums wir mit theilnehmender Freude begrüßt hatten, ist nun seit
                              einiger Zeit in einen desolaten Stillstand gerathen, dessen Fortdauer in
                              keiner Beziehung als gleichgiltig angesehen werden kann.
Die Ruthenen
                              hatten bis in die Vierziger Jahre äußerst wenige Volksschulen. Die Bildung
                              des Volkes und somit auch dessen materieller Zustand stand auf einer
                              ziemlich niederen Stufe. Seitdem wurden zahlreiche Volksschulen mit
                              ruthenischer Lehrsprache errichtet und die rege Theilnahme, welche
                              namentlich der Landmann daran nimmt, berechtiget zu den besten Hoffnungen
                              hinsichtlich des Gedeihens der nächsten Generation. Allein mit der
                              Volksschule ist die Volksbildung nicht abgeschlossen. Das heranwachsende
                              Geschlecht, welches bereits einen geregelten Unterricht genossen hat, bedarf
                              weiterer Bildungsmittel, diese kann ihm aber keine andere Literatur biethen
                              als die seiner Muttersprache. Auf populäre Schriften in anderen Sprachen
                              kann man den Landmann nicht verweisen. Ohne ein volksbildendes Schriftthum
                              liefert die Volksschule immer nur Erfolge, welche vergrabenen Schätzen
                              gleichen.
Diese Erwägung legte es besonders der obersten Unterrichtsbehörde
                                    des Reiches nahe, nach den Gründen zu forschen, welche den
                              oben bemerkten Stillstand der ruthenischen Literatur herbeigeführt haben und
                              auf Mittel zu denken, um dieselben in heilsamer Weise zu beseitigen.
                              
Überblickt man die ruthenische Literatur des laufenden Decenniums, so
                              kann es nicht entgehen, daß die Stockung von den Bestrebungen einiger
                              Literaten datirt, die Pflege der Volkssprache zu verdrängen, dafür aber die
                              großrussische Schriftsprache bei den Ruthenen einzubürgern. Die überwiegende
                              Mehrzahl der Gebildeten war weit entfernt diese Richtung zu billigen und die
                              Versuche, die wiederholt gemacht wurden, um ihre Bahn zu brechen, gingen in
                              Galicien größtentheils an Mangel
                              an Theilnahme ein. Aber es läßt sich nicht verkennen, daß in Folge dieser
                              Thatsache eine gewisse Rathlosigkeit gerade in jenen literarischen Kreisen
                              eintrat, welche zu der Einführung des Großrussischen nie ihre Zustimmung
                              gegeben hätten.
Man hatte für das Ruthenische in allen wesentlichen
                              Stücken die hergebrachte Orthographie des Kirchenslawischen beibehalten; man
                              fand es ganz natürlich aus der ausgebildeten liturgischen Sprache Wörter
                              herüberzunehmen, ohne an die Nothwendigkeit zu denken, daß ihnen, wenn sie
                              anders als ruthenisch gelten sollen, jene Form gegeben werden muß, welche
                              den Gesetzen der ruthenischen Laut- und Wortbildungslehre zusagt. Durch
                              diesen Vorgang gerieth aber die ruthenische Volkssprache in Gefahr in jenen
                              Entwicklungsgang zu gerathen, den die großrussische Schriftsprache
                              durchgemacht hat.
Die großrussische Schriftsprache hat sich nicht aus
                              der Volkssprache allein, sondern aus dieser und der Kirchenslawischen
                              herausgebildet. Auch sie gebraucht eine Orthographie, welche dem
                              Kirchenslawischen entnommen ist.
Die Gemeinsamkeit der Orthographie im
                              Großrussischen, Ruthenischen und Kirchenslawischen konnte nicht verfehlen
                              Irrungen herbeizuführen, welche, wenn ihnen auch jede Absichtlichkeit ferne
                              lag, geeignet waren, die ruthenische Sprache in falsche Bahnen zu bringen.
                              Die Gefahr war um so größer, als es aus sehr natürlichen Ursachen, deren
                              Schuld am allerwenigsten den Ruthenen zugeschrieben werden kann, im
                              Allgemeinen an einer gründlichen Einsicht in das Wesen der eigenen
                              Volkssprache gebrach und das Kirchenslawische nicht nur durch den
                              liturgischen Gebrauch, sondern durch eine jahrhundertelange Übung heimisch
                              geworden ist, daß man dasselbe mit demselben Namen wie die Volkssprache
                              bezeichnete. Man war sich dieses Zustandes mehr weniger klar bewußt, fühlte
                              dessen Druck, aber war außer Stande, selbst Abhilfe zu schaffen. Da zogen es
                              dann die meisten Schriftsteller vor lieber ihre Arbeiten bei Seite zu legen,
                              als sich Vorwürfen auszusetzen, denen entgehen zu wollen, sie allerdings
                              Grund hatten, und es trat jener oben charakterisierte Zustand ein, welcher
                              unter den Ruthenen für lange Zeit hin beinahe alle literarische Thätigkeit
                              vernichtet haben würde.
Unter den gegebenen Verhältnissen war nur Ein
                              Mittel geboten um die Schwierigkeiten zu bannen und die Volkssprache in der
                              Literatur wieder zur vollen Geltung zu bringen, nämlich die Orthographie so
                              zu regeln, wie dies dem Wesen der ruthenischen Sprache zusagt. Nur dadurch
                              konnte man in weiteren Kreisen am raschesten die Erkenntnis verbreiten, daß
                              das Ruthenische eine selbständige Sprache ist und daher in seiner
                              Entwickelung nur jene Wege einschlagen könne, welche in seinem eigenen
                              Organismus und nicht in dem einer zweiten, wenn auch verwandten Sprache
                              vorgezeichnet sind.
Durch die Scheidung desjenigen, was nicht zusammen
                              gehört, kann es ferner möglich werden, auch der Kirchensprache im vollen
                              Maße jene Pflege angedeihen zu lassen, welche ihr die ehrwürdige Geltung im
                              Ritus der griechisch-katholischen Kirche zuweiset. Durch jene Scheidung kann
                              es endlich auch möglich werden, daß die Kirchensprache, und vor allem das
                              Altslowenische als die ältere Form derselben, jenen ersprießlichen Einfluß auf die Ausbildung der ruthenischen
                              Schriftsprache übe, welcher nicht verwehrt, sondern im Gegentheile gewünscht
                              werden muß.
Diese Erwägungen veranlassten das Unterrichtsministerium in Lemberg eine
                              Commission zu berufen, welche zunächst über die Frage der ruthenischen
                              Schreibweise und weiter auch über andere die Entwickelung der ruthenischen
                              Sprache berührende Punkte ein Gutachten abzugeben hatte. Es wurden hiezu die
                              ersten kirchlichen Würdenträger und die bedeutendsten Vertreter der
                              Wissenschaft unter den Ruthenen berufen.
Die Commission hat ihre Aufgabe
                              gelöst, die Nothwendigkeit einer Revision der ruthenischen Orthographie
                              nicht nur anerkannt, sondern auch beantragt und eine Reihe von grundsätzlich
                              wichtigen Sätzen über die Pflege der ruthenischen Sprache
                              festgestellt.
Wenn gleich darüber ein endgiltiger Ausspruch noch nicht
                              geschehen ist, so können wir doch die Überzeugung aussprechen, daß die
                              fragliche Verhandlung, weit entfernt die ruthenische oder die kirchen-
                              [...]7