Michael Malinowski an einen unbekannten Empfänger
Lemberg, 6. Oktober 1860
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Regest

Der Lemberger Domherr Michael Malinowski schildert die schwierige Situation, in der sich die Ruthenen in Galizien befinden. Zunächst spricht er aber seine Freude über eine Rede Thuns im verstärkten Reichsrat aus. In dieser hatte Thun die Rechte der Ruthenen verteidigt, was nach der Auskunft von Malinoswksi Eindruck auf die Ruthenen machte. Malinoswki betont, welch guten Ruf Thun innerhalb der ruthenischen Bevölkerung habe, anders als der eigentlich ruthenische Reichsrat Theodor Polański, der in den Augen der Ruthenen lediglich die polnische Bevölkerung vertrete. Malinowski kritisiert in der Folge das Verhalten der polnischen Bevölkerung, die nichts unversucht lasse, um die Rechte der Ruthenen zu beschneiden.

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Hochverehrter Herr!

Ich kann nicht umhin, Ihnen zu berichten, daß die letzte Rede Seiner Exzellenz des Herrn Cultus- und Unterrichtsministers auf die Ruthenen einen gewaltigen und freudigen Eindruck gemacht hat. Seine Exzellenz hat sich unser warm angenommen und unsere sprachlichn und kirchlichen Angelegenheiten sehr beredet und mit tiefer Sachkenntnis gegen die ungerechten Übergriffe der Polen verfochten. Dank Seiner Exzellenz, ein um so innigerer Dank, als unser ruthenischer Reichsrath Polański, Privatbevollmächtigter des Herrn Ministers des Innern, aus Rücksicht für ihn und auf seine Advokatur gegenüber den Polen die Sache seiner Nation und auch den guten Namen seines Bruders, des ernannten Przemysler Bischofes, verrathen hat. Seine Wahl zum Vertreter der Ruthenen im Reichsrathe war eine wohlberechnete, um der polnischen Sache zu nützen und dabei die ruthenische zurückzudrängen. Die Ruthenen haben von ihm nichts Gutes erwartet. Während nun dieser den Ruthenen gespielte Streich den Sieg davon zu tragen schien; während die Ruthenen ihr trauriges Schicksal bereits vor den Augen hatten, bringen die Reichsrathverhandlungen die trostvolle Rede Seiner Exzellenz, die wie der Blitz unter den Ruthenen vom Munde zu Munde geht. Sie trauen ihren Augen nicht und doch ist es kein Trugbild, es ist Wirklichkeit, es ist Wahrheit. So möge denn die allwaltende Vorsehung Seiner Exzellenz die uns erwiesene Gnade reichhaltig lohnen und vergelten! Ja, die edle slavisch-čechische Nation hat Mitleid mit der slavisch-ruthenischen, während die slavisch-polnische Nation an derselben im Angesichte der von Seiner Majestät feierlich ausgesprochenen Gleichberechtigung den kainischen Brudermord fortzusetzen nicht erröthet. Polen wollen sie haben, Polen in den alten Gränzen, um darin die Ruthenen zu erdrücken, von denen sie keine Notiz nehmen und deren Eigenthümlichkeiten sie zu kirchlichen und staatlichen Verbrechen stempeln. Sonderbar, sie nehmen ihre Rechte mit allem Ungestüm in Anspruch: wollen aber von den Rechten ihrer Stammesgenossen nichts wissen und zerstören in kommunistischer Weise alle rechtlichen Gränzmarken zwischen der polnischen und ruthenischen Nationalität. Sie sprechen von ihrem historischen Rechte und wollen dasselbe Recht der Ruthenen nicht anerkennen, wollen ein historisches Recht da haben, wo nur der Druck vorwaltete, als wenn das Schlechte zum Rechte je erwachsen könnte. Übrigens hat das alte polnische Recht die ruthenische Sprache, den griechisch-katholischen slavischen Ritus der Ruthenen und die ruthenische Nationalität zu Recht bestehen lassen, ohne sich jedoch im Übermuthe daran zu kehren. Weg mit einem solchen Rechte! Wenn Seine Exzellenz in Lemberg ein Gymnasium für die ruthenische und ein Gymnasium für die polnische Nationalität herrichten will, so ist dieses nur billig, wird den Polen den Rechtssinn beibringen und die Ruthenen können gegenwärtig Gymnasiallehrer hergeben. Nur wollen sie in diese Angelegenheit den Inspektor Czerkawski nicht eingreifen sehen, welcher, wenn auch ein Ruthene, in seiner Niederträchtigkeit die beste Sache verderben würde und welcher unter den Ruthenen alle Achtung eingebüßt hat, da er ein Mann ist, welcher wähnt, daß die Geschicke Galiziens, Österreichs, ja der ganzen Welt in der polnischen Hand liegen. Hiemit gestatten Sie mir, hochgeehrter Herr, mich mit aller Achtung zu zeichnen

Michael Malinowski
Domherr und Dompfarrer zu St. Georg

Lemberg, den 6. Oktober 1860