Entwurf für ein Patent zur Einführung der Friedensgerichte und ein Entwurf für eine Stellungnahme Thuns hierzu
18601
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Regest

In dem Gesetzesentwurf werden die Einrichtung der Friedensgerichte, deren Zuständigkeiten sowie der Verfahrensablauf an diesen Gerichten festgesetzt. In Ungarn, Kroatien und Slawonien, in der Wojwodschaft Serbien und Temeser Banat sowie in Siebenbürgen sollen die Friedensgerichte sofort bestellt werden. In den anderen Kronländern hingegen, mit Ausnahme der Militärgrenze, sollen sie erst nach Absprache mit den Landesbehörden wirksam werden.
In der beigelegten Stellungnahme lehnt Leo Thun den Entwurf ab. Er ist der Ansicht, dass die einzuführenden Gerichte den angestrebten Zweck nicht erfüllen werden, da die Gerichte nicht durch juridisch geschultes Personal geleitet werden. Er erkennt zwar die Notwendigkeit, dass es eine Möglichkeit geben soll, einfache Streitsachen ohne Gerichtsverfahren zu entscheiden, dennoch ist er der Auffassung, dass dies durch rechtskundige Juristen erfolgen solle.

Anmerkungen zum Dokument

Mit eigenhändigen Anmerkungen Leo Thuns.

Beilagen: Vier Formulare zu den Paragrafen 5, 21 und 23.
Eigenhändiger Entwurf für eine Stellungnahme Leo Thuns zum Gesetzesvorschlag.Die Stellungnahme wurde in der Ministerkonferenz vom 28. Februar 1860 vorgetragen.

Die Stellungnahme Thuns ist leicht verändert abgedruckt in: Die Protokolle des Österreichischen Ministerrates 1848–1867. Das Ministerium Rechberg. Bd. 2, bearbeitet von Stefan Malfèr, Wien 2007, S. 6–7.

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000D-F7FF-E

Schlagworte

Edierter Text

<Vom Herrn Justizminister zur Conferenzberathung am 28. Februar 1860>3

Entwurf des Einführungspatentes zum Gesetz über die Friedensgerichte

Wir Franz Joseph der Erste von Gottes Gnaden Kaiser von Oesterreich, König von Ungarn und Böhmen, König der Lombardie und Venedigs, von Dalmatien, Kroatien, Slavonien, Galizien, Lodomerien und Illirien, König von Jerusalem etc., Erzherzog von Oesterreich; Großherzog von Toscana und Krakau; Herzog von Lothringen, von Salzburg, Steier, Kärnthen, Krain und der Bukowina; Großfürst von Siebenbürgen; Markgraf von Mähren; Herzog von Ober- und Niederschlesien, von Modena, Parma, Piacenza und Zator, von Teschen, Friaul, Ragusa und Zara; gefürsteter Graf von Habsburg und Tirol, von Kyburg, Görz und Gradiska; Fürst von Trient und Brixen; Markgraf von Ober- und Niederlausitz und in Istrien; Graf von Hohenembs, Feldkirch, Bregenz, Sonnenberg etc.; Herr von Triest, von Cattaro und auf der windischen Mark; Großwojwod der Wojwodschaft Serbien etc. etc.
haben, um bei Rechtsstreitigkeiten von geringerem Belange ein möglichst einfaches und schleuniges sowie kostenfreies Verfahren einzuführen, nach Vernehmung Unserer Minister und nach Anhörung unseres Reichsrathes die Errichtung von Friedensgerichten beschlossen und über ihre Bestellung, Einrichtung und das bei denselben zu beobachtende Verfahren das nachstehende Gesetz unter folgenden Bestimmungen erlassen.
Sobald das Friedensgericht für eine Gemeinde bestellt ist, dürfen Rechtsstreite, zu deren Verhandlung und Entscheidung dasselbe nach diesem Gesetze zuständig ist, bei denjenigen Gerichten, vor welchen sie zu dieser Zeit anhörig sind, nur in dem Falle nach den bisherigen Vorschriften fortgesetzt und zur endgiltigen Entscheidung gebracht werden, wenn die Verhandlung darüber in erster Instanz bereits geschlossen war.
In den Königreichen Ungarn, Kroatien und Slavonien, in der serbischen Wojwodschaft mit dem Temescher Banate und im Großfürstenthume Siebenbürgen, wo ähnliche Einrichtungen bereits durch längere Zeit bestanden, zum Theile noch bestehen und sich als zweckmäßig bewährt haben, sind die Friedensgerichte sogleich zu bestellen; in allen übrigen Kronländern aber, mit Ausnahme der Militärgränze, sind dieselben nach Vernehmung der Landesbehörden in Wirksamkeit zu setzen, sobald ihrer Bestellung kein Hindernis entgegensteht:
Unser Minister der Justiz ist im Einvernehmen mit Unserem Minister des Innern mit dem Vollzuge dieses Patentes beauftragt.
Gegeben usw.

Gesetz
über die Bestellung von Friedensgerichten, über ihre Einrichtung und das bei denselben zu beobachtende Verfahren.

§ 1.
Für jede Gemeinde ist ein Friedensgericht zu bestellen; aneinander gränzende Gemeinden können nach ihrer freien Wahl ein gemeinschaftliches Friedensgericht bestellen; in Städten oder Märkten können mit Rücksicht auf die Ortsverhältnisse mehrere Friedensgerichte aufgestellt werden.

§ 2.
Folgende Streitsachen sind ausschließlich bei den Friedensgerichten zu verhandeln und zu entscheiden:
a. über Geldsummen ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund, wenn sie in Städten oder Märkten den Betrag von Sechzig Gulden österreichischer Währung, in anderen Gemeinden aber den Betrag von fünfundzwanzig Gulden österreichischer Währung nicht übersteigen.4
b. über andere bewegliche Sachen und über persönliche Leistungen, wenn der Kläger statt derselben eine Geldsumme anzunehmen sich ausdrücklich erbiethet, welche in Städten oder Märkten den Betrag von Sechzig Gulden österreichischer Währung, in anderen Gemeinden aber den Betrag von fünfundzwanzig Gulden österreichischer Währung nicht übersteigt.
Streitsachen über höhere Geldsummen darf das Friedensgericht nur dann verhandeln und entscheiden, wenn die Streittheile sich seiner Entscheidung ausdrücklich unterwerfen.
Streitigkeiten solcher selbstständiger Gewerbsleute aber, welche einer Genossenschaft angehören, mit ihren Gehilfen aus dem Dienst- und Lehrverhältnisse, sind, selbst wenn der Streitgegenstand die unter a. und b. angegebenen Beträge nicht übersteigt, dann bei der Vorstehung dieser Genossenschaft anzubringen, wenn diese sich am Orte des Friedensgerichtes befindet und wenn seit dem Aufhören des Dienst- oder Lehrverhältnisses dreissig Tage noch nicht verstrichen sind.

§ 3.
In Ansehung der im § 1 erwähnten Streitsachen ist Jedermann bei dem Friedensgerichte für diejenige Gemeinde zu klagen, in deren Bezirke er wohnt; doch können Reisende und andere Personen, welche sich in dem Bezirke einer Gemeinde nur vorübergehend aufhalten, wegen derjenigen Verbindlichkeiten der im § 1 erwähnten Art, welche hier in dem Bezirke übernommen oder in Folge einer dasselbst zugefügten Beschädigung zu erfüllen haben, auch bei dem Friedensgerichte dieser Gemeinde geklagt werden.
Dagegen können vor dem Friedensgerichte nicht geklagt werden:
a. katholische Geistliche, dann Seelsorger und Religionslehrer einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft;
b. Personen, welche der Militärgerichtsbarkeit oder dem Obersthofmarschallamte unterstehen;
c. der Besitzer adeliger Güter, auf welchen bis zum Jahre 1848 die Gerichtsbarkeit über die Gemeinde durch Abhaltung eines Herrnstuhles ausgeübt wurde;
d. Vorsteher der vorgesetzten politischen - und Gerichtsbehörden.

§ 4.
Das Friedensgericht hat aus einem Obmann und mehreren <Beisitzern> 5zu bestehen.
Diese sind bis zur Wirksamkeit eines neuen Gemeindegesetzes von der dermaligen Gemeindevertretung frei aus ihr selbst oder aus den übrigen Gemeindegliedern zu wählen, wobei zugleich zu bestimmen ist, wer im Verhinderungsfalle den Obmann zu vertreten und nach welcher Reihenfolge er die Vertrauensmänner zur Ausübung ihres Amtes zu berufen hat.
Diese Wahl hat der Gemeindevorsteher zu leiten, er selbst kann sowohl zum Obmann als zum Vertrauensmann gewählt werden. Die Gewählten sind dem Komitats (Kreis-) Vorstande anzuzeigen, welcher, wenn er gegen die Tauglichkeit eines der Gewählten Bedenken hat, eine neue Wahl zu veranlassen hat.

§ 5.
Jeder Gewählte ist zur Ausübung seines Amtes von der politischen Behörde zu beeiden.
Er hat sein Amt unentgeltlich zu versehen und kann nach Ablauf eines Jahres wieder dazu gewählt werden.
Treten bei einem der Gewählten Umstände ein, welche ihn an der Ausübung seines Amtes bleibend verhindern oder welche ihm das Vertrauen der Gemeinde entziehen, so soll an seiner Stelle ein Anderer gewählt werden.

§ 6.
Unfähig zum Amte eines Obmannes oder Vertrauensmannes sind:
a. diejenigen, welche wegen eines Verbrechens oder Vergehens oder einer aus Gewinnsucht oder gegen die öffentliche Sittlichkeit begangenen Übertretung schuldig erkannt oder wegen eines Verbrechens blos aus Unzulänglichkeit der Beweismittel freigesprochen worden sind;
b. diejenigen, gegen welche wegen einer strafbaren Handlung der unter a. bemerkten Art das strafgerichtliche Verfahren eingeleitet wurde; während der Dauer desselben;
c. diejenigen, über deren Vermögen die Konkursverhandlung oder das Ausgleichsverfahren eingeleitet wurde; insolange das eine oder andere dauert und nach Beendigung derselben, wenn sie hinsichtlich des Anlasses ihrer Zahlungsunvermögenheit nicht für schuldlos erkannt worden sind.

§ 7.
Verhandlungen vor dem Friedensgerichte dürfen nur in gleichzeitiger Anwesenheit des Obmannes oder seines Stellvertreters und zweier Vertrauensmänner vorgenommen werden.
Jedes Mitglied des Friedensgerichtes ist sowohl auf sein eigenes, als auch auf Verlangen eines Streittheiles von der Verhandlung solcher Streitsachen auszuschließen, welche seine Gläubiger oder Schuldner, seine Ehefrau oder Personen betreffen, die mit ihm oder seiner Ehefrau in auf und absteigender Linie oder in der Seitenlinie bis einschließlich auf Oheim und Neffen oder auf Muhme und Nichte verwandt sind.
Statt des Ausgeschlossenen ist ein Anderer nach der gemäß § 4 bestimmten Reihenfolge zu berufen.

§ 8.
Wenn der Kläger allein sein Begehren bei dem Obmann anmeldet, so hat Letzterer entweder sogleich oder auf einem der nächstfolgenden Tage das Friedensgericht zur Verhandlung zu versammeln und im letzteren Falle zu sorgen, daß die kurze Bezeichnung des Gegners und des Streitgegenstandes in das Amtsbuch eingetragen werde (§§ 7 und 23 a.)
Wenn beide Streittheile ihre Streitsache gemeinschaftlich bei dem versammelten Friedensgerichte anmelden, so ist die Verhandlung sogleich vorzunehmen.

§ 9.
Streittheile haben persönlich zu erscheinen und können nur durch ihre Hausgenossen, Beamten und Diener oder Verwandte vertreten werden; eine Vertretung durch Advokaten ist unzulässig. 6

§ 10.
Das Verfahren vor den Friedensgerichten darf nur mündlich stattfinden; es dürfen weder schriftliche Klagen angenommen noch überhaupt Protokolle verfaßt werden. 7
Das Friedensgericht hat sich vor Allem davon zu überzeugen:
a. daß es zur Entscheidung der Streitsache zuständig ist,
b. daß die Streittheile sich selbst zu vertreten fähig sind oder
c. daß, wenn sie wegen Minderjährigkeit, Kuratel, Konkurs oder aus einem anderen Grunde nicht fähig wären, sie durch jene Personen vertreten sind, welche nach dem Gesetze für sie vor Gericht zu handeln haben und 8
d. daß die etwa in Vertretung eines Streittheiles erschienene Person (§ 9) von ihm zur Verhandlung geschickt wurde.

§ 11.
Sind beide Streittheile erschienen, so hat das Friedensgericht die Streitsache durch Vernehmung des Klägers und des Geklagten in das Klare zu setzen und sich hierauf zu bemühen, zwischen den Streittheilen einen Vergleich zu Stande zu bringen, welcher dann sogleich in das Amtsbuch einzutragen ist. (§ 23 b.)
Kommt ein Vergleich nicht zu Stande, so haben die Richter sich von der Wahrheit der von jedem Streittheile vorgebrachten Angaben, soweit diese zur Streitsache gehören und von dem Gegentheile in Abrede gestellt werden, zu überzeugen und zu diesem Zwecke Zeugen und Sachverständige zu vernehmen, vorhandene Urkunden einzusehen und dem Gegentheile zur Einsicht vorzulegen oder auch einen Augenschein vorzunehmen. Eide sind unzulässig. 9

§ 12.
Ist der Geklagte zur bestimmten Zeit vor dem Friedensgerichte nicht erschienen, so hat dasselbe zu erheben, warum er ausgeblieben ist.
Zeigt sich hiebei, daß er entweder vor seiner Vorladung keine genaue Kenntnis erhalten hat oder aus einer gegründeten Ursache nicht erscheinen konnte, so ist ein anderer Tag zur Verhandlung zu bestimmen.
Ist dieses nicht der Fall, so hat das Friedensgericht die Verhandlung mit dem erschienenen Kläger allein vorzunehmen und sich von der Wahrheit der von demselben gemachten Angaben auf die im § 11 vorgezeichnete Art zu überzeugen und hiernach die Streitsache auch ohne Vernehmung des ausgebliebenen Geklagten zu entscheiden.
Ist der Kläger ausgeblieben, so ist mit einer Entscheidung der Streitsache nicht vorzugehen, doch hat er die durch sein Ausbleiben dem erschienenen Geklagten etwa verursachten Kosten auf Verlangen zu ersetzen.

§ 13.
Aussagen von Zeugen und Sachverständigen dürfen nur dann bei der Entscheidung berücksichtiget werden, wenn sie das Friedensgericht selbst vernommen hat.
Die Streittheile haben dafür zu sorgen, daß die Zeugen sogleich vernommen werden können.

§ 14.
Zeugen und Sachverständige sind schuldig ihre Aussage nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben.
Den Streittheilen steht frei, bei deren Vernehmung zugegen zu sein und die Umstände zu bezeichnen, über welche sie befragt werden sollen. 10
Jeder Zeuge oder Sachverständige hat vor Ablegung seiner Aussage dem Gerichte durch Handschlag zu bekräftigen, daß er über alle Umstände, über welche er befragt werden wird, unzweideutig, das ist, daß er nicht anders rede, als er denkt und nicht anders denke, als er redet, ohne Gunst, Haß oder Furcht nach seinem besten Wissen und Gewissen die reine und volle Wahrheit getreulich angeben und nichts davon verschweigen wolle.
Die Bestimmungen des allgemeinen Strafgesetzes über falsche Zeugnisse bei Gericht sind auch auf Zeugnisse bei Friedensgerichten anzuwenden.

§ 15.
Die Mitglieder des Friedensgerichtes sind verpflichtet, bei Verhandlung und Entscheidung der Streitsache nach ihrem besten Wissen und Gewissen 11 vorzugehen. Die Entscheidung ist auf Grund der geschlossenen Verhandlung und nach der Stimmenmehrheit unverzüglich zu fällen und wenn beide Streittheile anwesend sind, sogleich zu verkünden. 12
Wurde die Verhandlung in Abwesenheit des Geklagten erschlossen und ist er sachfällig geworden, so ist ihm die Entscheidung durch eine schriftliche Ausfertigung unverzüglich bekannt zu machen.13
Die Entscheidung ist sogleich in das Amtsbuch einzutragen (§ 23 c.)

§ 16.
Wurde den Sachfälligen die Zahlung einer Summe Geldes aufgetragen, so ist ihm dazu eine Frist zu bestimmen, welche aber vierzehn Tage nie überschreiten darf.
In andern Fällen ist ihm eine den Umständen angemessene Frist festzusetzen, binnen welcher er seine Verbindlichkeit zu erfüllen oder diejenige Geldsumme zu zahlen hat, welche statt derselben der Entscheidung gemäß vom Kläger anzunehmen ist. (§ 2 b.)
Die Frist zur Erfüllung der Entscheidung beginnt mit dem Tage nach demjenigen, an welchem diese verkündet oder an welchem sie dem Sachfälligen zugestellt worden ist.

§ 17.
Beschwerden gegen Verfügungen, welche im Laufe des Verfahrens getroffen wurden, sind unzulässig.
Friedensgerichtliche Entscheidungen können nur aus folgenden Gründen angefochten werden:
a. weil dem Friedensgerichte die Gerichtsbarkeit der Streitsache nicht zustand oder
b. weil dasselbe bei der Verhandlung nicht vorschriftmäßig besetzt war.
Die Beschwerde ist bei dem Gerichte 1. Instanz anzubringen, in dessen Sprengel die Entscheidung gefällt wurde und darf nur durch acht Tage nach Kundmachung der Entscheidung angenommen werden.
Sie hemmt den Lauf der Execution nicht.
Das Gericht 1. Instanz hat den Gegner des Beschwerdeführers und die Richter, welche bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu vernehmen und sohin entweder auf Nichtigkeit der Entscheidung oder auf Zurückweisung der Beschwerde zu erkennen.
Gegen diese Erkenntnis findet eine weitere Berufung nicht statt.

§ 18.
Wird die durch Vergleich oder Entscheidung bestimmte Verbindlichkeit binnen der dazu festgesetzten Frist nicht erfüllt, so kann bei dem Friedensgerichte die Exekution angesucht werden; dieses kann zu ihrer Vornahme sich der Gemeindeorgane bedienen.

§ 19.
Wenn ein Streittheil dem andern eine Sache zu übergeben schuldig ist, so ist dieselbe ihm abzunehmen und dem Letzteren einzuhändigen.
Wenn ein Streittheil dem andern eine Summe Geldes zu zahlen schuldig ist, so ist dem Schuldner von der bei ihm etwa vorfindigen Barschaft so viel abzunehmen, als zur Tilgung der Schuld erforderlich ist und seinem Gläubiger zu übergeben.
Wird eine zulängliche Barschaft bei dem Schuldner nicht vorgefunden, so ist die executive Feilbietung seines beweglichen Vermögens anzuordnen, dann Ort und Zeit derselben durch Anschlag am Gemeindehause kundzumachen. In keinem Falle dürfen unentbehrliche Kleidungsstücke und die nöthigen Werkzeuge, mit welchen er den persönlichen Unterhalt für sich und seine Familie erwerben kann, in Exekution gezogen werden.

§ 20.
Zur Feilbiethung ist nur ein Termin anzuordnen und zur Bestimmung des Ausrufspreises und zum Ausrufen nur ein Sachverständiger zu verwenden.
Dem Schuldner steht frei, die Reihenfolge anzugeben, in welcher die Gegenstände feilgeboten werden sollen. Der mit der Feilbietung Beauftragte hat den Erlös nach Abzug des zur Deckung der Feilbietungskosten nöthigen Betrages, dem Gläubiger nach Maßgabe seiner Forderung gegen Aushändigung der etwa vorhandenen Schuldurkunden oder Abschreibung der Theilzahlung auf denselben, den etwaigen Überschuß aber dem Schuldner zu übergeben; es wäre denn, daß das Friedensgericht wegen der Ansprüche anderer Gläubiger oder aus andern Gründen den Erlag des Erlöses bei dem Obmanne verordnet hätte oder daß bei der Kommission selbst erworbene Pfandrechte anderer Gläubiger ausgewiesen wurden und nicht alle Betheiligten über die Vertheilung einverstanden wären.

§ 21.
Wenn bei dem Schuldner bewegliches Vermögen, welches in die Execution gezogen werden darf, nicht vorgefunden wird oder wenn der Gläubiger durch den Erlös der verkauften Sachen nicht gänzlich befriedigt wurde, so kann die Exekution auf das sonstige Vermögen des Schuldners bei dem ordentlichen Gerichte angesucht werden.
Zu diesem Ende hat das Friedensgericht dem Gläubiger eine Abschrift des Vergleiches oder der Entscheidung mit der Bestätigung auszufertigen, daß derselbe im Wege der Exekution auf seine Forderung noch keine oder nur theilweise Bezahlung und im letzteren Falle mit welchen Betrage erhalten hat.

§ 22.
Jedes Friedensgericht ist von der politischen Behörde mit einem paginirten Amtsbuche zu versehen, welches auf der letzten Blattseite die Angabe der Zahl der Blätter sowie das Siegel und die Unterfertigung der politischen Behörde zu enthalten hat.
Der Obmann hat dafür zu sorgen, daß das Amtsbuch genau, vollständig und deutlich geführt und gut aufbewahrt werde.

§ 23.
In das Amtsbuch ist einzutragen:
a. der Tag, an welchem der Kläger sich wegen Anordnung der Friedensgerichtlichen Verhandlung gemeldet hat, unter Bezeichnung seines Gegners und des Streitgegenstandes;
b. der wörtliche Inhalt der geschlossenen Vergleiche; jeder Vergleich ist von beiden Streittheilen und von den Gerichtspersonen, vor welchen er geschlossen wurde, zu unterzeichnen.
c. der wörtliche Inhalt der gefällten Entscheidungen unter deutlicher Bezeichnung der Streittheile und des Streitgegenstandes; jede Entscheidung ist von den Gerichtspersonen, welche sie gefällt haben, zu unterzeichnen.
Haben die Streittheile sich der Entscheidung des Friedensgerichtes in einer Streitsache über mehr als sechzig und rücksichtlich fünfundzwanzig Gulden freiwillig unterworfen, so ist dies bei der Entscheidung anzumerken;
d. der Erfolg der vorgenommenen Execution;
e. die etwa erfolgte Aufhebung einer Entscheidung.
Jedem Streittheile sind auf Verlangen einfache oder von dem Obmanne des Friedensgerichtes beglaubigte Abschriften der ihre Streitsache betreffenden Stellen des Amtsbuches auszufertigen.

§ 24.
Die politischen Behörden haben darüber zu wachen, daß für jede Gemeinde das Friedensgericht stets gehörig bestellt sei und daß die ihm zugewiesenen Geschäfte unaufgehalten und ordnungsmäßig geführt werden.

§ 25.
Das ganze Verfahren vor den Friedensgerichten ist stempel- und gebührenfrei.
Zeugen und Sachverständige können eine Entlohnung nicht ansprechen; auch darf außer dem im § 12 bestimmten Falle keinem Streittheile die Vergütung der etwa von dem Gegner gemachten Auslagen auferlegt werden. 14

ad Z. 349/J.M.

Formularien zu dem Entwurfe einer Verordnung über die Bestellung von Friedensgerichten und das Verfahren von denselben gehörig

Anmerkung: Das in den Formularien Unterstrichene ist für die praktische Anwendung vorzudrucken.

I. Formular zu § 5.

Eidesformel für die Mitglieder eines Friedensgerichtes

Sie werden einen Eid zu Gott dem Allmächtigen schwören, Seiner k.k. apostolischen Majestät, Franz Josef dem Ersten, von Gottes Gnaden Kaiser von Oesterreich und dessen Erben treu und gehorsam zu sein und die Ihnen als Mitglied des Friedensgerichtes obliegenden Pflichten mit Gewissenhaftigkeit und nach ihrer besten Überzeugung zu erfüllen.
Was mir so eben vorgehalten worden und ich wohl und deutlich verstanden habe, dem soll und will ich getreu nachkommen.
So wahr mir Gott helfe!

II. Formular zu § 21.

Es wird hiemit bestätiget, daß Franz N. Schneider, wohnhaft Nr. 3, in A. auf seine ihm entweder: durch Entscheidung dieses Friedensgerichtes vom ... 18.. zuerkannte
oder: vermöge des bei diesem Friedensgerichte am ... 18.. abgeschlossenen Vergleiches zustehende Forderung im Betrage von ... fl ... kr wider den Georg N. Inwohner, wohnhaft Nr. 5, in A. wegen Unzulänglichkeit der von dem Friedensgerichte versuchten Execution entweder: noch keine Bezahlung oder: die Bezahlung nur in dem Betrage von ... fl ... kr erhalten hat.
Von dem Friedensgerichte für die Gemeinde A.
den 4. Juli 1859
N. N.
Obmann

III. Formular zu § 23.

Kronland N.
Bezirk N.

Amtsbuch über die Amtshandlungen, welche von dem Friedensgerichte der Gemeinde N. kraft der demselben von Seiner k.k. apostolischen Majestät verliehenen Amtsgewalt vorgenommen wurden.

Zahl Datum Gegenstand Anmerkung
1. 3. Jänner 1860 Jakob Schwarz, Bauer in N. C. 7, klagt den Josef Laurenz, Tischler in N. C. 85, auf Bezahlung von 18 fl Lohn für ein December vorigen Jahres zugeführtes Holz.
Beide Theile haben sich auf 16 fl verglichen, wovon 10 fl sogleich baar bezahlt wurden und 6 fl am 1. Februar dieses Jahres zu berichtigen sind.
Jakob Schwarz
Josef Laurenz
N. Obmann
N. Vertrauensmann
N. dato
Am 2. Februar 1860 durch Execution oder [?] von 6 fl CM bezahlt.
N. Vertrauensmann
2. 10. Jänner 1860 Johann N., Bauer in N. C. 2, klagt den Taglöhner Josef N. in N. C. 3, wegen 20 fl Pacht für das Jahr 1859, von dem Acker beim rothen Kreuz.
Wird der Kläger angewiesen, diese Streitsache vor dem ordentlichen Gerichte anzubringen.
N. Obmann
N. N. Vertrauensmänner

3. 20. Februar 1860 Peter N., Taglöhner in N. C. 82, klagt den Michael N. in N. C. 17, wegen 10 fl Drescherlohn für die Zeit vom 5. bis 15. Februar. Auf den 24. Februar vorgeladen.
Siehe Zahl 6
4. 20. Februar 1860 Anton N., Schmidt in N. C. 6, klagt den Franz N., Bauer in N. C. 10, wegen 15 fl für Hufbeschlag in den Monaten 8., 9. und 10. 1859 Auf den 24. Februar vorgeladen.
Siehe Zahl 7
5. 20. Februar 1860 Über ausdrückliche Unterwerfung beider persönlich erschienenen Streittheile wird nach Anhörung derselben zu Recht erkannt:
Ludwig N., Gastwirth in N. C. 20, ist schuldig dem Josef N., Fleischer in N. C. 36, für im Jänner geliefertes Fleisch 75 fl 50 kr binnen 8 Tagen zu bezahlen.
N. (Obmann)
N. N. (Vertrauensmann)
6. 24. Februar 1860 In der unter Zahl 3 angebrachten Streitsache wird Michael N. schuldig erkannt, dem Peter N. den Drescherlohn mit 8 fl binnen 3 Tagen zu bezahlen.
Hierauf hat Michael N. diese 8 fl sogleich dem Peter N. baar bezahlt.
N. Obmann
N. Vertrauensmann
7. 24. Februar 1860 In der unter Zahl 4 angebrachten Streitsache wird zu Recht erkannt:
Franz N. ist schuldig, dem Anton N. für den Hufbeschlag die angesprochenen 15 fl, und zwar am 28. Februar 10 fl und am 4. März 5 fl zu bezahlen.
N. Obmann
N. Vertrauensmann
8. 24. Februar 1860 Es wird über Erscheinen beider Theile zu Recht erkannt:
Johann N., Bauer in N. C. 11, ist schuldig, dem Anton N., Bauer in N. C. 12, binnen 3 Tagen entweder 8 Metzen Saatweizen zurückzustellen oder 40 fl zu bezahlen.
N. Obmann
N. Vertrauensmann
Diese Entscheidung ist durch das Dekret des k.k. Bezirksgerichtes vom 10. April 1860 Z. 476 aufgehoben worden.

IV. Formular zu § 23.

Das Friedensgericht zu N. hat laut seinem Amtsbuche Seite 2, Zahl 8, kraft der ihm von Seiner k.k. apostolischen Majestät verliehenen Amtsgewalt am 24. Jänner 1860 zu Recht erkannt:
Johann N., Bauer in C. Nr. 11, ist schuldig, dem Anton N. Bauer in C. Nr. 12, binnen 3 Tagen entweder 8 Metzen Saatweizen zurückzustellen oder 40 fl zu bezahlen.
N., den 26. Jänner 1860
N. mp.
Obmann

Die Vorlage ist ihrem Inhalte nach ein Gesetz über Bagatellprozesse, warum soll es den Namen von Friedensgerichten tragen? Mit dem Frieden hat es nicht mehr zu schaffen als jedes Gericht.
Es scheint mir sehr wünschenswerth den Namen "Friedensrichter" für eine ganz andere Institution vorzubehalten.
Die Vorlage hat theilweise Analogien mit dem ungarischen Gesetzartikel XX von 1836 de verbalicem processuum judiciis und mit der in Ausführung einer Justizministerialverordnung vom 10. Mai 1852 für Siebenbürgen von den Ministerialgerichtseinteilungscommissionen erlassenen Instruktion vom 7. Sept. 1852 (LGBl 184).
Allein die letztere – abgesehen davon, daß sie sich nur auf Forderungen bis 12 fl erstreckt – gestattet dem Kläger sogleich, sich an den Bezirksrichter zu wenden oder im Verfahren von demselben abzusehen gegen Bezahlung der Prozeßkosten und die Sache beim Bezirksrichter anhängig zu machen und beide Theile, nach dem Spruch binnen 8 Tagen, an das Bezirksgericht zu appeliren, in welchem Falle der Spruch des Gemeindevorstandes wirkungslos ist; und immer kann die Exekution nur bei dem Bezirksgericht angesucht werden.
Das ungarische Gesetz kennt nur bis 12 fl in Orten, die eines ordentlichen Magistrates entbehren, eine Gerichtsbarkeit des Ortsrichters, dann aber doch eine Appelazion an den Herrenstuhl.
In allen andern Fällen ist die Gerichtsbarkeit rechtskundigen Richtern anvertraut; und immer – wenn auch nur extra dominium Appelazion an die Komitatssedia gewährt. Es verlangt übrigens, daß dem Geklagten bei der Zustellung von einem Jurat der Gegenstand erklärt, daß der ganze Prozeß zu Protokoll genommen und auf Verlangen der Parthei in Abschrift mitgetheilt werde.
Nach der Vorlage muß der Kläger in Sachen bis zu 25 fl beziehungsweise in Städten bis zu 60 fl bei dem Landesgerichte anbringen. In jeder Gemeinde (§ 4) muß ein solches aufgestellt werden, die Glieder desselben sind von der Gemeindevertretung (§ 4) zu wählen, vielleicht nicht einmal des Lesens kundig. Gegen den Ausspruch ist gar keine Rechtshilfe zulässig (§ 1), nicht einmal, wenn völlig ordnungswidrig verfahren wurde. Es darf über den Prozeß gar nichts schriftlich aufgesetzt werden (§ 10) und nur die politische Behörde soll darüber wachen (es ist kaum begreiflich wie), daß ordnungsmäßig verfahren werde (§ 24) und "das Friedensgericht" führt auch die Exekution (§§ 18–20). Nur wenn dies aus dem beweglichen Vermögen nicht erzielt werden kann, soll das ordentliche Gericht über bloße Abschrift der Entscheidung des "Friedensgerichtes" die weitere Exekution ertheilen (§ 21).
Solche Vorschriften begründen meines Erachtens keine Rechtspflege, sondern würden eine unerhörte Justizverweigerung begründen.
Ich halte die Annahme dieser Vorlage für absolut unmöglich.
Wer ein Gericht leiten soll, muß doch vor allem befähiget sein, das Gesetz, das seine Gerichtsbarkeit begründet und nach dem er vorgehen soll, sich vollkommen eigen zu machen. Und wer den Richter ernennen soll, muß über diese Befähigung desselben ein Urtheil haben. Hier liegt weder für das eine noch für das andere die mindeste Bürgschaft, ja für die meisten Fälle auch nicht einmal irgendeine Wahrscheinlichkeit vor.
Unter diesen Umständen kann ich nicht umhin gegen diesen Entwurf die entschiedenste Verwahrung einzulegen und deshalb verzichte ich auf Einzelheiten einzugehen, z. B. auf die Frage, warum die Parthei sich soll von einem Diener oder Verwandten, aber nicht von einem Advokaten vertreten lassen dürfen (§ 9), während in der siebenbürgischen Verordnung die Vertretung durch Advokaten ausdrücklich gestattet und nur angeordnet ist, daß gleichwohl die Parthei auch persönlich zu erscheinen verhalten werden kann oder auf den Mangel, daß von Tragung der Prozeßkosten keine Erwähnung geschieht.

Thun

Der Cultusminister kann sich durch die vorgenommene Änderung des § 17 nicht bestimmt finden, von seinen Bedenken gegen die Vorlage abzustehen. Eine Verfügung zu dem Ende, daß geringfügige, einfache Rechtsstreitigkeiten in möglichst einfacher schneller Weise geschlichtet werden, sei gewiß ein Bedürfnis. Aber die Gesetzgebung kann sich nicht der Sorge entschlagen, auch die Entscheidung solcher Angelegenheit so viel als möglich – wie es in dem ungarischen Gesetze von 1836 geschehen ist – in die Hände rechtskundiger Richter zu legen. Wo es nicht möglich ist, möge man zu dem Nothbehelfe greifen, die Gerichtsbarkeit anderen Personen anzuvertrauen, insoferne der Kläger vor ihnen sein Recht suchen will; ihn dazu zu zwingen, auch wenn er voraus zu sehen glaubt, daß er genöthigt sein werde, an den ordentlichen Richter zu appelliren, begründet nur eine nutzlose Verzögerung. <Daß ein solcher Zwang nicht nothwendig ist, um den ordentlichen Richter einer großen Menge von Prozessen zu entledigen, beweist die in Siebenbürgen gemachte Erfahrung. Wenn durch eine [?] Justizpflege dafür gesorgt ist, daß nicht jeder Prozeß, so schwer auch das endliche Ergebnis sein mag, [?] [?] werden kann, so werde in einfachen Angelegenheiten die Parthei ganz freiwillig auf die Entscheidung eines rechtskundigen Obmannes sich [?].>15