Konzept eines Schreibens von Leo Thun an Kaiser Franz Joseph
Hetzendorf, Juni 1859
|

Regest

Leo Thun schildert Kaiser Franz Joseph seine Ansichten zur Situation in Lombardo-Venetien und zur gebotenen Reaktion Österreichs auf den Einmarsch der Franzosen in Mailand. Thun spricht sich dagegen aus, die Armee aus der Lombardei zurückzuziehen und das Land Napoleon III. kampflos zu überlassen. Damit würde Österreich sowohl im Inneren als auch nach Außen als Verlierer dastehen. Thun glaubt, dass Österreich nur aus einer Position der Stärke heraus handlungsfähig bleiben kann.

Anmerkungen zum Dokument

Eigenhändiges Konzept von Leo Thun.

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000B-DA27-4

Schlagworte

Edierter Text

Konzept meines an Seine Majestät abgeschickten Schreibens
Hetzendorf, gleich nach dem Einzuge der Franzosen in Mailand 1859.1

Tief erschüttert von den Ereignissen dieser Tage, kann ich dem Drange nicht widerstehen, Euer Majestät die Gedanken und Gefühle auszudrücken, die mich und ich glaube viele der treuesten Unterthanen Euerer Majestät bewegen.
Napoleon hat es gewagt, obgleich zwei österreichische Armeen im lombardisch-venezianischen Königreiche stehen, seine Operationsbasis zu verlassen und nach Mailand zu marschieren. Er ist, trotz der [?] und dem Löwenmuthe, mit dem die Truppen fochten, die er begegnete, in Mailand eingezogen, weil er nur einer verhältnismäßig kleinen Heldenschaar begegnete.
Wenn die Heere Euerer Majestät sich jetzt zurückziehen sollten, was würden die Folgen dieser Ereignisse sein:
1. Für die Lombardie. Ich zweifle nicht daran, daß Euere Majestät sie später wieder erobern werden, aber es wird doch ein neuer thatsächlicher Beweis geliefert sein, daß Österreich sie bei jedem Kriege in Italien, auch bei einem vorhergesehenen, zeitweilig seinen Feinden Preis geben muß. Wie ist es unter solcher Voraussetzung möglich, sie erfolgreich zu regieren? Wem kann dann zugemuthet werden, für die Regierung einzustehen und entschieden zu ihr zu halten, wenn es eine ausgemachte Sache ist, daß sie ihn gegen ihre und seine Feinde nicht schützen kann?
2. Für die Stellung Österreichs. Wenn Napoleon demnächst nach Paris triumphirend heimkehren kann, während die österreichischen Heere sich zurückziehen, so wird er befestigt in seiner Stellung nach innen wie nach außen seine diplomatischen Intriguen wieder aufnehmen, Östreich wiederum[?] in einen Kongreß zitiren, vielleicht großmüthig später erklären, daß er sich damit begnügen wolle, wenn Östreich nur die Lombardie an Piemont abtrete und alle unsere Feinde und falschen Freunde werden auf seiner Seite stehen.
Deshalb will es mir scheinen: Alles liegt daran, noch jetzt, wenn es nur irgend möglich ist, ihm nicht zu gestatten, daß er triumphirend heimkehre, ihm in Mailand keine Ruhe zu lassen. Sollte darüber – was Gott verhindern wolle – selbst eine der Armeen Euerer Majestät aufgerieben werden, es würde nicht geschehen, ohne daß die Feinde in wenigstens gleichem Maaße geschwächt würden und unsere Stellung am Mincio wäre danach eben so gut wie jetzt. Beweise unserer Zähigkeit im Kampfe, des Muthes nicht nur der Truppen, sondern auch ihrer Führer würden uns die Sympathien wieder gewinnen, die wie ich fürchte, durch die eilige Räumung Mailands angesichts eines Feindes, der selbst gestand ausruhen und sich reorganisiren zu müssen, sehr gelitten haben. Gelänge es aber Euerer Majestät, ohne das Heer aus der Lombardie zurückzuziehen, Mailand wieder zu erobern und den Feind zum Lande hinaus zu jagen, so wäre doch noch so ziemlich dasselbe erreicht, als wenn er gehindert würde, die Gränze zu überschreiten. Gott gebe, daß Euere Majestät die Lombardie nicht räumen, ohne eine Hauptschlacht geliefert zu haben. Der Allmächtige wird die Waffen Euerer Majestät segnen!
Willig, ja größtentheils freudig tragen die Völker Euerer Majestät schwere Lasten, um ein mächtiges Heer in Italien zu erhalten. Sie werden hoffentlich auch noch ferner in Glück und Unglück treu und muthig ausharren, wenn Euere Majestät ihren Muth neu beleben. Aber zu sehen, wie die finanziellen Kräfte erschöpft werden und die Brüder in immer ungleichen und nur darum vergeblichen Gefechten verbluten, während der größere Theil des Heeres nicht in den Kampf geführt wird, das Euere Majestät, zerstört alles Vertrauen und hat der Stimmung sehr geschadet. Vielleicht setzte ich mich, dadurch, daß ich unberufen so schreibe, der allerhöchsten Ungnade aus, zumal ich von militärischen Dingen nichts verstehe; ich händige mich der Gnade, mit der Euere Majestät bei anderen Anläßen den freimüthigen Ausdruck meiner Besorgnisse angehört haben [aus]. Aber Euere Majestät haben mich bei anderen Anläßen gnädig angehört und werden wenigstens daran nicht zweifeln, daß nur die innigsten Gefühle für Euere Majestät und das Reich mich verleiten, wieder einmal darauf zu [?], daß Euere Majestät bei anderen Anläßen den Ausdruck meiner Besorgnisse gnädig angehört haben.