Schulrat Johann Mikulas informiert Leo Thun über die problematische Situation der Gymnasien in Ungarn. Die Ursachen für die geschilderten Probleme liegen aus der Sicht von Mikulas insbesondere in den Streitigkeiten zwischen der magyarischen und slowakischen Bevölkerung sowie in der hohen Zahl der privaten und vorwiegend evangelischen Lehranstalten. Zunächst bittet der Schulrat daher, dem evangelischen Gymnasium in Nagykörös das Öffentlichkeitsrecht zu verleihen: damit könnte man nämlich die Reform in Ungarn vorantreiben und den Besuch von privaten Lehranstalten nach und nach eingrenzen. Private Gymnasien, so schreibt Mikulas, seien schwer zu überwachen und dort herrsche oft eine negative Stimmung gegenüber der Regierung. Mikulas berichtet dann, dass die Gemeinde in Miskolc Geld für die Einrichtung eines öffentlichen Obergymnasiums zur Verfügung stellen will. Leider seien die Mittel begrenzt und daher benötige man auch die Unterstützung des Staates. Mikulas hofft, dass diese Unterstützung gewährt werde. Er begründet dies mit seiner oben erwähnten Ansicht, dass der Besuch von privaten Lehranstalten möglichst einzuschränken sei. Dementsprechend bittet er auch, das Gesuch der reformierten Kirchengemeinde von Kecskemét, dem dortigen Gymnasium zu gestatten, die Maturitätsprüfungen abzuhalten, abzulehnen. Schließlich bittet Mikulas noch um eine Reorganisation der Schulbehörden und einige Mitarbeiter, um seinen zahlreichen Aufgaben gerecht werden zu können. Abschließend teilt Mikulas dem Minister mit, dass er bisher noch keine geeignete Person für die Regelung der Angelegenheiten der evangelischen Kirchen in Ungarn finden konnte: Möglichen Kandidaten fehle es entweder an den nötigen Sprach- und Sachkenntnissen oder am Willen, diese schwierige Aufgabe zu übernehmen.
Hochgeborner Herr Graf!
Die am 12. dieses Monates erfolgte Unterbreitung meines Berichtes über die
nunmehr vollständige Reorganisation des 8-klassigen Gymnasiums in N[agy] Körös
hat mir nicht nur den Anlaß geboten, sondern auch die Pflicht auferlegt, mich
mit einigen dringenden Bitten an Euere Excellenz zu wenden.
Die baldige
Verleihung des Öffentlichkeitsrechtes für das Köröser Gymnasium liegt mir, der ich die Umstände jetzt schon
genau zu kennen meine, sehr am Herzen. Die braven Köröser haben von vielen
Seiten verleumdet, angefeindet und durch falsche Gerüchte – z. B. durch das
weitverbreitete Gerücht, das k.k. Unterrichtsministerium werde einem evangelischen Obergymnasium das
Recht der Öffentlichkeit nie zuerkennen, – geängstigt, dennoch keinen Augenblick
gezweifelt, den Wünschen der Regirung nachzukommen. Nun bietet sich Euerer
Excellenz eine erwünschte Gelegenheit dar, diejenigen Lügen zu strafen, welche
behaupten, daß die neuen Bestimmungen über den Unterricht die Vernichtung der
evangelischen Schulen bezwecken. Das Köröser Gymnasium ist – wenn ich nicht sehr irre – den
Staatsgymnasien ganz analog eingerichtet, und ich sehe keinen Grund, warum
dasselbe nicht sogleich für eine öffentliche Schule erklärt werden könnte. Da
nun die erwähnten Verleumdungen alle meine Schritte hemmen, so läge es in der
That im Interesse der erwünschten Schulenreform, wenn Euere Excellenz die Gnade
hätten die schnelle Erledigung des unter 391/Ev.Sch. vorgelegten Berichtes
anzuordnen. Es ist ganz überflüssig, daß der Herr Referent die Masse von
magyarischen Beilagestücken studire. Sollten Euere Excellenz die Entscheidung zu
treffen geruhen, daß mindestens einer der compromittirten Professoren beseitigt
werden müsse, so wäre eher Jánosi zu
entfernen als Szász, welcher äußerst
geschickt ist und eine wirkliche Reue an den Tag gelegt hat. Der zum Director
vorgeschlagene Varga besitzt wenig
Bildung, aber umso mehr Prätensionen; er wurde zum Rector gewählt, weil er sonst
nicht ermüden würde, seine Collegen bei den Landesstellen zu verdächtigen. In
2–3 Jahren können sich aber die Individuen minder correcter Gesinnung so sehr zu
ihrem Vortheil ändern, daß es wirklich schade wäre, den Varga an dem Posten noch ferner zu belassen.
Der zur Führung des Rectorates geeigneteste Lehrer wäre Ludwig Kiss, einer der ausgezeichnetesten
Pädagogen in Ungarn. Es ist allerdings wahr, daß ich mit dem
Geiste, welcher an vielen Schulen herrscht, sehr unzufrieden bin und genöthigt
sein werde, behufs einer strengeren Überwachung im Wege der Schulbehörde Anträge
zu stellen. Allein Körös ist in dieser Beziehung verhältnismäßig noch eine
rühmenswerthe Ausnahme. Man hat mir vor einigen Tagen geschrieben, daß das
Köröser Consistorium beschlossen
habe, eine Deputation an Euere Excellenz zu senden. Der Führer dieser Deputation
ist der Ortsprediger Gabriel von
Báthori, welcher schon im Monate März diesen Jahres um eine
Audienz bei Euerer Excellenz ansuchte, aber nicht vorgelassen werden konnte.
Sollten Euere Excellenz jetzt Muße finden die Deputation zu empfangen, so
erlaube ich mir zu bemerken, daß Báthori ein sehr redlicher und der Regierung ergebener Mann sei,
dessen Bemühungen die schöne Dotirung des Köröser Gymnasiums zu verdanken ist.
In kurzer Zeit werde
ich eine Bitte oder Anfrage der Miskolczer
Gemeinde, welche ebenfalls ein Obergymnasium organisirt, vorzulegen die Ehre
haben. Die Miskolczer haben Beiträge gesammelt, sich selbst besteuert, ja sogar
eine Predigerstelle eingehen lassen, kurz, sie haben alles gethan, um imstande
zu sein, 12 ordentliche Professoren zu besolden. Trotz allen Bemühungen gelang
es denselben aber nicht mehr zusammenzubringen, als Fonds für 10 ordentliche
Professoren und für 2 Supplenten, deren Honorar allerdings sehr karg ausfallen
wird. Die Anfrage ist nun die, werden Euer Excellenz einem Gymnasium mit 10
ordentlichen Lehrern und 2 Supplenten das Öffentlichkeitsrecht zugestehen? Ich
würde es nicht wagen diese Frage zu stellen, wenn ich nicht mächtige Gründe
hätte zu wünschen, daß jenes Gymnasium ein öffentliches werde. Diese Gründe
sind: Gibt man der Bitte der schon ganz erschöpften Gemeinde keine Folge, so ist
sie entschlossen, auch dasjenige rückgängig zu machen, was bis jetzt zustande
gebracht worden. Ferner liegt in der Nähe Sárospatak eine
Schule, worin seither ein bedenklicher Geist herrschte. Diese Schule gehört zu
dem Kaschauer [Košice] Districte, obwohl
sie sowie auch das Szarvaser Gymnasium zum
Rayon der hiesigen Schulbehörde zu gehören wünschte. Es wäre also zu wünschen,
daß die Studirenden von Sárospatak, deren Zahl sich
außerordentlich mehrt, nach Miskolcz
gezogen würden. Dies kann aber nur dadurch bewirkt werden, wenn man das
Öffentlichkeitsrecht den Miskolczern zugesteht, den S. Patakern einstweilen noch
vorenthält. Endlich bin ich fest überzeugt, daß nur an öffentlichen Gymnasien
ein guter Geist in Bälde einkehren kann. Aus diesen Gründen muß ich wieder
bitten, auch die Vorlagen betreffend Miskolcz schleunig erledigen zu lassen.
Mit der soeben
ausgesprochenen Überzeugung steht ein andrer Gegenstand in engem Zusammenhange.
Es ist mir bekannt, zumal eine Deputation bei mir war, die Angelegenheit zu
empfehlen, daß aus dem am 13. Juni hier in Pest
abgehaltenen Superintendenzialconvente ein Gesuch an Euere Excellenz gerichtet
wurde des Inhaltes, daß den Schülern des 8-klassigen Gymnasiums zu
Kecskemét gestattet werde, die Maturitätsprüfung ohne
Vorweisung von staatsgiltigen Zeugnissen abzulegen. Ich habe nicht nur die
Verordnung vom 27. Juni 1850, sondern auch manche Erlässe, welche von diesem
Gegenstande handeln, aufmerksam gelesen, um zu sehen, ob Euere Excellenz den
Kecskemétern die Bitte gewähren können, und gewahrte mit wahrem Schrecken, daß
die bisherigen Bestimmungen vielleicht eine für die Bittsteller günstige
Entscheidung erheischen. Euere Excellenz wissen es wohl, daß ich eine unnöthige
Strenge nie heuchlerisch in Schutz genommen habe; allein diesmal kann ich nicht
umhin, aufs dringendste zu bitten, Euere Excellenz wollen die bisherigen
Concessionen nur auf den häuslichen Privatunterricht beziehend den Bittstellern
einen entschieden abschlägigen Bescheid geben. Denn was wäre die Folge einer
günstigen Entscheidung? Die Schüler solcher Winkelgymnasien, wie in
Kisujszállás, Karczag [Karcag]
oder Aszód, würden bei einem oder zwei Lehrern 4 Klassen
absolviren, dann nach Kecskemét gehen, weil dort weniger
zu lernen wäre als an einem öffentlichen Gymnasium, und sich dann rebus quasi
bene gestis einer Maturitätsprüfungscommission stellen, welche noch sehr lange
und vielleicht immer ungeachtet der Verordnungen, eine wahrhaft sträfliche
Nachsicht üben wird. Welchen Grund hätten dann noch die Privatlehranstalten,
sich zu öffentlichen umzugestalten als einen Eifer für das Unterrichtswesen,
welcher so selten zu finden ist, und die Furcht vor der Rekrutenstellung, welche
die Gymnasiasten so selten trifft? Ich besorge in der That, daß das ganze mühsam
begonnene Werk vernichtet wird, wenn die Kecskeméter eine günstige Entscheidung
erhalten. Dann werden alle Gemeinden, die schon einiges leisteten, retractiren
und es wird uns nie gelingen, den schlechten Geist in den Schulen auszurotten.
Und warum will die Kecskeméter reformirte
Kirchengemeinde ihr 8-klassiges Gymnasium um jeden Preis behalten, wo doch nach
Eröffnung der Eisenbahnstrecke von Czegléd bis
Kecskemét, welche wahrscheinlich schon im nächsten
Monate erfolgen wird, das benachbarte Körös mit seinem vollständig reorganisirten Obergymnasium nur
10 Minuten von Kecskemét entfernt sein wird? Weil
Kecskemét und Körös seit etwa 25 Jahren dermaßen miteinander rivalisiren, daß
sie sich einander in jeder Hinsicht stets überbieten wollen, weil es die
Eitelkeit der Kecskeméter nicht verdauen könnte, daß Körös ein Gymnasium habe und
Kecskemét „nur“ etwa eine Realschule, und weil der
Superintendent Polgár, ein guter aber
schwacher alter Mann, welcher zugleich Kecskeméter Pfarrer ist und somit von den Kecskemétern in
steter Abhängigkeit gehalten wird, die Interessen der gesammten Superintendenz
den Localinteressen von Kecskemét unterordnen muß und
sich von seinen Söhnen, von den Professoren an der Kecskeméter theologischen Lehranstalt und von den Advocaten in
Kecskemét regiren läßt. Alle Senioren der reformirten
Superintendenz versuchten ungefähr in der Richtung zu wirken, welche ich selbst
für die richtige halte; allein ihnen trat stets der Superintendent mit seinen Rathgebern in den
Weg und vereitelte die besten Absichten. Der Superintendent ist aber, vermöge
der ihm mit der Verordnung vom 10. Februar 1850 verliehenen Amtsgewalt, der
alleinige Leiter der Superintendenz. Für alles, was ich hier sage, und noch mehr
als ich sage, habe ich unumstößliche Beweise, nämlich die Protocolle des
Superintendenten, in Händen. Ich wußte mir dieselben zu verschaffen. Wollte
Kecskemét die bisher festgehaltenen unsinnigen Pläne
aufgeben und eine Realschule errichten oder die theologische Anstalt
vervollständigen, dann würde die ganze Superintendenz hilfreiche Hand zu diesem
Bestreben reichen, während jetzt gegenseitige Erbitterung herrscht und die
Verwirrung wächst.
Allein dem Gesagten zufolge würde ich sehr wünschen, daß
in Körös und Miskolcz sobald als nur möglich öffentliche Obergymnasien
bestehen. Dann wäre nach meiner Meinung ein energisches Auftreten von Seite der
Regierung erforderlich. Es sollten alle evangelischen Gymnasialschulen in diesem
Districte für bloße Privatanstalten erklärt und diese Erklärung auch in die
amtlichen Blätter mit dem Bedeuten eingerückt werden, daß sich ein öffentliches
Gymnasium unter keinerlei Vorwand unterfange, Zeugnisse von solchen
Privatanstalten als giltig zu anerkennen. Wer staatsgiltige Zeugnisse erlangen
will, soll an einem öffentlichen Gymnasium studiren oder sich der halbjährigen
legalen Prüfung unterziehen. Ferner könnten Euere Excellenz die Gnade haben,
baldigst den Befehl zu erlassen, daß über den Zustand der sämmtlichen
evangelischen Gymnasien in diesem Districte, zumal betreffs der Qualification
der Lehrer, so genaue Berichte vorgelegt werden wie die von N[agy] Körös. Auch sollten alle Mittelschulen
und höheren Lehranstalten der Evangelischen gehalten sein, der Schulbehörde
halbjährig erschöpfende Berichte über ihren Zustand vorzulegen, den Beginn des
Schuljahres, den Termin der Prüfungen, den Erfolg im Unterrichte, die
Klassification und jeden Wechsel in der Direction und den Personalstatus unter
Androhung der Schließung der Schule im Falle der Weigerung oder wiederholter
Versäumniße vorzulegen. Endlich, um auf eine Spezialität zu kommen, wäre es
höchst wünschenswerth, die Streitigkeiten zwischen der hiesigen slavischen und
deutschmagyarischen Gemeinde zum Abschluße zu bringen. Denn bis diese Frage
betreffend des Mein und Dein nicht gelöst ist, kann hier in
Pest wohl niemand eine große Lust verspüren, für das
gemeinsame Gymnasium aus eignem Säckel beizusteuern. Man könnte diesen
slavisch-magyarischen Knoten durchhauen, zu lösen wird er nie sein. Der
Commissär Kubinyi hat die Sache nur
noch mehr verwirrt. In Pest sollte vorerst ein
Untergymnasium organisirt, später auch eine Unterrealschule errichtet werden.
Untergymnasien könnten noch bestehen in Halas, Holdmezö-Vásárhely und Gyönk. Die übrigen mögen eingehen. Nur ist es etwas
schwer, diese Scheingymnasien ganz aufzulösen und in bloße Volksschulen zu
verwandeln, bevor das Gesetz über den Elementarunterricht erschienen ist. In
Körös soll neben dem Gymnasium noch
ein Schullehrerseminar errichtet werden.
Was unsern Geschäftsgang anbelangt,
darüber mag ich gar nicht sprechen. Wir befinden uns in einer kläglichen
Unordnung. Die Verordnung betreffend das Verbot gegen den Besuch unsrer Schulen
von Katholischen, habe ich vorgestern zum ersten Mal zu Gesicht bekommen! Mit
den Expeditionen geht es nicht besser. Da ich kein Amtssiegel habe und oft nicht
warten darf, bis ein Stück die Revue passirt und expedirt wird, muß ich sehr
häufig den Privatweg einschlagen. Das hat aber manche Inconvenienzen zur Folge.
Nichts ist nothwendiger, als daß die Schulbehörde organisirt werde und, wo
möglich, ein paar Abschreiber zu eigner Verfügung habe umso mehr, als sich die
Geschäfte immer mehren. Auch ist es sehr unbequem, das Referat in
Unterrichtsangelegenheiten zu führen, ohne auch die kirchlichen Angelegenheiten
der Evangelischen zu referiren.
Am Schluße meiner ergebensten Mittheilungen
kann ich nicht umhin, des Auftrages zu gedenken, welchen mir Euere Excellenz zu
geben die Gnade hatten; obwohl ich immer verlegen bin, wenn ich dieser
Angelegenheit gedenke. Ich würde es nicht verantworten können, Euerer Excellenz
ein unbrauchbares Individuum aufgebürdet zu haben und muß offen gestehen, daß
ich weder in Pest-Ofen noch im weiten Bereiche des
Districtes bisher einen Mann gefunden habe, welcher mit der Kenntnis der
Verhältnisse der evangelischen Kirche und Schule die Kenntnis der deutschen,
magyarischen und slavischen Sprache verbindet und zugleich mäßige Ansprüche
erhebt. Einige würden in Pest gerne dienen, scheuen aber
den Aufenthalt in Wien. Die andern fühlen sich den an sie
von Seite der höchsten Staatsbehörde zu stellenden Anforderungen nicht
gewachsen. Wieder andre haben Familie und würden wohl jährliche 1.200 Gulden
brauchen, um in der Residenz leben zu können. Calviner, die der deutschen und
der slavischen Sprache gleich mächtig wären, gibt es in ganz
Ungarn nicht. Endlich erlangt jeder Tüchtigere eine
Professur mit der Besoldung von jährlichen 800–1.000 Gulden und die gesetzlichen
Bestimmungen haben die Lehrerstellen am Gymnasium sehr annehmbar gemacht. Unter
diesen Umständen weiß ich gegenwärtig keinen Rath, woher ein taugliches
Individuum zu verschaffen wäre, vielleicht kommt der Zufall zu Hilfe.
Indem
ich um Entschuldigung bitte, daß ich mich nicht kürzer gefaßt habe, verharre ich
in tiefster Ehrfurcht und mit unbedingter Ergebenheit
Euerer Excellenz
unterthäniger Diener
Joh. Mikulás
Pest, am 16. Juli 1853