Hofkanzler Nikolaus Vay berichtet Bernhard Rechberg-Rothenlöwen über die
Stimmung unter den Protestanten in Ungarn. Bei der jüngsten Versammlung
in Pest herrschte nach Auskunft von Vay eine äußerst gereizte Stimmung,
anders als bei den Versammlungen in Miskolc und Debrezin. Bei letzteren
Treffen ließ er über Rechbergs Vorschlag hinsichtlich der Abhaltung
einer Generalkonferenz der Protestanten beraten. Dabei wurden aber zwei
Probleme angesprochen: erstens gäbe es keinen Oberkurator, der befugt
wäre, eine solche Konferenz einzuberufen, und zweitens wären zunächst
Senioral- oder Superintendentialversammlungen einzuberufen, die über die
Beschickung und die Wahl von Delegierten zur Generalversammlung beraten
müssten. Vay zeigt sich aber optimistisch, dass diese Probleme gelöst
werden können. Weniger zuversichtlich ist er allerdings hinsichtlich der
gereizten Stimmung in zahlreichen Orten. Vay rät, dass die Regierung den
zahlreichen Gerüchten zum Protestantenpatent offensiv entgegentreten
müsse.
Beilage: Bernhard Rechberg-Rothenlöwen äußert sich erfreut
darüber, dass eine friedliche Lösung der bestehenden Schwierigkeiten
möglich sei. Allerdings gibt er zu bedenken, dass eine Verständigung nur
auf Grundlage des allerhöchsten Patentes vom 1. September 1859 möglich
sein könne. Auch könnten die von Vay gewünschten Distriktualkonvente nur
im Falle der Erlaubnis des Kaisers abgehalten werden. Hinsichtlich der
Neuwahl der Oberkuratoren äußert sich Rechberg dahingehend, dass diese
ebenfalls auf Grundlage des Patentes zu erfolgen habe.
Beilage: Bernhard Rechberg-Rothenlöwen an Nikolaus Vay, 16. März 1860.
Beide Dokumente sind auch in Kopie im Nachlass vorhanden.
Copia
An den Herrn Ministerpräsidenten Grafen Rechberg
Hochgeborner Graf!
Erst heute bin ich in der Lage von der mir gnädigst ertheilten Erlaubnis Gebrauch
[zu] machen und Eurer Excellenz über den Stand der protestantischen
Angelegenheiten einiges mittheilen zu können.
Als ich gleich nach den in
Wien gepflogenen Besprechungen nach
Pest kam, fand ich dort bereits eine zahlreiche
meiner Ankunft harrende Konferenz versammelt, deren vielfachen Interpellationen
ich Stand halten mußte; ich traf in der Versammlung eine so gereizte Stimmung
an, daß ich die unter dem hohen Vorsitze Eurer Excellenz angeregte Idee wegen
einer abzuhaltenden Generalkonferenz und einer von dort aus zu erlassenden, eine
neue Eintheilung der Superintendenzen anstrebenden Petition, kaum gesprächsweise
vorzubringen für rathsam hielt.
Nicht so in Debreczin und hier in Miskolcz
[Miskolc], wo ich in sehr zahlreichen wiederholten
Zusammenkünften kürzlich erst über diese Frage berathen ließ.
Es ergaben
sich jedoch bei Erörterung des gedachten Vorschlages zwei wesentliche
Hindernisse; vor allem – da wir gegenwärtig keinen einzigen Oberkurator haben –
mangelt es uns an einer Person, die gesetzlich befugt wäre, eine ähnliche
Konferenz zusammen zu rufen; dann wurde auch deren Beschickung, ohne
vorhergegangene Senioral- oder Superintendentialversammlungen für unmöglich
befunden, da ja ohne einer speziellen Ermächtigung Niemand in gültiger Weise die
Gemeinden, deren nachträgliche Reklamationen mit Recht befürchtet wurden,
vertreten dürfte.
Die Überzeugung hat sich indessen an beiden Orten deutlich
herausgestellt, daß aus diesen Wirren, auf friedlichem Wege nur durch eine
wünschenswerthe Vereinbarung heraus zu kommen sein dürfte.
Auch sprach sich
beinahe einstimmig die Hoffnung aus, daß auf den Fall, wenn die in nächster
Zukunft noch abzuhalten beabsichtigten Superintendentialversammlungen nicht
gewaltsam gestört werden, in der Miskolcz’er man mich zum Oberkurator erwählen würde, wo zu
gleich, wie auch in den anderen dreien, nebstbei nicht ohne Erfolg man dahin
würde wirken können, daß jede derselben eine unter meinem Präsidium abzuhaltende
Generalkonferenz ohne Verzug mit vier Deputirten beschickte; so zwar, daß diese
Versammlung dann als Ausfluß sämmtlicher reformirten Gemeinden ohne Rücksicht
auf deren gegenwärtige Eintheilung könnte betrachtet werden; diese Konferenz
würde dann in Debreczin zusammentreten,
eine den Umständen angemessene alleruntertänigste Petition verfassen, solche
nach vorläufig eingeholter Erlaubnis durch einige ihrer Mitglieder an die Stufen
des allerhöchsten Thrones entsenden und auch die Intermediation Seiner k.k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn
Erzherzog Landesgouverneurs ehrfurchtsvoll erbitten; was aber die
Hauptsache ist, würde diese Generalkonferenz seitens der reformirten
Gesammtkirche ermächtiget sein, auf etwaigen Wunsch oder Befehl Seiner k.k. Apostolischen Majestät zur
erwünschten Ausgleichung der leider im Zunehmen begriffenen Mißhelligkeiten auf
Grundlage der bestehenden Pacificationen und des Grundgesetzes von 1790 auch
ihrerseits das Nöthige beizutragen.
Wie erwähnt, war der Wunsch einer
ähnlichen Gebarung so deutlich und allgemein ausgesprochen, daß wenn nicht
abermals unerwartete Ereignisse dazwischen treten, die Sache in obiger Weise,
sicherlich in allen vier Superintendenzen wird zu Rathe gezogen, ja sehr
wahrscheinlich auch beschlossen werden.
Ich kann es bei dieser Gelegenheit
nicht unerwähnt lassen, wie es zur Beschwichtigung der bereits an vielen Orten
höchst arg gewordenen Stimmung ersprießlich wäre, wenn über einen zu den
Gerichten gelangten Erlaß des hohen Justizministeriums, von welchem gerüchtweise
Einiges in das Publikum drang, die öffentliche Meinung gehörig aufgeklärt würde;
während nämlich der hohe Ministerialerlaß, wie es heißt, die einzelnen ihrer
bisherigen Autonomie treu gebliebenen, sich patentmäßig nicht koordinirten
Gemeinden sämmtlicher Vereinsrechte für verlustig erklärt, geht das Gerücht noch
weiter und die absurde Sage von Munde zu Munde, daß die hohe Regierung jeden
einzelnen, sich bis Ende März dem Patente blindlings nicht fügenden und hiezu
sich nicht schriftlich verpflichtenden Protestanten seiner sämmtlichen
bürgerlichen Rechte für verlustig, ja solche Refraktarier für vogelfrei zu
erklären Willens sei!
Ich würde der Sache als einer böswilligen Ironie gewiß
nicht gedacht haben, wäre nicht ich selbst vor ein paar Tagen in der Lage
gewesen, die Leute hierüber mündlich und schriftlich beruhigen zu müssen!
Es
gibt genug der noch unerledigten Klagen – möge wenigstens dem Wahne gesteuert
werden!
Genehmigen Eure Excellenz den Ausdruck meiner tiefen Verehrung, mit
der ichverharre
Eurer Excellenz
ergebenster
Nikolaus Fhr. v. Vay
Miskolcz, 2.3.[1]860
An Baron Nic[olaus] Vay sen.
Aus dem gefälligen Schreiben vom 2. letzten Monats, welches mir am 13. dieses
Monats übergeben worden ist, habe ich mit Vergnügen ersehen, daß Euer
Hochwürden der Hoffnung nicht entsagen, Ihre Glaubensgenossen zu Schritten
zu bewegen, durch welche eine friedliche Lösung der obwaltenden
Schwierigkeiten angebahnt werden könnte. Nachdem jedoch eine Verständigung
anders als auf Grundlage und unter Anerkennung des Allerhöchsten Patentes
vom 1. September vorigen Jahres unmöglich ist, wie auch Euer ~ in den mit
Ihnen gepflogenen vertraulichen Besprechungen anerkannt haben, <so habe
ich sehr bedauert>1, in dem geehrten Schreiben diese unerläßliche Grundlage
nicht wiedergefunden zu haben. Euer ~ halten es für wünschenswerth, daß
nochmals in den bisher bestandenen Superintendenzen Districtualconvente
gehalten werden. Nachdem aber solche Convente in Folge bedauerlicher Akte
der Auflehnung gegen das allerhöchste Patent verboten werden mußten, so
werden Euer ~ nicht verkennen, daß deren nochmalige Abhaltung nur zulässig
sein könnte, wenn Seine k.k. apostolische
Majestät Sich allergnädigst bestimmt finden sollten, hierzu
eine spezielle Erlaubnis zu ertheilen, was offenbar nur in Erledigung einer
unter Anerkennung jenes allerhöchsten Patentes an Seine Majestät gestellten
allerunterthänigsten Bitte denkbar wäre. Für ein nur auf dieses Petitum sich
beschränkendes Gesuch können bloße Formfragen über das Mandat der
Bittsteller wohl von keinem Belange sein. Jedenfalls dürfte für dessen
Aufnahme und allerhöchste Erledigung nur der Umstand maßgebend erscheinen,
ob der Inhalt des Gesuches und der Charakter derjenigen, welche dafür mit
ihren Namen einstehen, Bürgschaften gewähren, daß aufrichtig eine
Verständigung auf Grundlage des allerhöchsten Patentes vom 1. September
vorigen Jahres angestrebt werde und nicht der Widerstand gegen dasselbe
einfach fortgesetzt werden wolle.
Bedauern müßte ich, wenn gleichwohl
auch für einen solchen Schritt der Mangel von Oberkuratoren als ein
Hindernis angesehen werden wollte; denn die Neuwahl von Oberkuratoren wird
jedenfalls nur auf Grundlage des allerhöchsten Patentes und daher nur für
diejenigen Superintendenzen stattfinden können, welche in demselben
bezeichnet sind oder etwa durch eine nach gepflogener Verständigung zu
erlassende neuerliche allerhöchste Resolution festgestellt werden
sollten.
Was die am Schlusse Ihres geschätzten Schreibens erwähnten
aufregenden Gerüchte anbelangt, so gehören dieselben allerdings nur in die
Reihe jener Unwahrheiten, mit denen man die Gemüther der protestantischen
Unterthanen Seiner Majestät zu
vergiften in sträflicher Weise bemüht ist.
Wien, 16. März 1860
Gf. Rechberg