Der Theologe Constantin Tischendorf bittet Leo Thun nachdrücklich seinen Antrag an die österreichische Regierung zur Förderung einer wissenschaftlichen Mission in den Orient zu unterstützen. Tischendorf hatte bereits vor Monaten einen solchen Antrag an Felix Schwarzenberg gerichtet, bisher aber noch keine Rückmeldung erhalten. Die Mission soll dem Zweck dienen, Bibliotheken zu besuchen und über die dort vorhandenen Manuskripte in einem Katalog zu erfassen. Zudem will er wertvolle Manuskripte, die für die Bibelforschung von großem Interesse sind erwerben. Gleichzeitig möchte Tischendorf auch die österreichischen Bibliotheken – vor allem jene in Venedig, Mailand, Verona und Böhmen – besuchen und dort Forschungen betreiben, die auch für die Wiener Akademie der Wissenschaften von Interesse sein werden.
Eure Excellenz,
haben mir in Paris eine so wohlwollende Aufnahme und schon
längst ein so huldvolles Interesse geschenkt, daß ich Ihre Anwesenheit in
Wien für einen Zweck zu nützen wage, den ich der
Protektion eines so erleuchteten Staatsmannes würdig glaube.
Ich habe unterm
16. April Seiner Erlaucht dem Grafen
Kuefstein, nicht ohne seiner eigenen Veranlassung, den Antrag
einer wissenschaftlichen Mission übergeben, den derselbe sofort hochgeneigtest
an den Herrn Fürsten
Ministerpräsidenten selbst einsandte. Dieser Antrag bezweckt
zunächst eine wissenschaftliche Mission nach dem Morgenlande, soweit ich
dasselbe schon früher bereist habe, theils um einen großen einzigen Bibelschatz
zu erwerben oder wenigstens an Ort und Stelle für die Wissenschaft und Kirche
auszubeuten, theils um über sämmtliche dortige größtentheils erst durch mich in
Europa näher bekannt gewordenen Bibliotheken eine
Catalogue raisonné zu fertigen, unter sofortiger Erwerbung aller wichtigen
Handschriften, soweit dies möglich wäre. Zugleich hab‘ ich es aber
ausgesprochen, daß mir diese Mission doppelt erwünscht sein würde, knüpfte sich
daran eine förmliche Berufung nach Wien. Dabei hob ich
den Wunsch hervor, vorzugsweise den Bibliotheken des Kaiserstaats, wie denen zu
Venedig, zu Mailand, zu
Verona, in Böhmen
meine Thätigkeit zu widmen, und deutete mehrere Gesichtspunkte an, unter denen
meine Forschungen der Kaiserlichen
Akademie der Wissenschaften nicht unwillkommen sein
möchten.
Da ich nun, so gut wie Graf
Kuefstein, bis jetzt noch ohne Bescheid geblieben, so wage ich
Eurer Excellenz unterthänigst zu ersuchen Seiner Durchlaucht dem Fürsten Ministerpräsidenten mein
Schreiben vom 16. April in Erinnerung zu bringen, und für dasselbe, wenn es
anders mit dem gnädigen Urtheile Eurer Excellenz über mich vereinbar ist, der
gewichtigste Fürsprecher werden zu wollen.
Wie sehr meine im letzten
Jahrzehend der Öffentlichkeit übergebenen Arbeiten selbst von streng
katholischer Seite anerkannt worden [sind], das sah ich neulich von Neuem an den
mehrfachen Artikeln darüber in dem Thesaurus librorum rei catholicae, Würzburg
1850, S. 136, 210 fg, 223, 552, 877.1
So hoff’ ich gnädige Nachsicht und
Entschuldigung für mein Schreiben und habe die Ehre, in dankbarer Verehrung zu
verharren
Eurer Excellenz
unterthänigster Diener
Const. Tischendorf
Leipzig, den 17. Juli 1850