Erwiderung von Václav Vladivoj Tomek auf die Rezension seines "Handbuches der österreichischen Geschichte" im Literarischen Centralblatt für Deutschland vom 12. Februar 1859
o. O., Februar 1859
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Regest

Der Historiker Václav Tomek reagiert auf die Kritik, die im Literarischen Centralblatt für Deutschland gegen sein "Handbuch der österreichischen Geschichte" vorgebracht wurde. Zunächst widerspricht er den ihm zur Last gelegten Vorwürfen, besonders jenem, er, Tomek, würde den tschechischen Standpunkt innerhalb der österreichischen Geschichte zu stark betonen. Er dankt dem Rezensenten jedoch auch für die Hinweise auf offenkundige Fehler. Dies betrifft auch einige grammatikalische Fehler, die ihm bei der Übersetzung unterlaufen seien. Dennoch lehnt Tomek den Rat des Rezensenten ab, für zukünftige Arbeiten einen Übersetzer zu engagieren.

Anmerkungen zum Dokument

Die Blätter sind halbbrüchig beschrieben. In der linken Spalte findet sich eine Abschrift der Rezension von Tomeks Werk aus dem Literarischen Centralblatt für Deutschland vom 12. Februar 1859. In der rechten Spalte steht die Erwiderung Tomeks.
Hier wird zunächst die Rezension und dann die Reaktion Tomeks widergegeben.

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000B-DC58-B

Schlagworte

Edierter Text

Literarisches Centrallblatt für Deutschland von Prof. Dr. Fr[iedrich] Zarncke. Verlegt von Eduard Avenarius in Leipzig. 1859. 12. Febr. Nr. 7.

Wir sind gewohnt in böhmischen Geschichtswerken einen exclusiv tschechischen Standpunct zu finden, aber immer gewährt es ein gewisses Interesse den Grad zu beobachten, in welchem ungescheut diese tendenziöse Geschichtsschreibung getrieben wird. Prof. Tomek hat uns nun mit einer österreichischen Geschichte1 beschenkt, die fast am Weitesten geht unter Allem, was uns in den letzten 20 Jahren hierin geboten wurde. Da er ein Handbuch schrieb, glaubte er sich aller Belege und Beweise enthalten zu können – was uns freilich leid thut, da wir, wenn seine Behauptungen richtig wären, in seinem Werke eine Menge neuer Entdeckungen begrüßen müssten. Von welcher Art aber diese sind, wird sich bald zeigen. Nachdem der Verfasser die ältesten Einrichtungen der Slawen dargestellt hat, fährt er fort (S. 90): "Den ältesten Einrichtungen der Slawen kamen in den Grundzügen auch die staatlichen Einrichtungen der Deutschen zur Zeit des ersten Auftretens derselben gleich, namentlich zu den Zeiten Caesars und Tacitus." Dazu soll wohl die Behauptung als Beweis dienen: Kuning gleich dem slawischen Kněz, so wie Pfennig = pněz. Dann erzählt der Verfasser: "Die Slawen liebten von jeher den Ackerbau und andere friedliche Beschäftigungen; den Deutschen war der Krieg die liebste Beschäftigung; jene waren gewöhnt, sich alle Lebensbedürfnisse durch die Arbeit ihrer Hände zu verschaffen; diese trachteten, wo es möglich war, nach der Herrschaft über andere Völker oder nach Beute bei ihren Nachbarn, um sich von der Arbeit dieser zu nähren." Ganz ähnliches finden wir auch schon S. 75, wo ebenfalls Arbeitscheu der Deutschen hervorgehoben wird. Demgemäß sind dann auch die Kriege Heinrichs I. und Ottos I., "der zu seinem Nachfolger aufgenommen wurde", S. 148 nicht viel besser wie räuberische Einfälle behandelt. Um so viel größere Einwirkung dagegen üben die Tschechen auf ihre Nachbarn aus. In Ungarn finden sich deren schon zu Geisas Zeit, S. 161: "Stephan I. trifft seine staatlichen Einrichtungen nach böhmischem Muster." S. 163: "Die unmittelbare Herrschaft über alle Župen der Magyaren befand sich nun bei dem Könige, und Stephan richtete dieselbe ganz nach dem Muster der damaligen slawischen Verfassung ein, wie diese in dem befreundeten Böhmen gestaltet war." Auf gleiche Weise bildet sich die Verfassung Polens aus der von Böhmen (S. 167).
Wie die deutsche Kaisergeschichte behandelt wird, kann man schon aus dem Vorhergehenden ermessen. Die Friedensbedingungen, die Heinrichs III. Stellung zu Bretislaw charakterisiren, sind "nicht hinreichend bekannt". S. 172 sind die Kriege Heinrichs V. in Böhmen nur ganz nebenbei erwähnt. S. 219 wird von Kaiser Friedrich I. gesagt, dass er in dem böhmischen Streite "die Parteien zu sich nach Regensburg lud, wo er die böhmischen Herren durch Bedrohung mit Hinrichtungen erschreckte" und S. 220 wird dann von den gefährlichen Neuerungen desselben Kaisers gesprochen. S. 222 finden wir die Behauptung: dass Přemysl Ottokar im Jahre 1202 (!) vom Papste "die Bestätigung der Königswürde erhielt, welche dadurch von der Anerkennung der deutschen Kaiser unabhängig wurde". Bei den deutschen Colonisten in Böhmen bemerkt der Verfasser S. 275: Beeinträchtigungen, welche dabei der böhmischen Bevölkerung widerfuhren und Hochmuth der fremden Ankömmlinge, welche sich durch die Ansichziehung der besten Nahrungszweige im Lande bald sehr bereicherten usw. Dabei ist es wahrhaft komisch, wenn die Colonien in Böhmen vorherrschend französisch sind (S. 251), denn Flandrer und ebenso S. 312 Luxemburger sind für den Verfasser "mehr französisch als deutsch". Mathias Corvinus ist ein Nachahmer Podiebrads, "dessen Regierungsweise in Ungarn der seinigen im Ganzen nachgebildet war". (S. 391) Papst Pius II. hatte sich "einige Kenntniss der Zustände Böhmens verschafft".
Neben solchen absichtlichen Entstellungen der Wahrheit finden sich indessen Irrthümer anderer Art. So wenn S. 173 ein Samuel Aba als König Stephans Schwestersohn bezeichnet oder S. 249 der Begriff der Souverainetät auf die alten böhmischen und polnischen Fürsten angewendet wird; S. 220 wird von steirischen Privilegien (!) gesprochen, die das Recht testamentarischer Verfügung dem Herzoge einräumen. S. 259 ist der Streit zwischen Kaiser Friedrich II. und Gregor IX. so irrig und so oberflächlich erwähnt, daß weder von der Excommunication des Kaisers noch von dessen wirklich ausgeführtem Kreuzzuge die Rede und nur gesagt ist, daß der Kaiser "gefährliche Anschläge gegen die Kirche im Schilde führte, welche durch vielfache Unterwerfung der letzern unter die weltliche Staatsgewalt im Königreiche Sizilien offenkundig wurden"; als ob es sich hauptsächlich um Sizilien gehandelt hätte. S. 358 f. sind die Theilungsverträge zwischen den Herzögen Albrecht III. und Leopold III. nur halb mitgetheilt. Eine ganz verkehrte Darstellung ist die der Erwerbung von Tirol, wo gesagt wird, "um ohne Hindernis Tirol in Besitz nehmen zu können", habe sich (1364) Rudolf IV. um die Freundschaft Karls IV. beworben und einen Erbvertrag geschlossen, während doch jenes schon 1363 geschah.
Doch wird man nicht mehr für nöthig erachten, aus einem Werke noch weitere Stellen zu hören, über welches wir schon viel zu viel gesagt hätten, wenn wir in demselben nicht eine ganze Richtung der Geschichtschreibung Österreichs characterisiren wollten. Es sei uns daher erlaubt, nur einiges Wenige noch über die deutsche Übersetzung des Werkes anzuführen. Wir rathen dem Herrn Prof. Tomek in dieser Beziehung, sich künftig lieber an solche Übersetzer zu wenden, die der deutschen Grammatik mächtig sind. Wir wollen nur die stärksten Verstöße anführen. S. 221 wird König Richard "auf das Ufer geworfen", dagegen S. 246: "an den Landtagen hatte er seinen Platz neben dem Herrenstande"; S. 335: "auf beide Augen erblindet"; S. 361: "Ungarn schien damals die breiteste Grundfeste zu sein." Zu diesen und vielen ähnlichen Sätzen paßt dann allerdings auch eine Aufschrift wie: "Begebenheiten Kaiser Maximilians I."

Tomek. Handbuch der österreichischen Geschichte. Erwiederung zu Nr. 7.

Es sei mir erlaubt auf eine kurze Rede kurze Antwort zu geben. Es wird mir ein exclusiv tschechischer Standpunkt in der österreichischen Geschichtschreibung zur Last gelegt. Ich würde einen solchen für ebenso unwissenschaftlich halten wie den exclusiv unterennsischen, welcher bekanntlich in vielen Handbüchern der österreichischen Geschichte vorherrscht. Die Nachweise jedoch, welche darüber von dem Recensenten meines Werkes gegeben werden, scheinen mir nicht stichhaltig zu sein. Die Vergleichung zwischen Slawen und Deutschen in der frühesten Zeit ihres geschichtlichen Daseins (S. 90), welche der Recensent möglichst in den Vordergrund schiebt, verliert das Tschechische, was er darin sucht, wenn erwogen wird, daß nicht gleichzeitige Zustände der beiden Volksstämme, sondern, wie es eben die Anlage des Buches erforderte, die der Slawen des 7., 8., 9. Jahrhundertes mit denen der Deutschen zur Zeit des Caesar und Tacitus verglichen werden. Die Kriegslust und selbst Beutesucht der Deutschen dieser Urzeit wird doch von deutschen Geschichtschreibern von jeher nicht anders als von mir besprochen; sie ist ja keinem Volke, sondern eben nur einer gewißen Culturstufe eigen. Daß ich die Verwandtschaft zwischen den deutschen und den slavischen Einrichtungen der zwei angegebenen Zeiträume nicht, wie der Recensent vermuthet, auf die übrigens richtige und nicht von mir erfundene Etymologie von Kněz und peněk gründe, geht aus der klaren Auseinandersetzung der Ähnlichkeiten (und auch der Unterschiede) zwischen den beiderseitigen Einrichtungen ebendaselbst deutlich hervor. Arbeitscheu der Deutschen wird von mir S. 75 (und auch sonst nirgends) nicht nur nicht hervorgehoben, sondern auch mit keiner Sylbe erwähnt. Ebenso sage ich (S. 148, 149) von Räubereien der Deutschen in den Kriegen Heinrichs I. und Ottos I. mit Böhmen keine Sylbe, es möchte denn der Recensent die Worte, daß sie in Böhmen einbrachen, dahin deuten. Statt, daß Otto I. zum Nachfolger Heinrichs I. aufgenommen wurde, hätte ich vielleicht sagen sollen, daß er gewählt wurde. Aber wer nur etwas von den damaligen deutschen Königswahlen weiß (wer es nicht weiß, der lese darüber das neueste treffliche Werkchen von Philipps2), dem ist bekannt, daß dies wenigstens nicht polnische Königswahlen waren und das habe ich für den minder unterrichteten Leser durch das von mir gewählte Wort kurz andeuten wollen. Das Eine begreife ich nicht, daß etwas Tschechisches dahinter stecken sollte. Böhmen hielten sich schon unter Geysa in Ungarn auf, so wahr der Heilige Adalbert ein Böhme gewesen ist und Geysas Sohn getauft hat (S. 161). Daß Stephans Einrichtungen in Ungarn den slawischen und mit Rücksicht auf die damalige Zeit den böhmischen nachgebildet waren (S. 163), begreift derjenige ganz wohl, welcher ungarische, slawische und deutsche Einrichtungen gewißenhaft miteinander verglichen hat. Es werden dadurch die Ähnlichkeiten ungarischer mit deutschen Einrichtungen nicht geläugnet, aber der Fehler älterer Geschichtschreiber, welche die erstern aus den letztern ableiteten, weil sie die slawischen nicht kannten, wird vermieden. Denn Ähnlichkeiten gab es auch zwischen den deutschen und slawischen Einrichtungen jener Zeit, aber die der slawischen und insbesondere böhmischen mit denen Stephans sind von einer entschieden wichtigern Bedeutung. Die Verfassung Polens bildet sich bei mir nicht, wie der Recensent sagt, aus der Böhmens, sondern sie gleicht ihr nur seit Boleslaw Chrabri vollkommen (S. 167).
Daß ich die deutsche Kaisergeschichte nicht ausführlich oder wie sich der Recensent ausspricht, daß ich sie oberflächlich behandle, läßt sich aus dem einfachen Grunde erklären, daß ich keine deutsche Kaisergeschichte geschrieben habe, sondern eben nur österreichische Geschichte. Wenn dem Recensenten die Friedensbedingungen zwischen Heinrich III. und Bretislaw "hinreichend bekannt" sind, so erkläre er mir, wie es kam, daß Bretislaw auch nach jenem Frieden einen so großen Theil Schlesiens noch immer behalten konnte und ich werde ihm dafür dankbar sein. Über die Geschichte von der Bedrohung der böhmischen Herren mit Hinrichtungen von Kaiser Friedrich I. (S.219) lese der Recensent nur Gerlachs Chronik bei Dobner I., p. 973, daß aber die besprochenen Neuerungen desselben Kaisers für Böhmen gefährlich waren, geht aus der Sache selbst hervor. Trotz dem Ausrufungszeichen, welches der Recensent so frei ist beizusetzen, steht S. 222 bei der Bestätigung der böhmischen Königswürde von Innocenz III. nicht die Jahreszahl 1202 (!), sondern 1204. Die Belege für das Factum selbst sind bei Palacky (Geschichte der Böhmen II, 67)4 angeführt.
Was ich S. 275 von Beeinträchtigungen der böhmischen Bevölkerung bei der deutschen Colonisation unter Ottokar II. sage, darf ich zur Steuer der historischen Wahrheit sagen; andere haben es vor mir gesagt und ich habe die Sache in meiner Geschichte der Stadt Prag ohnehin etwas weitläufiger auseinandergesetzt. Hinsichtlich des Vorherrschens französischer Colonien in Böhmen kann nur das komisch sein, daß der Recensent die Behauptung eines solchen S. 251 findet, während doch nichts dergleichen weder dort noch anderswo in meinem Buche vorkommt. Das Vorkommen französischer Colonien in Prag und Brünn läßt sich allerdings urkundlich nachweisen. Aber nur Franzosen, nicht Flandrer habe ich S. 251 für Franzosen ausgegeben und S. 312 ist nicht von Luxemburgern, sondern von Heinrich VII. von Luxemburg und seinen Vorfahren die Rede. Hier bin ich dem Meister Böhmer gefolgt, in dessen Einleitung zu den Regesten Heinrichs VII. das darauf Bezügliche zu finden ist. Über Mathias Corvinus und Pius II. möchte ich doch erst wissen, was der Recensent gegen meine Behauptungen einzuwenden hat.
Dasselbe muß ich hinsichtlich der Souveränität der böhmischen und polnischen Fürsten (S. 249) bemerken, ungeachtet mir die Ansichten Dümmlers und seiner Anhänger über die ältesten Zustände Böhmens, von denen der Recensent etwa ausgehen mag, recht wohl bekannt sind. Hinsichtlich der steirischen Privilegien S. 220 wird von mir eine "Vermuthung" aufgestellt, um eine feststehende Thatsache zu erklären, welche bisher noch von niemanden anders als durch Vermuthungen erklärt werden konnte. Von den unerquicklichen Händeln zwischen Albrecht III. und Leopold III. ist so viel mitgetheilt, als nach dem Umfang des Buches aufgenommen werden konnte.
Für die Berichtigung zweier Versehen bin ich dem Recensenten dankbar. Samuel Aba war nicht Schwestersohn, sondern Schwager des heiligen Stephan und S. 354, wo von Tirol gesprochen wird, sollte stehen "sich im Besitze befestigen" nicht "in Besitz nehmen zu können", während alles übrige über die Erwerbung Tirols durch Rudolf IV. von mir richtig angegeben ist. Dafür bin ich hinreichend entschädigt durch das Geständniss des Recensenten, daß in meinem Werke vieles Neue vorkommt. Belege und Beweise konnte ich freilich in einem bloßen Handbuche nicht geben. Aber es ist vieles darin enthaltene nicht gar so neu, daß es nicht auch schon in andern deutschen und nicht deutschen guten Büchern vorkäme und was wirklich Resultat meiner ganz unmittelbaren Forschung ist, habe ich theils in meiner Geschichte der Stadt Prag5, theils in zerstreuten Aufsätzen (z. B. in Casopis českého Museum) niedergelegt, theils hoffe ich es noch thun zu können.
Der Recensent hat sich getraut, mir genau ins Gewissen zu sehen, um angeben zu können, was von dem mir Ausgestellten "absichtliche Entstellung der Wahrheit" und was "Irrthümer anderer Art" seien. Ich kann die Unterscheidung zwischen dem, was er mir absichtlich oder aus Zerstreutheit angedichtet hat, um Belege für meine exclusiv tschechische Richtung aufzubringen, mit frohem Muthe dem Leser überlassen, welcher die Mühe nicht scheuen wird, die bezüglichen Stellen nachzuschlagen.
Anlangend die Übersetzung aus dem Böhmischen, muß ich sagen, daß ich, wenn die vom Recensenten angeführten grammaticalischen Verstöße wirklich die stärksten sind, die in dem Buche vorkommen, seinem Rathe, mich künftig an einen andern Übersetzer zu wenden, nicht folgen, sondern doch wieder selbst übersetzen werde. Denn hier zulande könnte ich leicht auf einen schlechtern Übersetzer treffen, als ich selbst bin und draußen gibt es bekanntlich nicht so bald Übersetzer, welche der böhmischen Sprache kundig sind. Als Slawe muß ich schon einige Nachsicht von Seite des deutschen Publicums in Anspruch nehmen, welches gegen mich in der Hinsicht bisher noch immer freundlich gewesen ist.

W. W. Tomek