János Simor an Leo Thun
Rom, 1. Dezember 1854
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Regest

János Simor sendet einen weiteren Bericht von seinem Aufenthalt in Rom. Zunächst berichtet er, dass in der Frage der Dogmatisierung der Immaculata eine Einigung erzielt wurde. Simor betont, dass nicht nur die Debatte um die Immaculata, sondern auch die grundsätzliche Stimmung in Rom verdeutliche, dass innerhalb der Kirche derzeit große Einigkeit herrsche und die Treue zum Papst besonders sichtbar werde. Simor glaubt daher, dass die Zeit der nationalen Bestrebungen, des Febronianismus und des Gallikanismus, vorbei sei. Er befürchtet deshalb auch, dass die Zeit für den Abschluss eines Konkordats derzeit ungünstig sei. Kardinal Antonelli wolle aber offenbar an den Plänen für ein Konkordat festhalten und auch die Bischöfe aus Lombardo-Venetien haben sich für das Konkordat stark gemacht. Die zweite wichtige Angelegenheit, in der Simor den Minister informiert, ist die Neuordnung der Kirche Santa Maria dell'Anima. Simor ist diesbezüglich der Auffassung, dass die österreichische Regierung diese Kirche in Zukunft besser unterstützen müsse, wenn sie den Einfluss auf dieselbe behalten wolle. Denn die anderen deutschen Regierungen, insbesondere die preußische, möchten ihren Einfluss auf die Kirche erhöhen. Schließlich beschreibt Simor das Auftreten des Primas von Ungarn in Rom: Dieser errege großes Aufsehen wegen seiner Husaren und seines kolportierten Reichtums. Der Heilige Vater habe ihn bereits mehrfach privat empfangen. Der Kardinal wolle seinen Aufenthalt besonders dazu nützen, seinen Einfluss in Ungarn und die Rechte der ungarischen Kirche zu schützen und auszubauen.

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Edierter Text

Euere Excellenz!

Ich habe darum so lange geschwiegen, weil seit meinem letzten Briefe hier gar nichts vorkam, was besonders beachtenswerth, von mir daher zu berichten gewesen wäre. Den Angelpunkt des hierortigen kirchlichen Lebens bildet noch immer die Immaculata, und bis diese Frage nicht vollständig erledigt werden wird, kann von ernstlicher Behandlung irgend einer anderen Angelegenheit keine Rede sein. Papst und Kardinäle, vorzüglich die einflußreichen sind mit der erwähnten Frage so sehr beschäftigt und überdies von den Besuchen der aus allen Welttheilen hieher gelangten Bischöfe so sehr in Anspruch genommen, daß man auf ein längeres Gespräch mit ihnen vorläufig verzichten muß. Das große Gewicht der Entscheidung über die Immaculatafrage wird hierorts tief gefühlt, darum werden auch gegenwärtig noch so viele Berathungen darüber gehalten in den hiezu berufenen Congregationen. Die Erz- und Bischöfe haben ihre Conferenzen unter dem Präsidium des Kardinals Brunelli, welchem die Kardinäle Caterini und Santucci beigegeben worden waren, beendigt. Zu den Berathungen hat man auch mehrere Theologen beigezogen mit der Bestimmung, vorkommende Zweifel zu lösen und den Bischöfen jeden möglichen Aufschluß zu ertheilen. Der letzten Sitzung wohnten beiläufig 110 Erz- und Bischöfe bei. Wie ich in meinem gehorsamsten Berichte bereits zu erwähnen die Ehre hatte, so betraf der Gegenstand der in Rede stehenden Berathungen lediglich die Form, in welcher die dogmatische Entscheidung erfolgen soll. Gleich in der ersten Sitzung erklärte der vorsitzende Kardinal, daß die Substanz der Frage einer Erörterung nicht mehr unterzogen werden könne, in dieser Beziehung sei die Frage als eine durch die an den Papst eingesendeten und den versammelten Bischöfen mitgetheilten Äußerungen des gesammten Episcopates der katholischen Kirche in’s Reine gebrachte anzusehen; der Kardinal erklärte ferner, daß über die Opportunität der Entscheidung lediglich der apostolische Stuhl zu decidiren habe; den Bischöfen blieb somit nur das oben bezeichnete Terrain übrig, an welchem sie sich bewegen konnten. Die Grundlage der Berathung bildete der einem jeden Bischofe mitgetheilte Entwurf der päpstlichen Bulle. Bei der Berathung wurde die größte Redefreiheit gestattet, und die Theologen hatten vorzüglich von Seite der in gemischten Ländern lebenden Bischöfe viele und schwierige Einwendungen zu beantworten gehabt. In der letzten Sitzung wurde das von einem belgischen Bischofe an den vorsitzenden Kardinal gestellte Ansuchen, die unverbrüchliche Treue, Obedienz und Verehrung der anwesenden Bischöfe dem Heiligen Vater zu Füßen zu legen, von allen mit dem größten Enthusiasmus aufgenommen. Kein Auge soll bei dieser Scene trocken geblieben sein. Dieses ist die factische und wahrheitsgetreue Darstellung der letzten Sitzung, worüber selbst in den hierortigen höheren Kreisen mehrere Versionen herumgetragen werden. Ich berichte darüber deshalb, damit Euere Excellenz in der Lage sind, die vielleicht von anderswoher einlaufenden Nachrichten richtig beurtheilen zu können. Ich verkenne übrigens die hohe Wichtigkeit dessen, was hier vorgeht, nicht und habe in der Zusammenkunft der Bischöfe den Keim wichtiger Ereignisse auf dem Gebiete des kirchlichen Lebens: die Thatsache, daß nur 45 Bischöfe eingeladen und über 110 eingetroffen sind, ist ein unwiderlegbarer Beweis der Gravitation der Glieder der Kirche nach dem Centrum derselben, und daß das Bedürfnis der Einheit und Einigkeit von allen tief empfunden werde. Die centrifugalen Kräfte haben in der Kirche zu wirken aufgehört, und der Gallicanismus und Febronianismus, und wie sie alle die falschen Systeme heißen, sehen sich des Bodens unter den Bischöfen beraubt. Aber auch in der Beziehung ist die hierortige Zusammenkunft der Bischöfe wichtig, daß der Papst und seine Organe Gelegenheit haben über den Zustand der Particularkirchen und ihre Bedürfnisse unmittelbar und auf das genaueste unterrichtet zu werden. Daß diese Gelegenheit gehörig benützt wird, ist an den langen Audienzen ersichtlich, welche den Bischöfen gewährt werden. Die leutselige, einnehmende Persönlichkeit des Papstes bezaubert alle Herren, und die zuvorkommende Freundlichkeit der Kardinäle flößt Vertrauen ein. Die gegenseitigen Mittheilungen der Bischöfe werden auch nicht erfolglos bleiben. Der Heilige Vater ist mit dem Ergebnisse der bischöflichen Conferenzen im höchsten Grade zufrieden und soll davon nur mit Thränen in den Augen reden. Den Bischöfen wurde übrigens die Verschwiegenheit über die Conferenzen zur Pflicht gemacht: allein auch sie sind Menschenkinder, und so habe ich Gelegenheit gehabt, mich darüber zu informiren. Die Vorbereitungen zu der großartigen Feierlichkeit am Tage der Publication der Bulle haben bereits in der St. Peterskirche begonnen, unter anderen werden an 3 Tagen auch die heiligsten und kostbarsten Reliquien, welche Rom besitzt, der öffentlichen Verehrung und Besichtigung ausgesetzt. Die Zahl der hieher gereisten Erz- und Bischöfe kann darum nicht ganz genau angegeben werden, weil noch immer neue ankommen. So kam vor einigen Tagen aus Frankreich der fünfzehnte Bischof an, nemlich der Erzbischof von Paris, um, wie man sagt, von seinem Gallicanismus, dessen Verfechter er bisher gewesen, gründlich geheilt zu werden.
Wegen den im Eingange berührten Verhältnissen hätte meines Erachtens keine ungünstigere Zeit zu Verhandlungen über das Concordat gewählt werden können. Das Ganze, was in dieser Hinsicht bis jetzt geschehen ist, besteht meines Wissens darin, daß der Herr Erzbischof mit dem Heiligen Vater eine Unterredung, mit dem Kardinal Antonelli zwei Conferenzen und mit dem Kardinal Santucci eine Unterredung gehabt hat, an welchem er durch den Staatssecretär angewiesen wurde. Das Ergebnis hievon soll in der gegenseitigen Annäherung bestehen. Unsere hier weilenden italienischen Bischöfe sind für das Concordat thätig, vorzüglich die Bischöfe von Verona und Brescia, der letztere hat dieser Tage an den Kardinal Antonelli die Frage gestellt, ob denn doch das österreichische Concordat zu Stande kommen werde, die lombardisch-venetianischen Bischöfe wünschten hierüber eine bestimmte Antwort zu erhalten, damit sie sich darnach richten können; der Kardinal antwortete „Ich hoffe, daß es zu Stande kommen werde, da der Erzbischof von Wien bei der letzten Unterredung sich willfähriger gezeigt habe.“ Wie dies zu verstehen sei, weiß ich nicht, glaube jedoch, daß der Herr Erzbischof seine Vollmachten nicht überschritten hat, noch ohne Ermächtigung überschreiten werde. Auch er ist der Ansicht, daß in dieser Hinsicht vor der Erledigung der Immaculatafrage nichts ernstliches geschehen werde.
Die andere Angelegenheit, welche der Aufmerksamkeit der hohen Regierung würdig und zu empfehlen ist, betrifft die Regelung der deutschen Stiftung an der Kirche dell‘Anima. Aus den Akten geht hervor, daß zu den vorhandenen Stiftungen Österreich unter allen Ländern Deutschlands das wenigste beigesteuert habe. Damit der Einfluß Österreichs wegen diesem Umstande in Folge der Regelung durch die Sagra Visita nicht geschmälert werde, so wäre von unserer Seite ein Opfer zu bringen, welches in der theilweisen Besoldung des Rectors der Kirche bestehen würde. Dieser erhält jetzt aus der Stiftung selbst an Gehalt 25 Scudi monatlich. Mit diesem Gehalte kann er in Rom bei der auch hier herrschenden Theuerung durchaus nicht standesgemäß leben. Das Opfer wäre unter zwei Bedingnissen zu resolviren
a.) daß der Rector immer ein Österreicher sei und vom Kaiser ernannt werde. Hiedurch würde Österreich den gehörigen Einfluß auch auf die innere Administration des Hauses behalten, weil der Rector durch die Sagra Visita in die statutengemäße Stellung und Wirksamkeit zuversichtlich eingesetzt werden wird, welche ihm dermalen entzogen ist.
b.) daß auch die Hälfte der Kapläne aus Österreichern gewählt werde. Daß diese Angelegenheit die Aufmerksamkeit der Regierung verdient, ist nicht nur aus der Großartigkeit der Stiftung ersichtlich, sondern auch aus dem Gewichte, welches darauf von den anderen deutschen Regierungen namentlich der preußischen gelegt wird. Als in dem über die von uns am St. Elisabethtage abgehaltene Feierlichkeit erschienenen Zeitungsberichte die Kirche dell’Anima eine Austriaca genannt wurde, versäumte die hiesige preußische Gesandtschaft nicht, gegen diese Benennung Einsprache zu thun und der Kirche das Prädikat „tedesca“ zu vindiciren. Die Erklärung über die Übernahme der theilweisen Besoldung des Rectors müßte aber so bald wie möglich erfolgen, damit die Sagra Visita schon bei ihrer Verhandlung hierauf reflectiren könne. Erlauben mir Euere Excellenz, daß ich diesen Eintrag in Anregung zu bringen mir angemaßt habe, ich glaube, man muß unter den dermaligen Verhältnissen jede Gelegenheit ergreifen, um unseren Einfluß hierorts zu erweitern, und ich sehe in der deutschen Stiftung und Kirche eine Veranlassung und ein Mittel hiezu. Ich höre, die hierweilenden deutschen Bischöfe wollen eines der Häuser der Kirche dell’Anima zu ihrem Absteigequartiere auf mehrere Jahre in Pacht nehmen.
Gestern wurde ein Publicumsconsistorium abgehalten wegen Übergabe des Kardinalhutes an den Patriarch von Lissabon und den Erzbischof von Toledo. Der spanische Gesandte hat aus diesem Anlasse eine große Feierlichkeit zu Ehren der spanischen Kardinäle veranstaltet und damit ganz Rom allarmirt. Man hat einen unliebsamen Vergleich zwischen Österreich und dem sonst so elenden Spanien angestellt. In dem gleich darauf abgehaltenen Consistorium secretum wurden 11 Bischöfe präconisirt. Der Erzbischof von Kalocsa beklagt sich in seinem Briefe über die ihm bekannt gewordenen Bestrebungen des Primas, auch das Erzbistum Kalocsa seiner Primatialgerichtbarkeit zu unterwerfen. Ich schrieb ihm, er möge nun die auf seinen Befehl verfasste Abhandlung über das bisherige Verhältnis der zweien Erzbisthümer zu einander ohne Verzug drucken lassen und davon einige Exemplare nach Rom einsenden. Ich bin überzeugt, daß auch die diesfälligen Bestrebungen des Primas fruchtlos bleiben werden. Diesem Herrn gefällt übrigens der hierortige Aufenthalt sehr wohl. Die Römer erzählen sich über ihn Wunderdinge, nemlich daß er täglich ein Einkommen von 12.000 Gulden und ein ganzes Regiment solcher Huszaren habe, wie er mitgebracht hat. Er läßt sich aus Ungarn Berichte kommen über die von ihm angeordneten Missionen und liest sie vor dem Heiligen Vater, der ihn übrigens bereits gut zu kennen scheint, heute erzählte mir ein sehr gut unterrichteter Mann, der Papst empfange ihn nur aus und wegen Unterhaltung. Der Primas hat bereits ausgemittelt, wohin die einstigen großen ungarischen Stiftungen gekommen sind, aus dem hierüber erhaltenen und von mir gelesenen Berichte ist zu ersehen, jene Stiftungen seien dem Collegio Germanico-Hungarico einverleibt, weshalb auch dieses verpflichtet ist, 12 ungarische Alumnen zu erhalten und auch die aus Ungarn nach Rom kommenden Pilger zu versorgen. Dermalen sind nur 7 Alumnen da, und ich habe schon im September meinen Bischof ersucht, doch auch einen hoffnungsvollen Alumnen nach Rom zu schicken, und als er sich mit dem Mangel an Mitteln, d. h. Reisekosten des Alumnen, entschuldigte, ihm erklärt, ich sei bereit diese Kosten aus meinem Eigenen zu bestreiten. Ich hoffe, daß er auf das künftige Jahr das mir hierauf gegebene Wort halten werde. Der General der Jesuiten möchte das Ergebnis seiner Eingabe wissen, die Ungewissheit hierüber hindert ihn über so manche tüchtigen Kräfte der Gesellschaft zu verfügen in einer Zeit, wo diese von allen Seiten so sehr in Anspruch genommen wird. Ich kann nicht verschweigen, daß ich ein Exemplar der erwähnten Eingabe an dem Tische einiger Bischöfe gesehen habe. Über die ungarische Fibel sind mir zwei gedruckte Gutachten zugeschickt worden, beide sind sehr günstig und ehrenvoll, der Werth des Büchleins wird anerkannt, und die Regierung wegen dessen Verfassung und Einführung gepriesen. Gebe Gott, daß auch die Lesebücher so gut ausfallen mögen. Das erste soll dem hohen Ministerium zur endgültigen Approbation vorgelegt worden sein. Da nach dem lateinischen Sprichworte „plures oculi plura vident“ so möchte ich es vor der Drucklegung durchblättern. Es wird mir auch geschrieben, daß die Verordnung wegen Einführung des in Rede stehenden Büchleins in dem Preßburger Verwaltungsgebiete mit nicht geringem Nachtheile des Unterrichts noch immer auf sich warten läßt. Endlich habe ich Euerer Excellenz gehorsamst zu melden, daß ich vom 22.–25. November einen Ausflug nach Neapel unternommen habe, um die dortigen Merkwürdigkeiten hauptsächlich aber Herculanum, Pompei und das Museo Borbonico zu sehen.
Genehmigen Euere Excellenz die Versicherung meiner aufrichtigsten und tiefsten Verehrung, mit welcher ich die Ehre habe zu verharren

Rom, den 1. Dezember 1854

Euerer Excellenz gehorsamster und unterthänigster Diener
Simor