Joseph Othmar Rauscher an Leo Thun
Rom, 1. Dezember 1854
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Regest

Der Erzbischof von Wien, Joseph Othmar Rauscher, berichtet von den Konkordatsverhandlungen in Rom. Dabei kritisiert er zunächst das Verhalten von Kardinal Ján Scitovský, der einen Abschluss zu verhindern suche. Rauscher glaubt jedoch, dass der Widerstand sich allmählich auf allen Seiten lockere, so dass ein Erfolg wieder wahrscheinlicher werde. Zuletzt konnte Rauscher etwa bei den Verhandlungen über die Ehegesetze einen kleinen Durchbruch erzielen. Rauscher erklärt die Verzögerungen bei den Verhandlungen auch mit den zahlreichen Versammlungen zur Dogmatisierung der Immaculata, an denen die Kardinäle teilnehmen müssen, und mit der anstehenden Weihe von Sankt Paul vor den Mauern. Rauscher äußert schließlich den Wunsch, dass Österreich versuchen möge, seinen Einfluss in Rom zu vergrößern. Hierzu werde Rauscher bei seiner Rückkehr mündlich näheres berichten und seine Anliegen auch dem Kaiser vortragen. Zuletzt äußert sich Rauscher positiv über den neuen Rektor des Kollegs von Santa Maria dell'Anima, Alois Flir.

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Rom, am 1. Dezember 1854

Hochgeborner Graf!

Euer Excellenz Schreiben vom 4. November habe ich richtig erhalten und zweifle nicht, daß auch mein Brief richtig angekommen ist. Hinsichtlich der Maßregeln, welche die Reise des Domherrn Danielik verhindert hat, ist mir bis jetzt nichts zu Ohren gekommen. Übrigens fährt der Kardinal Scitovsky fort, einem Concordate, wie es in Österreich der Vortheil des Staates und der Kirche verlangt, nach Möglichkeit entgegenzuwirken. Bei Alledem fängt man allmählig an, eine nachgiebigere Sprache zu führen, und es scheint, daß über die Eheverbote auf dieselben Bedingungen, welche ich schon mehrmals angeboten, eine Verständigung nicht ferne ist. Aber Zusicherungen, welche man als bindend ansehen könnte, habe ich noch immer nicht erlangt und ich muß mich noch immer darauf gefaßt machen, daß auch in diesem Puncte die alten Schwierigkeiten wieder auftauchen.
Die äußerste Langsamkeit, womit die Sache bis jetzt einherschreitet, findet jedoch auch in äußeren Verhältnissen ihre Erklärung. Der heilige Vater ist mit Audienzen und die einflußreichen Kardinäle sind mit Besuchen mehr als jemals überhäuft: denn noch immer kommen Bischöfe an; während der letzten acht Tage sind aus Frankreich die Erzbischöfe von Paris, Lyon, Aix und Avignon sammt mehreren Bischöfen angelangt. Seit dem 31. October Nachmittag haben die capelle Pontificie und andere kirchliche Functionen, bei welchen die Kardinäle nicht fehlen können, fast nicht aufgehört und vermuthlich wird erst nach der Weihe der Paulskirche, welche vorläufig auf den 10. Dezember angesetzt ist, ein Stillstand eintreten. Auch ich kann mich nur hin und wieder davon dispensiren und die hiesigen schwerfälligen Wagen brauchen zu dem Wege vom Quirinale, wo ich wohne, bis zum Vatican fast eine halbe Stunde. Hiezu kommt noch die Frage über die unbefleckte Empfängnis. Es war zwar mein Wunsch und meine Absicht, mich passiv zu verhalten; aber die Verhältnisse haben sich so gestellt, daß mein Gewissen es mir nicht gestattet, und vierzehn Tage lang war meine Kraft und meine Zeit von dieser Angelegenheit fast gänzlich in Anspruch genommen. Seit gestern berathet der Papst die Sache mit dem Cardinalcollegium, welches (ein sehr seltener Fall) beinahe vollzählig versammelt ist.
Wenn Österreich zu Rom den ihm gebührenden Einfluß gewinnen soll, so müssen seine Interessen in einer ganz anderen Weise vertreten werden, als bisher geschah. Da man über solche Dinge leichter spricht als schreibt, so erspare ich alles Einzelne bis zu meiner Rückkehr: um so mehr da Seine Majestät mir ohnehin befohlen haben, auf dem Grunde der Wahrnehmungen, welche ich hier machen würde, über die Mittel zu Hebung des österreichischen Einflusses seiner Zeit mein Gutachten zu geben. Nur Eines erlaube ich mir zu bemerken: der provisorische Rector der Kirche dell’Anima ist ganz an seinem Platze und wenn Euere Excellenz ihm die Zusicherung erwirken würden, daß ihm bis zu Regulierung der die deutsche Kirche betreffenden Angelegenheiten sein Professorsgehalt vorbehalten bleiben werde, so würde er an seinem Platze ausharren und gewiß sehr nützliche Dienste leisten.
Übrigens hoffe ich, daß Euere Excellenz Sich rechtbefinden und verharre mit der vollkommensten Verehrung,

Euer Excellenz ergebenster Diener
J. O. v. Rauscher