Der Erzbischof von Wien, Joseph Othmar Rauscher, informiert Leo Thun darüber, dass der Nuntius Antonio de Luca erneut bei ihm vorgesprochen habe. Dabei habe der Nuntius gefordert, dass Geistliche davon befreit würden, in Gerichtsverfahren als Zeugen auftreten zu müssen. Auslöser hierfür sei eine Klage des Bischofs von Siebenbürgen gewesen. Rauscher möchte um die Angelegenheit kein großes Aufhebens machen, da er öffentliche Kritik fürchtet. Allerdings möchte er von Thun eine Auskunft über die genaue Rechtslage und die historische Entwicklung derselben, um mit dem Nuntius darüber verhandeln zu können.
Hochgeborner Graf!
Gestern Abends war der Herr Nuntius
bei mir; er ist wiederholt angewiesen auf die Befreiung der Geistlichen von der
Zeugenschaft wenigstens in Criminalsachen zu dringen. Ich wünsche zu vermeiden,
daß die Sache zu der Ministerconferenz gelangt; es würde ganz nutzlos seyn und
blos ein neuer Stoff zu Gerede und Zeitungsartikeln seyn. Die Sache kommt wieder
aus Ungarn. Der Bischof von Siebenbürgen richtete bald nach der Wiener
Versammlung an den Papst eine
Beschwerdeschrift, welche, wie Kardinal
Antonelli versichert, tiefen Eindruck gemacht hat. Er machte
namentlich geltend, daß in Ungarn und Siebenbürgen die Sache sogar die Gewohnheit
wider sich habe, indem die Geistlichen erst seit 1853 genöthigt würden, vor dem
weltlichen Gerichte Zeugnisse abzulegen. Ist dieß wahr? Mußten die Geistlichen
nicht auch vor 1848 wenigstens in gewissen Fällen als Zeugen auftreten? Ist die
neue Ordnung der Dinge nicht schon im Jahr 1849 oder 1850 eingeführt worden? Ich
bitte mir darüber zuverlässige Auskunft zu verschaffen.
Übrigens verharre
ich mit der aufrichtigsten Hochachtung,
Euer Excellenz ergebenster Diener
J. O. Kard. Rauscher
<Ich bitte Sie zwischen 3 und 5 Uhr zu mir zu kommen und mir mitzubringen die Zuschriften an einige ungarische Bischöfe, die Sie mir in dieser Angelegenheit verfaßt haben, und mir mündlich mitzutheilen, was Ihnen etwa zur Beantwortung der gestellten Fragen weiter eben bekannt ist. Thun>1