Regest

Fürstbischof Joseph Rauscher dankt Leo Thun für einen Brief und äußert sich zu den Reaktionen auf die Veröffentlichung des kaiserlichen Erlasses zur Neugestaltung des Verhältnisses von Kirche und Staat. Zunächst glaubt Rauscher, dass der Widerstand geringer sei, als es die Presse glauben machen will: Der Widerstand komme von Juden, Rongeanern und einigen alten Beamten. Rauscher glaubt jedoch, dass die Empörung sich in ein paar Monaten gelegt haben wird. Der Bischof ist zudem der Ansicht, dass die Wiederbelebung der Kirche in Böhmen am schwierigsten werden wird. Rauscher lässt Thun auch wissen, dass sein Hirtenbrief, in dem er die neue Gesetzeslage erörtert, fertig gestellt ist und demnächst gedruckt wird. In Bezug auf die Ehefrage rät Rauscher von einer öffentlichen Besprechung ab, da diese Debatte stark von Emotionen beeinflusst sei. Eine Lösung der Ehefrage ist aus seiner Sicht jedoch von großer Wichtigkeit und liegt auch im Interesse des Staates.

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Edierter Text

Gratz, am 6. Mai 1850

Hochgeborner Graf!

Euer Excellenz verehrtes Schreiben habe ich sammt der gütig mitgetheilten Erledigung am 3. Mai richtig erhalten und schon am 2. hatte ich über die zu Wien herrschende Aufregung durch zwei Briefe bestimmte Nachrichten empfangen. Auf die Mißbilligung der meisten Tagesblätter mußte man gefaßt seyn; sie erhalten ihre Artikel größtentheils von Juden und Rongeanern; auch übt die Presse, deren Ansehen überall im Sinken begriffen ist, nirgends weniger den Einfluß, welchen sie sich zuschreibt, als in Österreich. Auch der Mißbilligung von Seite der alten Beamten sowie der Radicalen war ich gewiß; ich glaubte aber nicht, daß sie so laut schreien würden. Ohne Zweifel haben die geheimen Leiter der Revolutionspartei sich dieser Sache bemächtigt; es ist ihnen nur darum zu thun, Lärm zu machen. Wahrscheinlich ermuthigen manche Beamte den Tumult statt ihn zu beschwichtigen. Der Verfasser der Briefe aus Prag ist offenbar kein Katholik mehr; er möge dies offen bekennen und sich allenfalls zu Kossuth’s Herde gesellen; dann hat er keinen Grund mehr sich zu beklagen. Übrigens ist Böhmen allerdings das Land, wo die Wiedergestaltung der katholischen Kirche am meisten Hindernisse finden wird; aber neben den bösen Elementen gibt es auch gute.
Ich beschwöre Euer Excellenz nur einige Monate lang zu warten; das richtige Verhältnis der Parteien wird sich, wenn einmal die erste Überraschung vorüber ist, in nicht langer Zeit herausstellen. Übrigens scheint die Krise, welcher Europa nicht entgehen kann, ohnehin nicht mehr fern zu seyn. Daß die Radicalen dann zu Wien alles aufbieten werden, um einen Sturm zu erregen, ist gewiß. Der Vorwand ist gleichgiltig. Wir leben in einer feigen Zeit; die Bösen haben etwas mehr Muth als die Guten, sind aber auch keine großen Helden, sobald man ihnen mit Entschlossenheit entgegentritt, weichen sie zurück.
Mein Hirtenbrief ist fertig und soeben treffe ich die Anstalten zum Drucke.1 Da meine Geistlichkeit mit den Anordnungen vollkommen zufrieden ist, so würde es auf sie einen schlimmen Eindruck machen, wenn ich von der Voraussetzung ausginge, als könnte es bei Geistlichen einer Rechtfertigung der Veränderungen bedürfen; doch über die Mißverständnisse von Seite der Laien ist ziemlich viel gesagt. Ich habe dem Herrn Kardinale wegen einer Danksagung geschrieben, welche im Namen sämmtlicher versammelt gewesenen Bischöfe nach meinem Wunsche dem Kaiser zu überreichen wäre. Eine Antwort ist noch nicht erfolgt. Auch eine Erklärung von Seite des Comité dürfte nützlich seyn. Endlich wünsche ich auch den Actenstücken, deren Druck begonnen hat, eine Einleitung vorauszuschicken. Aber es sind nun die Bitttage und ich muß bei den Processionen erscheinen. Morgen reise ich ab, um den Kaiser auf dem Semmering zu empfangen. Donnerstag bleibt Seine Majestät zu Grätz. Indessen werde ich das Äußerste thun.
Über die zu druckenden Actenstücke mußte ich mich mit den übrigen Comitémitgliedern verständigen, was sehr viel Zeit kostete. Da in der Wiener Zeitung nur der Druck der Eingaben, auf welche die Vorträge sich beziehen, angekündigt wurde, so werden wir vor der Hand uns auf diese beschränken. Von einer öffentlichen Besprechung der Ehefrage erwarte ich nichts Gutes; in dieser Angelegenheit gesellt zu dem Hasse gegen Religion und Kirche sich auch das Verlangen nach Emancipation des Fleisches in seinen verschiedenen Schattierungen. Und dennoch ist eine Lösung im Interesse der Sittlichkeit für den Staat fast noch wichtiger als für die Kirche.
Ich bitte die Eile zu entschuldigen, ich befinde mich in einem unglaublichen Drange von Geschäften. Wenn Eure Excellenz eine Erklärung von Seite des Comité wünschen, so bitte ich es mir anzudeuten. Empfangen Sie übrigens, Hochgeborner Graf, den Ausdruck der vollkommensten Hochachtung und Ergebenheit, womit ich verharre,

Euer Excellenz
gehorsamster Diener
J. von Rauscher