Johann Friedrich Schulte an Leo Thun
Prag, 15. Januar 1860
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Regest

Der Jurist Johann Friedrich Schulte erkundigt sich im Auftrag des preußischen Regierungsrats Matthias Aulike über die Möglichkeit, für einen zur Konversion bereiten Juden eine Anstellung in Österreich zu finden. Schulte gibt hierzu Auszüge aus einem Brief Aulikes wieder: Bei dem fraglichen Konvertiten handle es sich um den ehemaligen Rabbiner Paul Bendix. Bendix möchte, im Fall einer Konversion, nicht in Preußen bleiben, da er Anfeindungen seitens seiner Glaubensgenossen fürchte. Daher erkundige er sich nach einer Anstellungsmöglichkeit an einer Realschule, einem Gymnasium oder einer Universität in Österreich. Schulte betont, dass er dem Urteil Aulikes vollkommen vertraue und bittet Thun um eine Stellungnahme. Anschließend teilt Schulte dem Minister mit, dass er die Aktenstücke bezüglich des Domkapitels Altbunzlau dem Ministerium übergeben habe. Er hofft, dass Thun mit seiner Arbeit zufrieden sei. Abschließend erkundigt er sich, ob die Auflassung der Universität Graz tatsächlich geplant sei und ob Thun dann beabsichtige, Georg Sandhaas nach Prag zu versetzen.

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Schlagworte

Edierter Text

Hochgeborner Herr Graf!
Hochzuverehrender Herr Minister!

Euere Excellenz wollen gnädigst die Freiheit entschuldigen, die mich die folgende Bitte stellen läßt.
Der k. preußische wirkliche geheime Oberregierungsrath und Direktor der katholischen Cultusangelegenheiten Aulike zu Berlin, den Euer Excellenz ohne Zweifel kennen, schreibt mir diese Tage Folgendes: „Seit einiger Zeit lebt hier ein Dr. Bendix, früher Rabbiner in Graudenz; von der Unhaltbarkeit des Judenthums überzeugt und durch reife Studien zur Erkenntnis gelangt, daß die alttestamentarischen Verheißungen nur in der katholischen Kirche – in ihrem Gegensatze zum Protestantismus – ihre Erfüllung gefunden, beabsichtigt derselbe, sich mit seiner Familie taufen zu lassen und möchte demnächst – an eine günstige Zukunft in Preußen schon wegen der Verfolgungen seiner jüdischen Glaubensgenossen nicht glaubend – in Oesterreich ein Unterkommen im Lehrfache finden. Nun ist hier das Gerücht verbreitet, daß in Prag eine höhere gewerbliche Schulanstalt errichtet werden solle. Dr. B[endix] hat an hiesiger (Berlin) Universität als Dr. phil. promovirt und früher das Examen pro schola in der Tendenz gemacht, um einer höheren jüdischen Schule vorstehen zu können, einer solchen auch wirklich vorgestanden. Er ist 36 Jahr alt. Er ist an mich seit einiger Zeit addressirt worden, so daß ich ihn oft gesehen und eine sehr günstige Meinung von seinem forschenden Geiste und seinem guten Wissen habe schöpfen können. Auch sein Character und Wesen hat etwas ungewöhnlich Solides und Ansprechendes. Bei seinem bedeutenden Wissen in den orientalischen Sprachen und der jüdischen Theologie, welches durch seine neuern Studien vorzüglich die Divertion auf gegenseitige Erläuterung der beiden Testamente auseinander genommen hat, ist des Propstes (Pelldram) und meine Ansicht, daß er in diesem Zweige der theologischen Exegese zu einer erheblichen und sehr nützlichen Thätigkeit berufen sein dürfte. Bis Tertia incl. unserer Gymnasien (also bis Quinta der österreichischen) ist er in allen Fächern lehrfähig, in Geschichte, Geographie usw. noch wohl höher hinauf… Auch Geheimrath Brüggemann beurtheilt ihn in günstigster Weise.“ Aulike bittet mich dann, ihm Auskunft darüber zu geben, ob in Prag eine neue Realschule oder dgl. errichtet werde oder ob Aussicht sei, ihm eine Gymnasiallehrerstelle oder für orientalische Sprachen an einer Universität eine Stelle zu verschaffen. Da ich gänzlich außer Stande war zu antworten, habe ich ihm geschrieben, mich an Euere Excellenz wenden zu wollen. Aulike erklärte sich hiermit völlig einverstanden und bemerkt nochmals, daß an Dr. B[endix] „auch in wissenschaftlicher Hinsicht eine tüchtige zu nicht geringen Hoffnungen berechtigende Erwerbung gemacht werde.“ Indem ich bemerke, daß mir selten ein Mann von der Reife und Gediegenheit des Urtheils und Characters als Aulike vorgekommen ist, daß ich mich glücklich fühle, wenn ich ihm, der mir seit 1846 ein väterlicher Freund war und dem ich viel verdanke, gefällig sein kann, wage ich es Euerer Excellenz die tiefgehorsamste Bitte zu stellen, mir gnädigst mitzutheilen, ob es möglich sein werde, den Dr. B[endix] im Kaiserstaate vorerst ein Unterkommen zu verschaffen, da Aulike viel daran liegt, wenigstens darüber bald einige Gewißheit zu haben. Ist dies Euerer Excellenz möglich, so bin ich überzeugt, daß Hochdieselben das Urtheil zweier so gediegener Männer, das natürlich auch durch Dokumente wird unterstützt werden, genügt. Aulike schreibt, daß auch der hiesige Cardinal sich wohl bald für ihn interessiren dürfte.
Am 27. Dez. habe ich Seiner Eminenz in der Altbunzlauer Sache alle Aktenstücke übergeben; wann dessen Bericht Einem hohen Ministerium zukommen werde, weiß ich nicht. Meinen Bericht nebst Beilage habe ich bereits am 22. Dez. dem hohen Ministerium übersandt. Sind Euere Excellenz mit dem Resultate zufrieden? Falls Hochdieselben Zeit gefunden, den Bericht zu lesen.
Ich werde mir in kürzester Zeit die Freiheit nehmen, Euerer Excellenz die 1. Lieferung eines neuen Bandes meines Systems des Kirchenrechts zuzusenden, um dessen gnädige Annahme ich tiefergebenst bitte.
Darf ich zum Schluße, ohne unbescheiden oder arrogant zu erscheinen, mir die Frage erlauben, ob die Auflassung der Universität Gratz richtig ist? Es ist nicht müßige Neugierde, sondern der Wunsch zu erfahren, wenn Euer Excellenz die Gnade haben wollen, mir dies – was ich selbstredend nur für mich behielte – mitzutheilen, ob Hochdieselben im bejahenden Falle vielleicht beabsichtigen, Prof. Sandhaas hierher zu setzen?
Euer Excellenz nochmals tiefergebenst um gnädige Entschuldigung meiner Freiheit und die Entgegennahme des Ausdrucks unbegrenzter Hochachtung und Verehrung bittend bin ich

Euerer Excellenz!

gehorsamster Diener
Dr. Schulte

Prag, den 15. Jan. 1860