Justin Linde an Leo Thun
Frankfurt, 31. Mai 1854
|

Regest

Staatsrat Justin Linde berät Leo Thun in einigen Personalfragen und äußert sich im Allgemeinen über die wichtige Aufgabe des Ministers. Zunächst betont Linde, dass sich die Berufung seines Neffen Johann Friedrich Schulte sicherlich lohnen werde. Er bedauert allerdings, dass die von Thun gewünschten Auskünfte über Heinrich Fick noch auf sich warten ließen. Er hat sich über Fick beim Bischof von Fulda informiert. Anschließend spricht Linde seine Freude darüber aus, dass gerade Leo Thun das Amt des Unterrichtsministers inne habe und er die historische Richtung innerhalb der Rechtswissenschaften besonders fördern wolle. Linde betont, dass es für Katholiken in Preußen sehr schwer sei, eine wissenschaftliche Karriere zu beginnen und er freut sich daher umso mehr, dass man in Österreich nun die Förderung der katholischen Wissenschaft in Angriff nehme. Linde betont die Wichtigkeit des Unterrichtswesens für die Zukunft eines Landes. Aus seiner Sicht sei Thun daher auch die historische Mission zugefallen, Österreich für die Zukunft zu stärken. Linde will Thun daher mit voller Kraft unterstützen.

Anmerkungen zum Dokument

Eh. Konzept von Justin Linde.

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000B-DB4B-B

Schlagworte

Edierter Text

Frankfurt den 31. Mai 1854

Hochgeborner Herr Graf!

E. Excellenz sehr geehrtes Schreiben vom 24 d. M. 1habe ich gut empfangen, die Ehre gehabt und mich wahrhaft gefreut, daraus die Überzeugung schöpfen zu dürfen, daß Hochdieselben mir Vertrauen und Wohlwollen bewahrt haben.
Die Empfehlung des[?] Dr. Schulte, wird ganz zuverläßig jenes Vertrauen rechtfertigen. Wenn Schulte zunächst auch vorzugsweise im kanonischen Rechte sich bekannt gemacht und seine Tüchtigkeit legitimiert hat, so ist er doch eben so tüchtig in den übrigen Zweigen des Rechtes. E. Exzellenz dürfen ihn zu staatsrechtlichen und römisch rechtlichen Vorlesungen mit gleicher Zuversicht verwenden und ich würde unmaßgeblich rathen, ihm eine der gerade vakanten Professuren auf jeder beliebigen Universität anzuvertrauen, mit dem Vorbehalte, sich demnächst für ein anderes Fach und an einer anderen Universität verwenden zu lassen, je nachdem Sie es denn für angemessen halten.
Schulte gehört ausnahmsweise zu den getreuen Söhnen der katholischen Kirche, die Aussicht haben selbst in Preußen eine akademische Carriere zu machen, vielleicht bald selbst ins Ministerium als Hülfsarbeiter zugezogen zu werden. Da Preußen aber viele und gut dotierte, so fällt[?] es, wenn ein tüchtiger Mann sich daselbst einmal mit Aussicht auf Weiterkommen festgesetzt hat, überhaupt schwerer, ihn zu acquirieren, und unter allen Umständen wird es kostspieliger, und der so Angestellte hat nicht dieselben Gründe der vorzugsweisen Hingebung, wie einer dessen Carriere E. Exzellenz von vornherein begründet haben.
Wegen des Dr. Fick habe ich sofort nach Empfang Ihres geehrten Schreibens direct an H. Bischof von Fulda geschrieben, und erwarte umgehend Antwort. Daß ich diese noch nicht habe, hat sicher seine guten Gründe, die mich nun aber nicht auch entschuldigen würden, Hochdemselben wenigstens vorläufig die ergebenste Anzeige zu machen, daß ich die nötigen Einleitungen sofort zu treffen nicht versäumt habe.
Weitere Erkundigungen über Fick wede ich leicht einziehen, wenn ich erst von Fulda wegen der Haupteigentschaft vergewissert bin.
Besonders interessant ist mir die Mittheilung, daß E. Exzellenz entschlossen sind, für ein gründliches historisches und besonders auch römisch rechtliches Studium Bahnen zu schaffen. Es lieg[t] darin gewiß das sicherste Mittel, wissenschaftlich gebildete damit aber auch berufstreue einsichtsvolle und conservativ gesinnte Männer und Staatsdiener heranzubilden, denen der zutheil gewordene Beruf dann auch am Herzen liegt und die darin vorzugsweise im Leben die höchste Befriedigung finden. Ich weiß aber auch aus einer langjährigen Erfahrung und unbefangener Beobachtung, daß solche Anlagen vollständig nur auf katholischem Grunde mit wahrhaft katholischer Auffassung gedeihen. Ich würde gerne statt katholisch christlich sagen, weil das mir hier gleichbedeutend ist. Aber unsere Zeit hat das Wort christlich bis zur gänzlichen Vernichtung des Inhalts des Begriffes, häufig mißbraucht. Um einen solchen Plan durchzuführen, haben E. Excellenz allerdings gleich anfangs zuverlässige Lehrkräfte nöthig, und Hochdieselben deuten selbst an, daß Sie mit Nichtkatholiken bei sonst noch so hervorragender wissenschaftlichen Befähigung den zu erstrebenden Zweck nur unvollständig, weil nur einseitig, gerade für die oesterreichische Monarchie zu erreichen im Stande sein werden. Erst in neuerer Zeit habe ich oft Gelegenheit gehabt, mich zu überzeugen, wie man schon seit langer Zeit mit großer Umsicht, Ausdauer und Mühe und Kosten, Mittel und Wege ausbeutet[?], alle katholischen Entwicklungen durch alle Branschen der Wissenschaft zu ecrasieren, was in dem zweitgrößten katholischen deutschen Staate zwar noch nicht erreicht, aber mit scheinbarem Erfolge umfangsreich[?] begonnen ist. Aber auch Österreich betrachtet diese Partei[?] als ihre Domaine. Mir sind Briefe zu Gesicht gekommen, die mich ziemlich tief und zuverläßig diesen Plan und die darauf begründete Propaganda durchschauen ließen. Die Mittel zur Ausführung liegen umso näher, weil seither die österreichischen Universitäten für Docenten, welche keine österreichischen Unterthanen sind, so gut wie geschloßen waren und die wenigsten deutschen Universitäten, als rein protestantische, den katholischen Docenten ebenfalls keinen Wirkungskreis boten und die wenigen paritätischen die katholischen Docenten nur darin übten, Zurücksetzung ertragen zu lernen. Dadurch ist es allmählich dahin gekommen, daß die Katholiken sich auf die academische Carriere vorzubereiten alle Aufforderung und Lust verlieren mußten, aber auch, daß es fast bedenklich ist, einen hervorragenden katholischen Docenten, wenn er auf einer anderen deutschen Universität wirklich ein wirksame Stellung errungen hat, daraus zu berufen, weil damit leicht einem andern nachtheilichen Einfluße Platz gemacht wird. In den Händen E. Excellenz als Minister des Cultus und Unterrichts, liegt am Ende doch Oesterreichs Zukunft, das liegt in der Natur der Sache, und darin daß in keinem anderen Verwaltungszweige, die schaffenden und wirksamen Organe, so kulturfähigen Boden und so nachhaltige Wirksamkeit haben.
Ein Kultus und Unterrichtsminister macht Grundlagen, die leicht auf Jahrhunderte nach ihm, und stellt Personen an, die im Großen und Ganzen wenigstens ein Menschenleben hindurch oft noch in kommenden Generationen die Richtung des sittlichen und geistigen Lebens der ganzen Nation so unwiederstehlich bestimmen, daß ein nachfolgender Minister, wenn er ein System des Vorgängers durchgeführt findet, sich nur auf die Fortführung zu beschränken hat. E. Excellenz haben diese Aufgabe für eine unermeßliche Monarchie und wie es mir scheint unter schwierigen Verhältnissen als Erbschaften der Vergangenheit. Wo man aber mit weniger tauglichen Einrichtungen der Vorzeit, mit tief eingewurzelten Vorurtheilen für alte und gegen neue Systeme zu kämpfen hat und wo einem dennoch bei den unfahrbarsten Wegen oft der rechte Wegweiser und guter Vorspann fehlt, da gehört mehr als menschliche Kraft dazu, bald und sicher zum Ziele zu kommen. Das war schon lange die Ansicht, welche ich von der großen Aufgabe E. Excellenz hatte, und bei der ich deshalb so sehr wünschte, mit meinen geingen Kräften hochderselben zur Disposition zu sein. Meine Begeisterung für die Sache, ging gleichen Schritt mit der Anhänglichkeit an Ihre Person, die mir durch das ganze Wesen des von mir so hochgeschätzten Herrn Bruders so verehrungsvoll geworden. Nun E. Excellenz wissen, woran diese meine Hoffnungen gescheitert sind. Meine Gesinnung und meine Wünsche sind sich gleichgeblieben, aber leider auch meine Verhältnisse zum großen Theil, wenngleich ich jetzt es eher möglich machen könnte, unter etwas geringeren Bedingungen für Subsistenzmittel einen Wirkungskreis anzunehmen.
Jedenfalls werde ich mich bemühen, darüber zuverläßige Notitzen zu sammeln, wo einige Capazitäten, wie E. Excellenz Sie suchen zu gewinnen sind, und mich dann beeilen, Hochderselben darüber zu referieren.
Es ist schwierig wenn man nicht in dem System eines Unterrichtsministeriums gehörig orientiert ist und die Pläne in allgemeinen Unrissen auch nur kennt, irgendeinen berechtigten angemessenen Rath zu haben; und ich muß deshalb um Nachsicht bitten, wenn ich hier etwas ganz unausführbares sage: aber mir scheint, daß es zweckmäßig wäre, wenn E. Excellenz eine der österreichischen Universitäten, besonders mit[?] dafür in Aussicht nähmen, gehörigen Nachwuchs für Lehrkräfte zu bilden. Ausdrücklich verwahre ich mich dabei gegen die Unterstellung, daß ich dabei an irgendeine Art von Dressur denke, denn das ist nicht der Boden, worauf solche Früchte wachsen, sondern ich denke nur an behutsame Pflege auf fruchtbarem Boden unter günstigem Clima und dann sorgsame Beobachtung der Entwicklung. Freilich kenne ich die österreichischen Universitäten gar nicht, um zu wissen, auf welche dabei wohl vorzugsweise Rücksicht zu nehmen wäre. Schon längst hatte ich sogar persönliches Interesse einige Gymnasien und Universitäten Österreichs näher kennen zu lernen, weil ich wenigsten meine beiden jüngsten Söhne demnächst österreichischen Anstalten übergeben muß. Ich habe seither die Reise aus denselben Gründen nicht ausführen können, die es mir unmöglich machten, mich in Wien niederzulassen. Wie doch alles im irdischen Leben von dem abhängt, was das werthloseste ist.