Der Botaniker Johann Zobel wendet sich mit der Bitte an einen befreundeten, nicht näher genannten Professor, dieser möge ihn bei Leo Thun empfehlen. Zobel hat sich nämlich für die Lehrkanzel der Naturwissenschaften am akademischen Gymnasium in Wien beworben. Da er bereits im vorigen Jahr mehrfach mit seinen Bewerbungen für eine Stelle als Professor der Vorbereitungswissenschaften gescheitert war, möchte er es nun auf diesem Weg versuchen. Zobel betont, dass er den Minister bereits mehrfach getroffen habe, er vermutet aber, dass Thun sich nicht mehr an ihn erinnern werde. Im zweiten Teil des Briefes schreibt Zobel, dass er vor kurzem den Nachlass des Botanikers Karl Presl schätzen musste, welcher zahlreiche botanische Schätze berge. Schließlich berichtet er von der schwierigen Situation an der Universität Prag, wo derzeit ein Streit zwischen der medizinischen und der philosophischen Fakultät herrsche, welche der beiden Fakultäten die naturwissenschaftlichen Vorlesungen anbieten solle. Am Ende teilt er dem Professor mit, dass seine Mutter an einer Lungenentzündung gestorben ist.
Verehrtester Herr Professor!
Daß ich Sie mit einem Schreiben belästige, geschieht aus rein – egoistischen
Absichten. Sie werden denken: Nun! Der Anfang klingt schön! Wohl! Was hälfe es
aber auch, wenn ich meine Tendenz mehr verblümt vorbringen wollte, Sie würden
und müßten denn doch endlich hinter der langen Rede kurzen Sinn kommen. Also:
Ich bin vorige Woche bei den niederöstreichischen Landesschulbehörden um die am
k.k. akademischen
Gymnasium erledigte Lehrkanzel der Naturwissenschaften
eingeschritten; da mir die medicinische Praxis täglich mehr zuwider wird, und
ich sie deshalb ganz bei Seite legen und mich wieder con amore der Scientia
amabilis et Compagnie hingeben will.
Im Vertrauen auf Ihre mir oft bewiesene
freundschaftliche Zuneigung wage ich deshalb an Sie die gewaltige Bitte – wenn
Sie natürlich in der Lage seyn sollten, es thun zu können – für mich bei Seiner
Excellenz dem Herrn
Unterrichtsminister in dieser Beziehung ein empfehlendes Wort zu
verlieren oder vielmehr nicht zu verlieren, sondern anzubringen. Ich sehe mich
zwar außerstande, Ihnen einen Gegendienst anzubiethen, doch kann ich mich si
parva licet componere magnis mit dem englischen Finanzministerium trösten, das
auch Schulden auf Schulden häuft, ohne doch die Hoffnung zu verlieren, sie
einstens bezahlen zu können. Seine
Excellenz hatten mich wohl in Prag
persönlich gekannt, war auch früher selbst mehrmals bei mir, um sich mit mir
wegen einer irrsinnig gewordenen Gouvernante, die der Pflege der Barmherzigen
Schwestern anvertraut werden sollte, zu berathen – doch kann ich jetzt wohl
nicht mehr vermuthen, daß der Herr
Graf sich meiner noch erinnern dürfte. Ich bin vorigen Jahres um
eine der erledigten Lehrkanzeln der chirurgischen Vorbereitungswissenschaften –
Graz, Salzburg,
Wien – eingeschritten, ohne Erfolg! Ich bescheide
mich gerne, daß meine Fähigkeiten dafür zu ungenügend seyen, aber für ein
Gymnasium glaube ich denn doch, wenn mich nicht alles täuscht, nicht ganz und
gar zu unwissend zu seyn. ??
In der Hoffnung, daß mein Anliegen Ihre heitere
Laune nicht trübe, breche ich dann ab, um Ihnen ein paar naturhistorische
Curiosa mitzutheilen:
Erstens: bin ich jetzt an Johann S[watopluk] Presls Stelle,
beeideter Sachverständiger im naturhistorischen Fache und hatte als solcher auch
schon bei der Abschätzung des Nachlasses von Karl B[oriwog] Presl zu fungiren. Da dessen Herbar kaum zur
Hälfte geordnet und gar nicht katalogisirt war, so mußte ich mir die Mühe
nehmen, es genauer durchzusehen, als sonst wohl nöthig gewesen wäre, und somit
bin ich denn der 1. Europäer, der eine Einsicht und noch dazu eine ämtliche, in
diese Mysterien nehmen durfte.
Das Ganze wäre fürs Wiener Museum keine üble Acquisition, die Farnenkräuter –
geordnet – bilden den Glanzpunkt! Circa 2.900 Species!
Zweitens: Sind die
Naturwissenschaften jetzt zu einem Zankapfel unserer medicinischen und
philosophischen Facultäten geworden! Ein Streit, der mir zwar ganz fremd, doch
zu einem unliebsamen Dilemma für mich führt: die medizinische Facultät hält
nämlich ganzjährige Vorträge über jeden
Zweig der Naturwissenschaften für Mediciner für zu ausgedehnt, umso
mehr, da die Anatomie selbst von jeher durch ein ganzes Jahr vorgetragen wurde
und der Mediciner also in einem Jahre 4 zweisemestrige Vorlesungen hören müßte.
Die philosophische Facultät will ½-jährige Vorträge zwar für Mediciner geben,
aber sie zugleich geradezu als "unwissenschaftliche" ankündigen. Die
medicinische Facultät will nun den Philosophen Schach biethend, sich auf einen
Ministerialerlaß stützend, diese Vorträge aus eigener Mitte bestreiten!
Prof. Bochdalek soll Zoologie,
ich Botanik und solange sich niemand sonst findet auch Mineralogie für Mediziner
vortragen!
An und für sich ist diese Zumuthung für mich zwar ehrenvoll, aber
da bei den Herrn Philosophen die Collegiengelder mit im
Spiele sind, so dürfte, obwohl ich diese Collegien „unentgeldlich“ beantragen werde, denn doch daraus leicht ein
Zerwürfnis des freundschaftlichen Verhältnisses zwischen mir und Reuß oder Kosteletzky angebahnt werden.
Daß Sie selbst, Verehrter,
wohl auf sind, hat mir Freund Reuß
überbracht, auf Hämorrhoidalschwindel werden Sie wohl ebenso wenig Gewicht legen
wie auf alle anderen Schwindeleyen. Ich hoffe auch, daß die gnädige Frau und
Ihre Familie sich wohl befinden, und wünsche, daß Ihnen allen das neue Jahr
angenehmer und glücklicher verlaufe, als es uns vom Geschicke bestimmt
war!
Unsere liebe Mutter starb an einer wiederholten Lungenentzündung am 11.
Jänner! Ein Verlust, der mich gewaltig erschütterte. Sie war freilich schon im
75. Jahre, aber bei ihrer Constitution und bei dem Umstande, daß sie schon
vorigen Jahres eine Lungenentzündung glücklich überstanden hatte, hoffte ich sie
auch diesmal, wo die Lungenentzündung epidemisch herrschte, zu retten und noch
auf einige Jahre zu erhalten! Aber Freund Jakschs und Loschners
Bemühungen waren fruchtlos! Über den Sternen war es anders beschlossen! Und so
sind denn jetzt die Häupter meiner Lieben bald gezählt!
Meinen Handkuß an
die gnädige Frau und meine Empfehlung an Ihre werthe Familie
Ihr alter
J. Zobel
P[rag], 5.2.[18]53