Hermann Leonhardi an Leo Thun
Prag, 05. April 1855
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Regest

Der Professor für Philosophie Hermann Leonhardi bittet Leo Thun erneut um die Berufung von Karl Schimper nach Prag. Kurz nachdem er Thun vor wenigen Wochen das Promemoria über Schimper geschickt hatte, hat die Philosophische Fakultät der Prager Universität beschlossen, beim Ministerium die Wiederbesetzung der Kanzel für Naturgeschichte bzw. deren Umwandlung in eine Kanzel der allgemeinen Naturwissenschaften zu beantragen. Daher hatte er sich sofort an Alexander Braun in Berlin gewandt und diesen um Auskunft über die Chancen einer Berufung von Schimper gebeten. Jener begrüßte eine solche mögliche Berufung mit großer Freude und bezeichnete sie als einen Gewinn für den Kaiserstaat. Leonhardi legt eine Abschrift des Schreibens von Braun diesem Brief bei.
In dieser Beilage betont Alexander Braun die wichtige Rolle der Naturwissenschaften bei der Bildung und Erziehung der Jugend. Dabei legt er vor allem Wert darauf, dass die neuere morphologisch-biologische Betrachtungsweise in richtiger Weise gelehrt werde. Dies würde Schimper besonders gut leisten, da dieser stets die Zusammenhänge der naturhistorischen Disziplinen betone und die Studenten damit vor Einseitigkeiten bewahren könne, was eine große Gefahr der Zeit sei. Braun berichtet außerdem von verschiedenen Berufungsverfahren für naturgeschichtliche Lehrstühle in Deutschland, bei denen Schimper eine Chance haben könnte. Allerdings kann auch Braun nicht mit Gewissheit sagen, ob Schimper bereit wäre, den Lehrstuhl zu übernehmen, da er selbst schon seit einiger Zeit keine Briefe mehr von diesem erhalten habe.

Anmerkungen zum Dokument

Schlagworte

Edierter Text

Hochgeborner Graf!

Kurz nachdem ich die Ehre hatte, Euer Excellenz ein Promemoria 1über die dringend wünschenswerthe Berufung Dr. Karl Fr[iedrich] Schimpers an hiesige Universität zu übersenden, stellte Prof. Kosteletzky in unserem Lehrkörper den Antrag, daß wir bei hohem Unterrichtsministerium um Errichtung einer Lehrkanzel für allgemeine Naturwissenschaft an der Stelle der aufgelassenen für allgemeinen Naturgeschichte nachsuchen möchten, welcher Antrag denn auch allgemeine Unterstützung fand. In das Comité, dem die Motivirung des Antrags obliegt, wurde auch ich gewählt. So hatte ich eine Veranlassung mehr, über meinen Freund Dr. Karl Schimper, von welchem ich seit Spätherbst ohne Briefe war, sowie über den Stand seiner badischen Aussichten Erkundigungen einzuziehen. Unsicher ob Dr. Schimper noch in Jena sey, wendete ich mich an Prof. Alexander Braun in Berlin und sprach ihm dabei aus, daß sich für jenen möglicher Weise auch hier eine Aussicht eröffnen werde.
Prof. Brauns Antwort hatte hier Allen, denen ich sie mittheilte, den gleichen Eindruck gemacht, daß es nur der größte Gewinn für Prag und für den Kaiserstaat seyn könne, wenn Dr. Schimper hier einen Wirkungskreis bekäme. Von Allen wurde ich in gleicher Weise aufgefordert, die betreffenden Stellen des Braunschen Briefes, sowohl die auf Dr. Schimper sich beziehenden als die treffenden und schönen allgemeinen Äußerungen über den heutigen Stand der Naturwissenschaft und das darauf gegründete Bedürfnis des naturwissenschaftlichen Unterrichts zu Euer Hochgeboren Kenntnis zu bringen; was zu thun ich ohnehin schon entschlossen war.
Um in dieser guten Sache nun nichts zu versäumen, will ich, in eine Ausarbeitung vertieft, es nicht anstehen lassen, bis ich nach den Ostertagen mich Hochdenselben in Wien vorstellen zu dürfen hoffen kann, sondern bin so frei, eine Abschrift der betreffenden Stellen schon heute hiebei zu übersenden. Was darin über die Aufgabe unsrer Zeit und über die darauf bezügliche Leistungsfähigkeit Karl Schimpers von so competenter Seite gesagt ist, dürfte allein hinreichen, daß Euer Excellenz, von Hochdero Entschließung es ja allein abhängt, Sich bestimmt fänden, das zu veranlassen, was – wenn ich frei meine Überzeugung aussprechen darf – mit Rücksicht auf die Forderungen der Wissenschaft und des moralisch-religiösen Interesses, sowie auf das Bedürfnis Prags und des Kaiserstaates in diesem Falle als das allein Geeignete erscheint.
Genehmigen Euer Excellenz die Versicherung der ausgezeichneten Hochachtung, mit der ich die Ehre habe zu zeichnen als

Euer Hochgeboren gehorsamst ergebener Diener
Dr. Hermann Fhr. Leonhardi
k.k. Professor

Prag 5. April 1855

Über den heutigen Stand der Naturwissenschaft und das darauf gegründete Bedürfnis des Unterrichts für Lehramtskandidaten der Naturwissenschaften, sowie über die bezügliche Leistungsfähigkeit des Dr. Karl Fr[iedrich] Schimper aus Mannheim , derzeit in Jena .

Aus einem Brief von Dr. Alexander Braun , Professor der Botanik in Berlin (früher Professor der Naturgeschichte an der polytechnischen Schule in Karlsruhe, dann Professor der Botanik an den Universitäten Freiburg und Gießen) vom 30. März 1855.

„Wer die wahre Aufgabe der Naturgeschichte sich klar gemacht hat, wird zur Überzeugung gekommen seyn, daß diese keine zerstörende ist, wie es wohl vielen Fernstehenden scheinen möchte, wie es Manche in ihrer Verkehrtheit sogar wünschen mögen, sondern daß sie die Bestimmung und Aufgabe hat, im schönsten Sinne die höchsten Seiten menschlicher Geistesbildung zu stützen und mit tieferen Fundamenten zu versehen. Eine gesunde morphologisch-biologische Naturanschauung ist durch die einseitig chemisch-physikalische und dadurch materialistische Richtung der Neuzeit nur allzusehr in den Hintergrund gedrängt worden. Wenn nun auch die neuere Richtung aus sich selbst genöthigt seyn wird, zu einer tieferen biologischen Betrachtung fortzuschreiten, so ist es doch nicht gleichgültig, wann dieß geschieht, sondern wichtig, daß die tiefere Seite schon jetzt festgehalten und die Jugend mit ihr bekannt gemacht werde, damit sie vor Überschätzung dessen, was als Mittel von großer Wichtigkeit ist, aber in seiner Isolirung leicht zu kurzsichtigen Folgerungen führt, die dem menschlichen Leben das Werthvollste zu rauben drohen, bewahrt wird.“
„Dieß ist es gerade, was ich glaube, daß durch Schimpers Behandlung der Naturgeschichte geleistet werden könnte.“
Über Dr. Schimper äußert Prof. Braun an einer frühern Stelle desselben Briefes noch Folgendes.
„Von einem zu Fortsetzung seiner medicinischen Ausbildung hierher gekommenen Jenaer Dr. medic., sowie auch von andern Seiten habe ich gehört, daß Karl Schimper fortwährend in Jena sich aufhält, wo seine Vorträge großen Beifall finden, so daß er denselben Vortrag gewöhnlich in verschiedenen Kreisen wiederholt. Es freut mich sehr, daß er auf diese Weise aus seiner Zurückgezogenheit hervorgetreten ist, und ich wünsche nur, daß er an solche Wirksamkeit auch durch äußere Stellung gebunden wäre. Es schien einige Zeit als sollte Schleiden nach München berufen werden und ich hoffte, daß Schimper dann in Jena an seine Stelle käme; aber dem scheint nicht so. Wie es mit der Besetzung der Stellen in Heidelberg und Freiburg steht, weiß ich eigentlich nicht. Für Heidelberg hat die Universität schon längst Mohl vorgeschlagen; allein die Regierung scheint Bedenken zu haben, da sie, wie ich von Mohl selbst weiß, noch keine Anfrage an ihn gestellt hat. Nägeli’s Abgang nach Zürich hat sich erst vor kurzem definitiv entschieden; ob dort Hoffnung für Schimper ist, weiß ich nicht. Die Stelle in Prag, von der Du in Deinem Briefe schreibst, würde ich ihm aber vor allen andern wünschen, da mir Schimpers ganze Art und Weise einer Stellung besonders angemessen scheint, in welcher er die Studierenden nicht sowohl für ein einzelnes Fach zuzuschulen als im Allgemeinen einer richtigen Beurtheilung aller naturhistorischen Disciplinen zuzuführen, den innern Zusammenhang der Fächer anschaulich zu machen einen guten, über die modernen Einseitigkeiten erhebenden Geist ihnen einzupflanzen den Beruf hätte.“
„Daß Schimper dazu wie vielleicht kein Anderer, den inneren Beruf und die äußere Befähigung hat, werden ihm alle diejenigen zugestehen, die ihn näher kennen und Vorträge bei ihm gehört haben und deren sind Viele, die ihm Viel verdanken.“
An einer noch früheren Stelle des Briefes sagt Prof. Braun:
„Von Karl Schimper weiß ich Dir keine neuesten Nachrichten zu geben. Nach der Naturforscherversammlung in Göttingen, wo ich seine schriftlich eingesendeten morphologischen Mittheilungen vortrug, habe ich noch einige Briefe mit ihm gewechselt, die hauptsächlich die bei Weimar von ihm aufgefundenen fossilen Charen betrafen, von denen er mir eine ganze Kiste voll der schönsten Exemplare gesandt hat.“