Der Professor für Philosophie Hermann Leonhardi bittet Leo Thun erneut um
die Berufung von Karl Schimper nach Prag. Kurz nachdem er Thun vor
wenigen Wochen das Promemoria über Schimper geschickt hatte, hat die
Philosophische Fakultät der Prager Universität beschlossen, beim
Ministerium die Wiederbesetzung der Kanzel für Naturgeschichte bzw.
deren Umwandlung in eine Kanzel der allgemeinen Naturwissenschaften zu
beantragen. Daher hatte er sich sofort an Alexander Braun in Berlin
gewandt und diesen um Auskunft über die Chancen einer Berufung von
Schimper gebeten. Jener begrüßte eine solche mögliche Berufung mit
großer Freude und bezeichnete sie als einen Gewinn für den Kaiserstaat.
Leonhardi legt eine Abschrift des Schreibens von Braun diesem Brief
bei.
In dieser Beilage betont Alexander Braun die wichtige Rolle der
Naturwissenschaften bei der Bildung und Erziehung der Jugend. Dabei legt
er vor allem Wert darauf, dass die neuere morphologisch-biologische
Betrachtungsweise in richtiger Weise gelehrt werde. Dies würde Schimper
besonders gut leisten, da dieser stets die Zusammenhänge der
naturhistorischen Disziplinen betone und die Studenten damit vor
Einseitigkeiten bewahren könne, was eine große Gefahr der Zeit sei.
Braun berichtet außerdem von verschiedenen Berufungsverfahren für
naturgeschichtliche Lehrstühle in Deutschland, bei denen Schimper eine
Chance haben könnte. Allerdings kann auch Braun nicht mit Gewissheit
sagen, ob Schimper bereit wäre, den Lehrstuhl zu übernehmen, da er
selbst schon seit einiger Zeit keine Briefe mehr von diesem erhalten
habe.
Beilage: Abschrift in Auszügen eines Briefes von Alexander Braun an Hermann Leonhardi vom 30. März 1855.
Hochgeborner Graf!
Kurz nachdem ich die Ehre hatte, Euer Excellenz ein Promemoria 1über die
dringend wünschenswerthe Berufung Dr.
Karl Fr[iedrich] Schimpers an hiesige Universität zu übersenden,
stellte Prof. Kosteletzky in
unserem Lehrkörper den Antrag, daß wir bei hohem Unterrichtsministerium um
Errichtung einer Lehrkanzel für allgemeine Naturwissenschaft an der Stelle der
aufgelassenen für allgemeinen Naturgeschichte nachsuchen möchten, welcher Antrag
denn auch allgemeine Unterstützung fand. In das Comité, dem die Motivirung des
Antrags obliegt, wurde auch ich gewählt. So hatte ich eine Veranlassung mehr,
über meinen Freund Dr. Karl
Schimper, von welchem ich seit Spätherbst ohne Briefe war, sowie
über den Stand seiner badischen Aussichten Erkundigungen einzuziehen. Unsicher
ob Dr. Schimper noch in
Jena sey, wendete ich mich an Prof. Alexander Braun in Berlin und sprach ihm dabei aus, daß
sich für jenen möglicher Weise auch hier eine Aussicht eröffnen
werde.
Prof. Brauns Antwort
hatte hier Allen, denen ich sie mittheilte, den gleichen Eindruck gemacht, daß
es nur der größte Gewinn für Prag und
für den Kaiserstaat seyn könne, wenn Dr.
Schimper hier einen Wirkungskreis bekäme. Von Allen wurde ich in
gleicher Weise aufgefordert, die betreffenden Stellen des
Braunschen Briefes, sowohl die auf Dr. Schimper sich beziehenden als
die treffenden und schönen allgemeinen Äußerungen über den heutigen Stand der
Naturwissenschaft und das darauf gegründete Bedürfnis des
naturwissenschaftlichen Unterrichts zu Euer Hochgeboren Kenntnis zu bringen; was
zu thun ich ohnehin schon entschlossen war.
Um in dieser guten Sache nun
nichts zu versäumen, will ich, in eine Ausarbeitung vertieft, es nicht anstehen
lassen, bis ich nach den Ostertagen mich Hochdenselben in
Wien vorstellen zu dürfen hoffen kann, sondern bin so
frei, eine Abschrift der betreffenden Stellen schon
heute hiebei zu übersenden. Was darin über die Aufgabe unsrer Zeit und über die
darauf bezügliche Leistungsfähigkeit Karl Schimpers von so competenter Seite gesagt ist, dürfte
allein hinreichen, daß Euer Excellenz, von Hochdero Entschließung es ja allein
abhängt, Sich bestimmt fänden, das zu veranlassen, was – wenn ich frei meine
Überzeugung aussprechen darf – mit Rücksicht auf die Forderungen der
Wissenschaft und des moralisch-religiösen Interesses, sowie auf das Bedürfnis
Prags und des Kaiserstaates in
diesem Falle als das allein Geeignete erscheint.
Genehmigen Euer Excellenz
die Versicherung der ausgezeichneten Hochachtung, mit der ich die Ehre habe zu
zeichnen als
Euer Hochgeboren gehorsamst ergebener Diener
Dr. Hermann Fhr.
Leonhardi
k.k. Professor
Prag 5. April 1855
Über den heutigen Stand der Naturwissenschaft und das darauf gegründete Bedürfnis des Unterrichts für Lehramtskandidaten der Naturwissenschaften, sowie über die bezügliche Leistungsfähigkeit des Dr. Karl Fr[iedrich] Schimper aus Mannheim , derzeit in Jena .
Aus einem Brief von Dr. Alexander Braun , Professor der Botanik in Berlin (früher Professor der Naturgeschichte an der polytechnischen Schule in Karlsruhe, dann Professor der Botanik an den Universitäten Freiburg und Gießen) vom 30. März 1855.
„Wer die wahre Aufgabe der Naturgeschichte sich klar gemacht hat, wird zur
Überzeugung gekommen seyn, daß diese keine zerstörende ist, wie es wohl
vielen Fernstehenden scheinen möchte, wie es Manche in ihrer Verkehrtheit
sogar wünschen mögen, sondern daß sie die Bestimmung und Aufgabe hat, im
schönsten Sinne die höchsten Seiten menschlicher Geistesbildung zu stützen
und mit tieferen Fundamenten zu versehen. Eine gesunde
morphologisch-biologische Naturanschauung ist durch die einseitig
chemisch-physikalische und dadurch materialistische Richtung der Neuzeit nur
allzusehr in den Hintergrund gedrängt worden. Wenn nun auch die neuere
Richtung aus sich selbst genöthigt seyn wird, zu einer tieferen biologischen
Betrachtung fortzuschreiten, so ist es doch nicht gleichgültig, wann dieß
geschieht, sondern wichtig, daß die tiefere Seite schon jetzt festgehalten
und die Jugend mit ihr bekannt gemacht werde, damit sie vor Überschätzung
dessen, was als Mittel von großer Wichtigkeit ist, aber in seiner Isolirung
leicht zu kurzsichtigen Folgerungen führt, die dem menschlichen Leben das
Werthvollste zu rauben drohen, bewahrt wird.“
„Dieß ist es gerade, was
ich glaube, daß durch Schimpers Behandlung der Naturgeschichte geleistet
werden könnte.“
Über Dr.
Schimper äußert Prof.
Braun an einer frühern Stelle desselben Briefes noch
Folgendes.
„Von einem zu Fortsetzung seiner medicinischen Ausbildung
hierher gekommenen Jenaer Dr. medic., sowie auch von andern Seiten habe ich
gehört, daß Karl Schimper
fortwährend in Jena sich aufhält, wo seine Vorträge
großen Beifall finden, so daß er denselben Vortrag gewöhnlich in
verschiedenen Kreisen wiederholt. Es freut mich sehr, daß er auf diese Weise
aus seiner Zurückgezogenheit hervorgetreten ist, und ich wünsche nur, daß er
an solche Wirksamkeit auch durch äußere Stellung gebunden wäre. Es schien
einige Zeit als sollte Schleiden nach München berufen werden und ich hoffte, daß Schimper dann in Jena an seine Stelle käme; aber dem
scheint nicht so. Wie es mit der Besetzung der Stellen in Heidelberg und Freiburg steht, weiß ich
eigentlich nicht. Für Heidelberg hat die Universität schon längst Mohl vorgeschlagen; allein die Regierung
scheint Bedenken zu haben, da sie, wie ich von Mohl selbst weiß, noch keine Anfrage an ihn gestellt hat.
Nägeli’s Abgang nach
Zürich hat sich erst vor
kurzem definitiv entschieden; ob dort Hoffnung für Schimper ist, weiß ich nicht.
Die Stelle in Prag, von der Du in
Deinem Briefe schreibst, würde ich ihm aber vor allen andern wünschen, da
mir Schimpers ganze Art
und Weise einer Stellung besonders angemessen scheint, in welcher er die
Studierenden nicht sowohl für ein einzelnes Fach zuzuschulen als im
Allgemeinen einer richtigen Beurtheilung aller naturhistorischen Disciplinen
zuzuführen, den innern Zusammenhang der Fächer anschaulich zu machen einen
guten, über die modernen Einseitigkeiten erhebenden Geist ihnen
einzupflanzen den Beruf hätte.“
„Daß Schimper dazu wie vielleicht
kein Anderer, den inneren Beruf und die äußere Befähigung hat, werden ihm
alle diejenigen zugestehen, die ihn näher kennen und Vorträge bei ihm gehört
haben und deren sind Viele, die ihm Viel verdanken.“
An einer noch
früheren Stelle des Briefes sagt Prof.
Braun:
„Von Karl
Schimper weiß ich Dir keine neuesten Nachrichten zu geben.
Nach der Naturforscherversammlung in Göttingen, wo
ich seine schriftlich eingesendeten morphologischen Mittheilungen vortrug,
habe ich noch einige Briefe mit ihm gewechselt, die hauptsächlich die bei
Weimar von ihm aufgefundenen
fossilen Charen betrafen, von denen er mir eine ganze Kiste voll der
schönsten Exemplare gesandt hat.“