Peter Mischler an Leo Thun
Prag, 25. Februar 1855
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Regest

Der Professor für politische Ökonomie Peter Mischler bittet Leo Thun um die Erlaubnis, die Weltausstellung in Paris besuchen zu dürfen. Die Erlaubnis zur Reise vorausgesetzt, bittet er außerdem um ein Reisestipendium. Mischler betont die Wichtigkeit seines Vorhabens und erklärt, dass er von einem Besuch der Weltausstellung enorm für sein Fach – die politische Ökonomie – profitieren könne. Auf seinen zahlreichen Reisen habe er stets mehr gelernt als durch umfangreiches Studium alter Bücher. Zudem wäre es auf der Weltausstellung möglich, mehrere Nationen und deren ökonomische Entwicklung zu vergleichen. Das Wissen, das er sich in Paris aneignen könnte, würde er an seine Studenten weitergeben und in Büchern verbreiten, und damit auch den Wohlstand in Österreich mehren. Seine Bitte um ein Reisestipendium untermauert er außerdem durch den Hinweis, dass auch andere europäische Regierungen Emissäre und Wissenschaftler zur Weltausstellung schickten.

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Schlagworte

Edierter Text

Excellenz!

Das Interesse der Wissenschaft, die mir über Alles gehende Rücksicht auf die möglichst vollständige Erfüllung meiner Lehrpflichten, aber auch die Liebe zu dem Lande meiner Wirksamkeit ist es, was mich bewegt, Euer Excellenz meine un[ter]thänigste Bitte ehrfurchtvollst vorzutragen.
Die demnächst in Paris zur Eröffnung kommende Industrieausstellung bietet dem Forscher im Fache der politischen Öconomie ein überaus fruchtbares Feld für Anschauungen, Ideen, Erfahrungen, eine Fundgrube von wichtigen Thatsachen und Belehrungen, wie sie in Büchern kaum geboten wird. Zugleich öffnet sie dem Lehrer des Faches der politischen Öconomie, der zu beobachten und zu sammeln weiß, ein überaus reiches Feld für Erfahrungen, die in den academischen Vortrag eingewoben, eben sowohl zur Erläuterung der theoretischen Sätze, als zur Anregung und Aneiferung zum weiteren Nachdenken bei dem fleißigen Hörer, als auch zum Selbstbeobachten führen. Was sich durch mühevolle Reisen in die verschiedenen Industriebezirke verschiedener Länder nur nach und nach abstrahiren, beobachten und combiniren läßt, das findet der Forscher und Lehrer im Fache der politischen Öconomie in der lehrreichsten Nebeneinanderstellung zu Paris.
Das Studium der öconomischen Verhältnisse des Kaiserstaates, der in seinen verschiedenen Gliedern ein höchst zusammengesetztes Gemälde von wirthschaftlichen Entwicklungsstufen darbietet, ist ferner dem beobachtenden Lehrer der politischen Öconomie nicht leicht. Drei große Reisen in der Monarchie haben meine Sachkenntnis rascher gefördert, als langes Studium älterer und neuerer Werke, mich aber auch in die Lage gesetzt, dem academischen Vortrage immer zuerst belehrende Beispiele aus den Verhältnissen des Kaiserstaates einzuflechten, und an diese dann Parallelbeispiele aus den öconomischen Zuständen des Zollvereins Belgiens, Englands usw., die ich zu beobachten Gelegenheit hatte, anzuschließen. Aber – Excellenz – es ist sehr schwer, Oesterreich und seinen Gewerbfleiß, seine natürlichen Reichthumsquellen, seine großen Vorzüge in vielen Industriezweigen und die Ausdehnungsfähigkeit vieler seiner Erwerbszweige durch Beobachtungen und Studien auf Reisen und durch sorgfältiges Studium einschlagender Werke so scharf und tief kennen zu lernen, wie es auf einer Ausstellung von Gewerbserzeugnissen geschehen kann, die jedenfalls weitaus bedeutender wird, als die Münchener Industrieausstellung. Ich bin nach München geeilt, aus Liebe zur Wissenschaft und zum Lande meiner Wirksamkeit, viel – sehr viel – Euer Excellenz – habe ich gelernt. Ja, was in keinem Buche zu finden war, die Entwicklung der Weberei, Spinnerei, der Seidenindustrie, der Porcellanmanufacturen usw. usw. hat die Welt in München gesehen, habe auch ich in München bewiesen gefunden. Oesterreich wurde in diesen Industriezweigen, wie in so manchen andern nicht allein nicht übertroffen, nein, nicht erreicht. Die Früchte dieser Anschauungen kommen meinem unvergleichlich fleißigen Zuhörerkreise zu Gute, werden aber auch in einem Werke über Wohlstandswissenschaft, das mich beschäftigt, angewendet. Noch mehr, wie in München, wird der Gewerbfleiß unseres schönen Landes in Paris umfassend studirt werden können, schon deßwegen, weil Oesterreich in größerer Manchfaltigkeit seiner Erzeugnisse repräsentirt sein wird. Diese günstige Gelegenheit, weitreichende und tiefgehende Studien zu machen, darf ich nicht versäumen, ich bin es meiner Pflicht als Professor, den Anforderungen der Wissenschaft, den Erwartungen der erleuchteten Regierung schuldig, die wissenschaftlichen Geist überall weckt und belohnt, ich bin es dem Lande meiner Wirksamkeit und meinem erhabenen Monarchen schuldig.
Excellenz wollen geruhen anzuhören, daß das Studium der Londoner Industrieausstellung (1851) mich in meinen wissenschaftlichen Streben außerordentlich gefördert. In München habe ich viele Beobachtungen gemacht und sie auf meine Reise über Salzburg usw., besonders aber auf einer volkswirthschaftlichen Durchforschung Mährens und Böhmens berichtigt, erweitert und fortgesetzt.
In meiner früheren Stellung als Privatdocent der politischen Öconomie in Freiburg bot mir die Großherzogliche Badische Regierung bereitwillig die Mittel, damit ich die Londoner Industrieausstellung zum Zwecke der Wissenschaft besuchen konnte. Jetzt, bin ich nicht in der Lage, die Reise nach Paris vorzunehmen und die Kosten des Aufenthaltes zu bestreiten. Die Reise nach München hat meine Zahlmittel gänzlich erschöpft. Ohne eine Reiseunterstützung von Seiten der k.k. hohen Regierung werde ich nicht in der Lage sein, die Pariser Industrieausstellung zum Zwecke der Wissenschaft zu besuchen.
Eine ausführliche Arbeit über die Ursache der Preissteigerung der Nahrungsmittel in Böhmen, die ich im Auftrage Seiner Excellenz des Herrn Statthalters von Böhmen im Laufe dieses Winters auszuführen hatte, führte mich nicht allein in das Innerste des böhmischen Volkslebens, sondern gab mir auch eine Reihenfolge von Problemen, die ich als Gegenstand meiner Reise nach Frankreich aufsparen werde, um sie durch sorgfältige Beobachtungen ihrer Lösung näher zu bringen. Dies, Euer Excellenz, veranlaßt mich zu der unterthänigsten Bitte, Euer Excellenz wollen geruhen, mir für den Besuch der Pariser Industrieausstellung zu wissenschaftlichen Zwecken eine Reiseunterstützung gnädigst bestimmen zu wollen.
Gewiß wird die k.k. Regierung in Anbetracht der Wichtigkeit der Pariser Ausstellung dem Professor der politischen Öconomie, den so gewichtige Rücksichten zur wissenschaftlichen Ausbreitung der Ausstellung veranlassen, Mittel zuwenden, um ihn in die Lage zu setzen, seine Studien zu machen. Besäße ich, Euer Excellenz, die Mittel, nimmer hätte ich um eine Reiseunterstützung gebeten. Gewiß wird auch die französische Regierung den in den Provinzen wirkenden Nationalöconomen Reisemittel bieten, wie sie es 1851 gethan, in welchem Jahre auch viele Professoren an deutschen Universitäten in die Lage gesetzt wurden, London zu besuchen. Auch in München waren viele Professoren als Commissaire ihrer Regierungen thätig.
Genehmigen Euer Excellenz die Versicherung allerhöchster Ehrfurcht und Ergebenheit

Euer Excellenz allerunterthänigster
Dr. Mischler
k.k. Prof. der politischen Öconomie

Prag, 25. Februar 1855