Der Philologe und leitende Redakteur der Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien Hermann Bonitz rechtfertigt gegenüber Leo Thun sein Handeln in der Angelegenheit der Rezension des Schulbuches der lateinischen Elementargrammatik für die ersten beiden Gymnasialklassen von Stephan Wolf. Die Rezension hatte für einigen Unmut gesorgt, weil der Rezensent, Carl Reichel, das Buch als nur bedingt empfehlenswert für den Unterricht an den Untergymnasien bezeichnet hatte, zur selben Zeit das Buch aber vom Ministerium offiziell als Schulbuch zugelassen worden war. Bonitz schildert daher sein Vorgehen in diesem Fall: Schulrat Andreas Wilhelm hatte zunächst der Gymnasialzeitschrift eine Rezension des Buches zugesandt, worin dieser das Buch zur Einführung unbedingt empfahl, obschon es aus der Sicht von Bonitz einige Mängel aufwies und es zudem nicht – so wie es die gesetzliche Vorgabe verlangte – für alle vier Klassen des Untergymnasiums ausgelegt war. Bonitz machte Wilhelm darauf aufmerksam und bat ihn, die Rezension zu ändern und auf die Abweichung von der gesetzlichen Vorgabe hinzuweisen. Wilhelm tat dies nicht und zog stattdessen die Rezension zurück. Die Redaktion beauftragte daher Carl Reichel mit der Abfassung einer Rezension, die dann bekanntlich in besagtem Widerspruch zur offiziellen Empfehlung des Buches durch das Unterrichtsministerium stand. Bonitz verteidigt sein Vorgehen und betont, dass die Gymnasialzeitschrift stets versuche, den Zwecken der Gymnasien und dem Ministerium gleichermaßen zu dienen. Er betont, dass sich die Redaktion stets an die gesetzlichen Vorgaben halte und Kritik in Rezensionen immer genau geprüft werde. Die Zeitschrift habe sich dadurch bereits große Anerkennung erworben, die nun durch diese Affäre nicht beschädigt werden dürfe. Bonitz hofft, dass Thun dies anerkenne. Er schlägt außerdem vor, das Buch neuerlich durch einen Fachmann prüfen zu lassen.
Euere Excellenz!
Am vorigen Samstage erlaubte ich mir, die Aufmerksamkeit Euerer Excellenz auf den
entschiedenen Gegensatz zu lenken, der zwischen der Recension der
österreichischen Gymnasialzeitschrift über „St[ephan] Wolf’s Lateinische
Elementargrammatik für die 1. und 2. Classe etc.“1 und dem gleichzeitig mit derselben erflossenen
hohen Minsterialerlaß über dieses Buch bestehe. Gestatten Euere Excellenz, daß
ich über diesen Gegenstand die Thatachen nochmals in möglichster Kürze vortrage
und daran eine unterthänigste Bitte anschließe.
Am nächsten Tage, nach dem
mir durch den Verfasser selbst ein Exemplar der fraglichen Grammatik zugegangen
war, erhielt ich von Hrn. Schulrath Wilhelm in Krakau eine Recension des
Buches zum Abdrucke in der Gymnasialzeitschrift zugesendet. In Folge dieser sehr
lobenden, das Buch zur Einführung lebhaft empfehlenden Anzeige sah ich selbst
die „Elementargrammatik“ durch und bemerkte, daß sie in sehr vielen Puncten
durch Mangel an Bestimmtheit und durch ausdrückliche Fehler einen Tadel
verdiene, den verschweigen zu wollen mit dem Berufe einer gewissenhaft
kritischen Zeitschrift unvereinbar ist. Deshalb schrieb ich einige der sich
aufdrängenden Bemerkungen auf und schickte sie an Schulrath Wilhelm, indem ich ihn ersuchte, dieselben
durchzusehen, und ihm anheimstellte, sie für eine Umarbeitung seiner Anzeige zu
benützen. Schulrath Wilhelm nahm in
die unverzüglich gemachte Umarbeitung seiner Anzeige den größten Theil der von
mir mitgeheilten Bemerkungen auf, gelangte aber dennoch zu demselben Schluße
angelegentlicher Empfehlung. Hierdurch sah ich mich genöthigt, den Hrn. Schulrath schließlich darauf
aufmerksam zu machen, daß die ganze Einrichtung des fraglichen Buches mit einer
in gesetzlicher Kraft stehenden allgemeinen Anordnung sich in Widerspruch
befinde. In der hohen Ministerialverordnung vom 10. Juni 1854 (Zeitschrift 1854.
S. 5672) heiße
es wörtlich:
„Wenn im Untergymnasium eine bestimmte lateinische oder
griechische Sprachlehre einmal gewählt ist, so darf diese für dieselben Schüler
bis zum Schluße des Untergymnasiums nicht mehr gewechselt werden.“
Eine
Grammatik, deren Einrichtung es für jeden Schüler zur Nothwendigkeit mache, mit
dem Eintritte in die dritte Classe sich an eine andere
Grammatik zu gewöhnen, verstoße offenbar gegen Sinn und Wortlaut dieses hohen
Erlaßes. Ich hielte meinerseits die angezogene Verordnung für unbedingt richtig
und wüßte, daß ich für diese Überzeugung die Zustimmung der tüchtigsten
Schulmänner habe. Aber selbst wenn die fragliche Anordnung
unzweckmäßig wäre, so fordere die Achtung vor dem Gesetze, sie so lange
aufrichtig und gewissenhaft zu halten, bis sie aufgehoben sei. Unter diesen
Umständen stelle ich ihm anheim, ob er in seiner Anzeige den Passus, der eine
unbedingte Empfehlung des Buches enthalte, in dem Sinne modificiren wolle: „er
würde das Buch für empfehlenswerth erklären, wenn nicht die
Bestimmungen des Erlaßes vom 10. Juni 1854 etc. entgegenstünden“. Wenn er auf
eine derartige Modification nicht eingehe, würde sich die Redaction für verpflichtet halten, ihrerseits in einer Anmerkung
auf den Widerspruch zwischen der Einrichtung des Buches und der bestehenden
Verordnung hinzuweisen.
Die Antwort auf diesen Brief, deren möglichste
Beschleunigung ich erbeten hatte, um den Abdruck der Anzeige nicht zu verzögern,
erfolgte auf Anlaß einer Inspectionsreise des Hrn. Schulrathes erst spät und lautete kurz dahin, daß derselbe
seine Anzeige zurückzog und ihre Rücksendung verlangte. Die Redaction war dadurch genöthigt, sich nunmehr an einen anderen
Mitarbeiter zu wenden (Prof. Dr. Reichel), der mit Sorgfalt und Sachkenntnis das Buch angezeigt hat.
Unmittelbar nach dem Erscheinen dieser Anzeige schrieb mir Schulrath Wilhelm, daß ihm gleichzeitig
Entgegengesetztes, die tadelnde Anzeige in der Gymnasialzeitschrift und der hohe
Ministerialerlaß über Zulassung des Buches zugegangen sei; dem Inhalte des
Erlaßes stimme er großentheils bei, der Anzeige in der Gymnasialzeitschrift
durchaus nicht, und er finde vielleicht im Laufe der Ferien „Zeit seine
Ansichten darüber niederzuschreiben“. Ich erwiderte umgehend (11. Juli laufenden
Jahres), daß die Mittheilung derselben sehr erwünscht sein und sie sogleich in
der Gymnasialzeitschrift Aufnahme finden würden. Hr. Schulrath Wilhelm hat aber nichts eingesendet;
dagegen höre ich, daß derselbe unter den Lehrern des Krakauer Gymnasiums eine schriftliche Entgegnung gegen die in
der Gymnasialzeitschrift erschienene Recension hat circuliren lassen; die sich
darbietende Gelegenheit, diesen Punct zu constatiren, habe ich absichtlich
unbenützt gelassen, denn es würde mir leid thun, wenn ich dessen ganz gewiß
werden müßte, daß Schulrath Wilhelm
die amtliche Autorität in einem Falle hätte eintreten lassen, wo gegen Gründe
nur Gründe aus der Sache zu stellen sind.
Dies ist die wahrheitsgetreue
Angabe der Thatsachen, wenn Euere Excellenz von einem „Conflicte“ gehört haben,
in den ich mit Schulrath Wilhelm
gekommen sei, so wollen Hochdieselben gütigst selbst ermessen, ob mein
achtungsvollstes Benehmen gegen Schulrath Wilhelm durch irgend etwas anderes begränzt worden ist, als
durch die Pflicht, die ich mit der Redaction der Zeitschrift übernommen habe.
Aber abgesehen von dieser persönlichen Beziehung zwingt mich die Sache selbst,
daß ich es wage an Euere Excellenz eine ehrerbietigste Bitte zu richten.
Die
österreichische Gymnasialzeitschrift hat sich – nicht mühelos – die Anerkennung
gewissenhafter Gründlichkeit bei geachteten Schulmännern innerhalb und außerhalb
Österreichs erworben; so vollständig
ich mir bewußt bin, daß die österreichische Zeitschrift in manchen andern
Puncten (Umfang, Mannigfaltigkeit der Gegenstände u. a.) einzelnen deutschen
Journalen dieser Art noch nachsteht, so darf ich doch versichern, daß in der
bezeichneten Hinsicht, namentlich wo es Schulbücher betrifft,
die österreichische Gymnasialzeitschrift den Vergleich mit keinem der
betreffenden verwandten Journale zu scheuen braucht und kann dies an evidenten
Beispielen nachweisen. Daß in dem gegenwärtigen Falle der Widerspruch zwischen
dem Urtheile der Zeitschrift und dem des hohen Ministeriums
die Achtung der Zeitschrift gefährde, darf ich wohl kaum besorgen, da der in der
Zeitschrift ruhig dargelegte Tadel auf das genaueste begründet ist.
Aber von
entscheidender Wichtigkeit für mich ist es, ob Euere Excellenz, deren hohes
Vertrauen mich mit der Redaction beauftragt hat, von der strengen
Gewissenhaftigkeit des Verfahrens der Redaction auch im vorliegenden Falle
überzeugt sind. Bei dem in der Zeitschrift enthaltenen vorwerfenden Urtheile
über das gleichzeitig durch hohen Ministerialerlaß gebilligte Schulbuch kommt es
im Wesentlichen auf zwei Puncte an
1. Widerspruch der Einrichtung des
fraglichen Buches gegen eine bestehende Verordnung.
In dieser Hinsicht
erlaube ich mir nur die unterthänigste Bitte, Euere Excellenz wollen selbst den Wortlaut der angezogenen Verordnung mit dem
Abschnitte der Anzeige S. 529, 530 im beiliegenden Hefte vergleichen und
entscheiden, ob die Zeitschrift irgend etwas anderes als Achtung vor der
bestehenden gesetzlichen Ordnung bekundet hat.
2. Nachweisung von Mängeln in
der Ausführung, welche selbst abgesehen von der Einrichtung des Ganzen, dem
Buche, besonders gegenüber vorhandenen besseren, die Brauchbarkeit für die
Schule benehmen.
In dieser Hinsicht wage ich die ehrerbietigste und
angelegentlichste Bitte, Euere Excellenz wollen von einem anerkannten Fachmanne ein Urtheil über den Werth des Buches geben
lassen – ich erlaube mir z. B. zu nennen die Professoren
Vahlen
,
Hoffmann
,
Hochegger
,
Schenkl
,
Kergel
. Daß ich
meinerseits keinen dieser Männer um die Beurtheilung bitten durfte, werden Euere
Excellenz sich daraus erklären, daß ich deren Bethätigung an der Zeitschrift mir
muß für schwierigere Gegenstände vorzubehalten suchen. Dagegen müßte ich
ehrfurchtsvoll bitten, selbst einen Mann, wie den von mir sonst hochgeachteten
Schulrath Wilhelm, in dieser Hinsicht
nicht zur Beurtheilung aufgefordert zu sehen; ich habe gerade in dem
vorliegenden Falle die Erfahrung des Übersehens oder Verkennens starker Mängel
machen müssen.
Euere Excellenz wollen huldvollst verzeihen, daß ich mit
einer widerwärtigen Sache belästige, die übrigens geringfügig scheint.
Geringfügig ist allerdings der Anlaß, aber wichtig ist mir und muß mir sein, die
Frage, um die es sich handelt, nämlich über die strenge Gewissenhaftigkeit und
Vertrauenswürdigkeit meines Verfahrens in der mir anvertrauten
Redaction.
Genehmigen Euere Excellenz den wiederholten Ausdruck meiner
vollkommensten Ehrerbietung
Euerer Excellenz
unterthänigster
H. Bonitz
Wien, 19. October 1859