Julius Ficker an Leo Thun
Innsbruck, 25. März 1855
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Regest

Der Historiker Julius Ficker kommt einer Bitte Leo Thuns nach, ihm einige tüchtige, katholische Lehrer zu nennen, die bereit wären, eine Stelle an einem österreichischen Gymnasium anzunehmen. Ficker hat sich bei seinem Freund Christoph Bernhard Schlüter in Münster informiert. Dieser hat ihm insgesamt fünf mögliche Kandidaten genannt, die Ficker dem Minister nun weiterempfiehlt, indem er jeweils einige Angaben zu den einzelnen Lehrern macht. Ficker bietet sich auch an, weitere Erkundigungen über einzelne Kandidaten einzuholen oder weiterhin zu vermitteln. Er erwartet außerdem noch Nachrichten aus Bonn.
Im zweiten Teil des Briefes teilt Ficker dem Minister mit, dass er die Besprechung des zweiten Bandes des Geschichtsbuches von Bumüller gerne übernimmt. Wenn es gewünscht wird, will er auch den ersten Band rezensieren. Ficker gibt aber zu Bedenken, dass er für Besprechung des ersten Bandes zur Alten Geschichte weniger geeignet sei. Ficker schreibt außerdem, dass er beide bisher nur oberflächlich durchgesehen habe und einstweilen nur bemerken könne, dass im Allgemeinen die Anordnung des Stoffes gelungen erscheint. Er bemängelt jedoch, dass Bumüller die Heilige Schrift allzu sehr als geschichtliche Quelle darstelle.

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Edierter Text

Innsbruck 1855 März 25

Euer Exzellenz!

Wie ich Euer Exzellenz bereits in meinem Schreiben vom 8. des Monats1 mitzutheilen die Ehre hatte, erlaube ich mir in Folge der gnädigen Anfrage vom 4. des Monats2 katholische Kandidaten der Philologie aus Rheinland und Westfalen betreffend, deshalb an bewährte Freunde zu Bonn und Münster zu schreiben, um so nähere Auskunft geben zu können. Ich glaubte zugleich gegen die Absichten Euer Exzellenz nicht zu verstoßen, wenn ich sie um Zeitverlust zu vermeiden, bat, für den Fall, daß ihnen geeignete Kandidaten bekannt seien, sich unter der Hand bei diesen zu erkundigen, ob sie eintretenden Falles geneigt seien, unter den von Euer Exzellenz näher bezeichneten Bedingungen eine Lehrstelle in Oesterreich zu übernehmen.
Von Münster kommt mir so eben Antwort zu und ich beeile mich, Euer Exzellenz darüber Mittheilung zu machen.
Mein Gewährsmann ist der Dr. Schlüter, Professor der Philosophie an der Academie zu Münster, von dessen Zuverlässlichkeit ich vollkommen überzeugt bin und von dem ich insbesondere weiß, das er die Neugestaltung des österreichischen Unterrichtswesens mit dem lebhaftesten Interesse verfolgt. Ich glaubte, mich in dieser Angelegenheit auch deshalb vorzugsweise an ihn wenden zu dürfen, da er einerseits selbst als tüchtiger Philologe bekannt ist, wenn ihn gleich seine gänzliche Erblindung hinderte, sich der Philologie als Lehrfach zu widmen, und da er andererseits mit einer größeren Anzahl von Studierenden persönlich bekannt zu sein pflegt, als ein anderer der dortigen Professoren.
Er hat mir nun mehrere katholische Kandidaten oder Studierende der Philologie genannt, die ihm persönlich bekannt sind, die er, was wissenschaftliche Befähigung wie Tüchtigkeit des Charakters betrifft, empfehlen kann, und die nicht abgeneigt sein würden, sich um eine Lehrstelle in Oesterreich unter den angegebenen Bedingungen zu bewerben. Ich erlaube mir, sie nebst einigen Notizen, die er mir über dieselben mittheilt, hier namhaft zu machen:
1. Dr. Tücking, Münsterländer, hat bereits sein Oberlehrerexamen zu Münster abgelegt und an dem dortigen Gymnasium sein Probejahr abgehalten.
2. Dr. Borowsky, aus der Nähe von Braunsberg in Preußen, hat drei Jahre in Königsberg und ein Jahr in Bonn studiert, fleißig Lateinisch und Griechisch, dann aber auch mit Vorliebe altdeutsche Studien getrieben. Er denkt sein Oberlehrerexamen im kommenden Mai in Münster zu machen, wäre aber auch bereit, sich demselben vor einer österreichischen Kommission zu unterziehen.
3. Stud. Heinrich Frenk aus Coesfeld im Münsterlande, war drei Jahre überhaupt Mitglied und zwei Jahre ordentliches Mitglied des philologischen Seminars zu Münster, sehr tüchtig im Lateinischen und Griechischen, gewandt im Lateinsprechen; er versteht außerdem sehr gut Französisch, Englisch und Italienisch und war dem erblindeten Prof. Schlüter der ihn sehr empfiehlt, seit drei Jahren bei dessen Studien behülflich. Er denkt im kommenden Sommer das Oberlehrerexamen in Münster zu machen, wäre eventuell auch bereit, es in Österreich zu machen.
4. Stud. Jos. Schlüter. Sohn des Gymnasialdirektor zu Coesfeld, war seit 1 1/2 Jahren Mitglied des philologischen Seminars und zwar ein Jahr ordentliches Mitglied, tüchtig in der Philologie, spricht fertig Latein, ist auch in neueren Sprachen wohlbewandert. Er wäre eventuell bereit, sich dem Examen in Österreich zu unterziehen, würde es aber vorziehen, sein Triennium zu vollenden und zu Münster das Oberlehrerexamen zu machen, womit er bis zum Herbste fertig sein würde.
5. Stud. Niehus zu Greven im Münsterlande, seit einem Jahre im philologischen Seminar zu Münster, seit einem halben Jahre ordentliches Mitglied desselben, ein tüchtiger Philologe, der sich immer in seinen Studien ausgezeichnet hat. Er wäre bereit, sich einer Prüfung in Österreich zu unterziehen.
Sollten nun Euer Exzellenz auf diese Mittheilung und Empfehlung hin geneigt sein, auf einen oder anderen der Genannten bei der Verleihung von Lehrerstellen Rücksicht zu nehmen, so würde ich, falls Euer Exzellenz nicht bessere Wege zu Gebote stehen, mit Freuden bereit sein, in dieser Angelegenheit Euer Exzellenz weiter dienen zu können. Sollten Euer Exzellenz es wünschen, so könnte ich noch weitere Erkundigungen einziehen, obwohl ich in meiner Vaterstadt kaum eine zuverlässige Empfehlung wüßte, als die des genannten Prof. Schlüter, ich könnte auch einen oder alle Genannten veranlassen, ihre Zeugnisse und etwaigen weiteren Empfehlungen nach Wien einzusenden, wozu ich mich natürlich ohne den Befehl Euer Exzellenz nicht bevollmächtigt halten dürfte.
Von Bonn ist mir noch keine Antwort zugekommen. Im ganzen glaube ich kaum, daß die im Seminar zu Münster gebildeten Philologen den Bonnern nachstehen dürften.
Der hohe Auftrag einer Begutachtung des zweiten Theiles von Bumüllers Lesebuch, den Euer Exzellenz in deren gnädigen Schreiben vom 19. des Monats3 mir in Aussicht stellten, ist mir heute zugekommen und denke ich demselben so gewissenhaft und schnell als möglich zu entsprechen.
Von der Redaction der Gymnasialzeitschrift ist mir bis jetzt noch keine Aufforderung zur Besprechung des ersten Theiles desselben Werkes zugekommen. Sollte eine solche noch erfolgen, so würde ich es versuchen, dem gnädigen Wunsche Euer Exzellenz und dem in mich gesetzten Vertrauen nach Kräften zu entsprechen, wenngleich ich es ohne diese besondere Veranlassung wohl schwerlich wagen dürfte, öffentlich über ein Werk zu urtheilen, für das ich mich, abgesehen von allen anderweitigen Bedenken, kaum als kompetenter Richter ansehen kann, da mir zur Beurtheilung des Zweckmäßigkeit der Auswahl und Anordnung des Stoffes der richtige Maßstab fehlt, den wohl nur derjenige anzulegen vollkommen befugt wäre, der durch eigenen Unterricht im Untergymnasium Gelegenheit hatte, über die der Fassungskraft der jüngeren Schüler entsprechende Methode umfassendere Erfahrung zu sammeln.
Bei dem Interesse, das Euer Exzellenz diesem Werke zuwenden, darf ich mir wohl erlauben, einige vorläufige Bemerkungen über dasselbe hinzuzufügen, die sich aber, da ich noch durch das gnädige Schreiben Euer Exzellenz auf diese Arbeit des Verfassers aufmerksam wurde, lediglich auf eine flüchtige Durchsicht desselben, eine oberflächliche Vergleichung mit den entsprechenden Werke von Pütz 4 und die genauere Einsicht einiger weniger Partien stützen, so daß ich nicht verbürgen kann, ob nicht eine genauere Prüfung des Ganzen sie vielleicht modifizieren dürfte. Es lassen sich, was den wissenschaftlichen Inhalt betrifft, einzelne Einwände erheben, aber doch wohl so weit ich bis jetzt gesehen, keine von solchem Gewichte, daß sie dem Werthe des ganzen bedeutenden Eintrag thuen könnten. Daß viele Partien der alten Geschichte nicht nach den, oft nach schwankenden Resultaten der neueren Forschung, sondern nach der Auffassung der alten selbst dargestellt werden, ist ohne Zweifel dem Standpunkte des Untergymnasiums durchaus angemessen. Ein Vorwiegen der religiösen Auffassung ist mir im größten Theile des Buches nicht aufgefallen, die geringe Berücksichtigung der Anfänge des Christenthums würde sogar als Mangel erscheinen dürfen, wenn dabei nicht von der Voraussetzung ausgegangen wäre, daß bei dem Religionsunterrichte darauf Rücksicht genommen würde. Dagegen scheint es mir allerdings, daß in der ältesten Geschichte einzelne feststehende Resultate der neueren Forschung, z.B das hohe Alterthum der egyptischen Monumente, absichtlich umgangen sind, weil sie der Heiligen Schrift widersprechen oder zu widersprechen scheinen, so sehr sich durch alle neuesten Forschungen die Heilige Schrift als glaubhafteste Geschichtsquelle erweist, so scheint es mir doch gefährlich für das Ansehen der in ihre enthaltenen göttlichen Offenbarung von vornherein für ihren rein historischen Theil gleiches Ansehen in Anspruch zu nehmen, daß es nicht zu vermeiden ist, daß der Schüler zuweilen auf Widersprüche mit anderen Geschichtsquellen stoßen wird, die der Lehrer vielleicht nicht immer sogleich genügend wird lösen können. Doch scheint auch der Verfasser dieses nicht ganz unberücksichtigt gelassen zu haben. Die Art der Vorstellung des geografischen Theils in beiden Werken hätte ich allerdings einige erhebliche Einwände. Im ganzen würde mein Urtheil über das Werk doch kaum ein sehr ungünstiges sein können, so wenig ich mir übrigens darüber ein maßgebendes Urtheil zutrauen möchte.
Mit größter Hochachtung und Ergebenheit

Euer Exzellenz
ganz gehorsamster Dr. Ficker.