Gottfried Mayr an Leo Thun
Pressburg [Bratislava], 8. April 1853
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Regest

Der Schulrat Eduard Mayr sendet Leo Thun einen Bericht über das Gymnasium in Pressburg. Zunächst äußert er sich lobend über die grundsätzliche Situation am dortigen Gymnasium: der Schulbetrieb verlaufe vorbildlich und die Schüler seien fleißig. Er erklärt, dass die Schülerzahlen zwar seit der Reorganisation ein wenig gesunken seien, der Grund hierfür liege jedoch lediglich darin, dass an dem Gymnasium nun höhere Anforderungen an die Schüler gestellt würden als an anderen Gymnasien. Anschließend äußert sich Mayr über die Lehrer des Gymnasiums und betont, dass die Wahl von guten Lehrern das entscheidende Kriterium für den Erfolg eines Gymnasiums sei. Mayr bemerkt dann jedoch, dass er lediglich mit der Hälfte der ordentlichen Lehrer am Pressburger Gymnasium zufrieden sei, die Leistung der anderen Hälfte lasse hingegen vielfach zu wünschen übrig. Als besonders ungeeignet nennt er den Lehrer Ignaz Hönig, dem es an Geist und wissenschaftlicher Bildung fehle und dessen Versetzung Mayr empfiehlt. In der Folge äußert er sich lobend über den Direktor der Anstalt, Anton Wolf. Mayr betont, dass die gute Amtsführung des Direktors wesentlich zum Erfolg des Gymnasiums beitrage. Daher fände Mayr es auch schade, wenn Wolf – wie erwogen worden ist – an das Theresianum versetzt werden würde. Mayr hofft, dass in Zukunft bessere Lehrer berufen werden. Davon würde auch der Ruf der Schule profitieren, der derzeit nicht der beste sei und daher auch die jetzigen Lehrer oftmals entmutige.

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Schlagworte

Edierter Text

Euer Excellenz!

Gestatten Euer Excellenz gnädigst, daß ich auf außerordentlichem Wege eine unbefangene Darstellung der hiesigen Gymnasialzustände der hohen Einsicht Euer Excellenz ergebenst unterbreite. Der Zustand des hiesigen Gymnasiums ist seiner äußern Erscheinung nach ein vollkommen befriedigender zu nennen. Alle Lehrer ohne Ausnahme sind eifrig und pünktlich in der Erfüllung ihrer Pflichten und das ganze Getriebe des Unterrichts bewegt sich mit vollkommener Regelmäßigkeit. Die Schulzucht ist eine so lobenswerthe, daß die Aufrechterhaltung derselben mit geringer Anstrengung erzielt wird. Nationale Überhebungen oder politische Partheinehmungen wurden bisher an der Schule nicht beobachtet. Die Frequenz des Gymnasiums ist seit der Reorganisation desselben in Abnahme, unter den Ursachen, die darauf hinwirken, ist zuverläßig eine nicht der letzten, daß die Anforderung an die Schüler hier höher gestellt ist und strenger eingehalten wird, als dies an andern Gymnasien bisher der Fall war. Der Erfolg des Unterrichts ist mit Rücksicht auf die noch nicht überwundene Übergangsperiode und die hiesigen Verhältnisse überhaupt ein befriedigender, auch ist die innere Fortbildung des Gymnasiums zu einer höhern wissenschaftlichen Stufe im Ganzen ersichtlich.
Da die Hauptsache bei einer Lehranstalt immer die Lehrer sind, so will ich eine kurze, möglichst objective Charakteristik derselben zu geben trachten.
Dr. Schmid ist als Mensch, Erzieher und Fachlehrer so ausgezeichnet, daß ich nur höchst Rühmliches von ihm aussagen kann. Bei allseitiger Erwägung seiner Vorzüge und Eigenschaften dürfte er jetzt die erste Zierde unter den Lehrern sein. Dr. Lorinser, ein sehr braver Lehrer, vielleicht etwas gar zu ernst und derb der Jugend gegenüber, in Bezug auf die Collegen reizbar und leicht zu heftig, sein Charakter scheint dabei bieder zu sein. Beide beschäftigen sich emsig in den ihnen angewiesenen Cabineten und legen bei der Instandhaltung derselben einen anerkennenswerthen öconomischen und conservativen Sinn an den Tag. Möchten doch Euer Excellenz sich dadurch bewegen lassen, deren nur auf das rein Unentbehrliche gerichteten Anträge zur Herstellung der Cabinete gnädigst genehmigen und die bereits in Aussicht gestellte nachträgliche Dotirung derselben baldigst bewirken. Dr. Hochegger besitzt ein reiches Wissen und weiß dasselbe sehr glücklich zu benützen. Sein Vortrag über deutsche Literargegenstände ist meisterhaft, lebendig, anziehend und bewegt sich mit bewußter Beherrschung des Stoffes innerhalb der angemessenen Gränzen des Schulunterrichts, gleich Tüchtiges leistet er im Unterrichte aus der classischen Philologie und der Geschichte. Sein eigentlicher Charakter verbirgt sich bisher seiner Umgebung eben sowohl, als mir derselbe nicht klar geworden ist. Hönig fehlt es völlig an wissenschaftlicher Bildung und höherer Geistesrichtung. Seine Geschichtskenntnis beruht nur im Gedächtnis, ist jedoch auch von dieser Seite mangelhaft, und finden seine Leistungen leider schon über die Gränzen der Schule hinaus ungünstige Beurtheilung. Es ist zu besorgen, daß derselbe bei dem Mangel geistiger Anlagen auch späterhin sich nicht zu einem Lehrer des Obergymnasiums heranbilden werde. Seine Anschauungsweise ist durchaus oberflächlich, am Scheine hangend; der Charakter leutselig, selbstzufrieden und wohlhäbig. Stanek ist ohne Geist, eifrig im Unterricht, den er mechanisch auffaßt, seine philologischen Einsichten im Grammatikalischen und Syntaktischen lassen noch vieles zu wünschen übrig. Staneks äußere und allgemeine Bildung ist mangelhaft, sein Charakter noch nicht offen vorliegend. Da Pövetz und Schiller für das nächste Jahr in keinem Falle am Gymnasium fortwirken werden, weil beide bei der Lehramtsprüfung gefallen sind, so übergehe ich deren Schilderung sowie die der beiden Religionslehrer Soltész und Krotky, mit welchen keine Veränderung bevorsteht. Die Supplenten Schopf und Christ haben ihre schriftlichen Arbeiten der Prüfungskommission eingereicht, beide haben sich die Anerkennung der definitiven Professoren zu verschaffen gewußt, und hege ich nicht den geringsten Zweifel, daß beide die mündliche Prüfung gut bestehen werden, ersterer aus Mathematik und deutscher Sprachwissenschaft für das ganze, letzerer aus der classischen Philologie für das Untergymnasium. Beide gehören zu den tüchtigsten Lehrern der Anstalt, für deren Gedeihen es wünschenswerth erscheinen muß, daß sie ihr erhalten bleiben. Director Wolf nimmt seinen schwierigen Posten zu meiner vollen Zufriedenheit ein. Ich bin noch immer der Überzeugung, daß sein Beispiel den gleichförmigen und ruhigen Gang in dem Getriebe mannigfaltiger Kräfte hauptsächlich herbeiführt und durch sein besonnenes, humanes und taktvolles Benehmen den übrigen Lehrern gegenüber deren volle Mitwirkung sicherer erzielt, als durch Schroffheit und Herrschsucht je zu erreichen wäre. Er besitzt Energie des Pflichtgefühls und wissenschaftlichen Geist, Eigenschaften, die das Gedeihen seines Wirkens bedingen und die nicht durch andere aufgewogen werden dürften. Sollten Euer Excellenz denselben, ungeachtet des finanziellen Bedenkens, an das k.k. Theresianum als Lehrer versetzen wollen, so bekenne ich offen, daß ich durch das günstige Zeugnis, welches ich demselben zu geben mich verpflichtet fühle, auf den Entschluß Eurer Excellenz nicht den geringsten Einfluß zu üben wünschte und nur im Interesse des Gymnasiums, welches mir vor allem am Herzen liegt, die Bitte mir erlaube, zu seinem Nachfolger einen als Director bereits bewährten Mann gnädigst ernennen zu wollen. Wären Euer Excellenz nicht in der Lage dieser ergebensten Bitte zu entsprechen und sollte der für diesen Posten bereits voriges Jahre genannte Prof. Auer in Vorschlag kommen, so wage ich es auszusprechen, daß competente Männer in Wien, wie ich in Erfahrung gebracht, seine Befähigung für diesen Posten bezweifeln wollen.
Es ist nicht hohler Ehrgeiz, der mich lebhaft wünschen läßt, daß dieses Gymnasium thatsächlich zu einer Musterschule erblühe. Die Gründe, die dafür gleich anfangs so schwer in die Wagschale fielen, haben seither nichts an Gewicht verloren. Ich gestehe daher offen, daß es mich betrübt hat, daß an die Stelle des Dr. Reichel, welcher für das Obergymnasium die Prüfung mit glänzendem Erfolge bestanden hat, mitten im Schuljahre zu nicht geringem Nachtheile des Unterrichts Dr. Tuschar ernannt wurde, der fürs Untergymnasium kaum geeignet befunden worden ist. Aus dem Gesagten geht hervor, daß von den definitiv angestellten Professoren 3 tüchtige und 3 unter der Mittelmäßigkeit sind, wodurch bei mir die Befürchtung wächst, daß wenn bei den bevorstehenden Ernennungen diese Anstalt nicht besser berücksichtigt würde, diese Schöpfung Eurer Excellenz im vollen Umfange ihrer wichtigen Aufgabe nicht entsprechen werde, zu der sie im Interesse des Staates berufen zu sein scheint. Bei solchen Besorgnissen drängt es mich, Euer Excellenz recht eindringlich zu bitten, durch die Ernennung tüchtiger Männer und Versetzung der minder tauglichen dieses Gymnasium auf diejenige Stufe zu erheben, welche es einnehmen muß, soll es sich gegenüber der katholischen und evangelischen Gymnasien als Musteranstalt behaupten.
Die Ungunst, die das hiesige Gymnasium durch die Ernennung der erwähnten Lehrer erfahren, ist aber nicht der einzige Übelstand, der auf derselben lastet, und ich glaube Euer Excellenz keinen größeren Beweis meiner unbegränzten Verehrung geben zu können, als wenn ich ohne Rückhalt dasjenige ausspreche, was mir als schädlich erscheint. Ich habe es in dieser Beziehung zwar nicht unterlassen, Euer Excellenz bereits im verflossenem Jahre mündlich anzudeuten, daß es mir nicht möglich ist, der Auffassung der Zustände des Gymnasiums völlig beizupflichten, habe indes gehofft, daß die Veränderungen, die inzwischen getroffen wurden, eine Ausgleichung zur Folge haben dürften. Da nun aber die neuangekommenen Lehrer von den frühern Zuständen des Gymnasiums die übelste Meinung von oben mitbrachten und bald einsehen lernten, daß dieselbe auf Übertreibungen beruhe, so mußte eine gedrückte Stimmung davon die natürliche Folge sein, umso mehr als man im Verlauf sich anzunehmen gedrungen sah, daß einzelne Mitglieder des Lehrkörpers an ein hohes Ministerium Mittheilungen gemacht, die nicht unberücksichtigt blieben. Hieraus entstand eine Spannung, die zwar äußerlich das scheinbar gute Einvernehmen der Lehrer meines Wissens nicht bloßstellte, aber ein von gegenseitigem Mißtrauen eingegebenes Benehmen zur Folge hatte. Beide letzteren Umstände haben den Lehrkörper in seiner freudigen Wirksamkeit herabgestimmt, eine Stimmung, der sich der Direktor und selbst der ergebenst Gefertigte umso weniger entziehen konnten, als unter solchen Verhältnissen ihre amtliche Stellung offenbar in gleichem Maße an Bedeutung und Einfluß beeinträchtigt schien. Indem ich auf den Nachtheil von Denunciationen, die von Mitgliedern des Lehrkörpers ausgehen, Euer Excellenz aufmerksam zu machen wage, verwahre ich mich zugleich dagegen, als wollte ich damit gegen jede nichtamtliche Kenntnisnahme Einspruch erheben, da ich doch deren Unentbehrlichkeit im Ganzen zu läugnen durchaus nicht gesonnen bin.
Nach meiner innigsten Überzeugung muß ich die vom Director Wolf unter 18. Feb. letzten Jahres Z. 130 eingereichte Eingabe betreff der neuen Lehrerbestellung für das Gymnasium nicht nur unterstützen, sondern auch das Bedürfnis der Versetzung mindestens von den zwei schwächsten Lehrern Hönig und Dr. Tuschar an ein anderes, minder bedeutendes Gymnasium unverholen auszusprechen, wenn die Besetzung nicht eine lückenhafte und die Lösung der Aufgabe eines Mustergymnasiums beeinträchtigende sein soll.
Sollte es mir gelungen sein, die Aufmerksamkeit Euer Excellenz für das hiesige Gymnasium neu zu beleben, so ist meine Absicht erreicht, und es bleibt mir nur die ergebenste Bitte übrig, Euer Excellenz wollen den Ausdruck meiner unbegränzten Hochachtung und tiefsten Verehrung gnädigst entgegen nehmen.

Euer Excellenz

unterhänigster Diener
Dr. Gottfried Mayr
k.k. pr. Schulrath

Presburg, den 8. April 1853