Friedrich Maassen an Leo Thun
Innsbruck, 12. Januar 1857
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Regest

Der Jurist Friedrich Maassen bittet den Minister um die Ernennung zum Mitglied der Prüfungskommission an der Universität Innsbruck. Maassen rechtfertigt die Bitte damit, dass er mit seinem derzeitigen Einkommen sich und seine Familie kaum ernähren könne und daher auf eine zusätzliche Einkommensquelle angewiesen sei. Als Ursachen für seine finanzielle Not führt er die Kosten seiner Übersiedlung nach Pest und von dort nach Innsbruck sowie die Teuerung in Tirol an. Maassen schlägt daher vor, dass er per Erlass außerordentlich zu den Rigorosen zugezogen werde. Schließlich geht Maassen darauf ein, warum er seit Beginn seiner Anstellung in Österreich noch kein Werk veröffentlich habe. Der Grund hierfür liege darin, dass er an einer umfangreichen Studie über die Wechselwirkungen des kanonischen mit dem bürgerlichen Recht in historischer Perspektive arbeite. Hierfür müsse er Unmengen an Material in verschiedenen Bibliotheken aufarbeiten, da in vielen Bereichen noch jegliche Vorarbeit fehle.

Anmerkungen zum Dokument

Schlagworte

Edierter Text

Eure Excellenz!

Der mit dem 15. kommenden Monats erfolgende Austritt des k.k. Raths Prockner aus dem hiesigen juristischen Professorencollegium scheint mir ein geeigneter Zeitpunkt zu sein, um an Eure Excellenz die ganz gehorsamste Bitte zu richten, gnädigst anordnen zu wollen, daß ich zu einigen Rigorosen der hiesigen juristischen Facultät zugezogen werde.
Wenn ich zu diesem Zwecke nicht den amtlichen Weg beschreite, sondern es wage, mit meiner Bitte mich unmittelbar an die Person Eurer Excellenz Selbst zu wenden, so dürfte dies in dem Umstande einige Entschuldigung finden, daß ich für die Motivirung dieser Bitte zugleich meine persönlichen Verhältnisse in einer Ausdehnung berühren muß, welche nur zu sehr die huldvolle Nachsicht Eurer Excellenz erforderlich macht.
Zu dem Wunsche, an einigen juristischen Rigorosen theilnehmen zu dürfen, bestimmen mich vornämlich zwei Gründe.
Einmal meine Stellung als Professor. Wenn ich von den juristischen Rigorosen noch ferner ausgeschlossen bliebe, ohne es doch durch die Natur meines Faches zu sein, so würde die Gefahr für mich nahe liegen, dasjenige Maaß des Vertrauens und des Ansehens, dessen ich mich zur Zeit noch bei der studirenden Jugend erfreue, und ohne welches ich mir eine fruchtbare Wirksamkeit nicht denken kann, zu verlieren.
Die zweite Rücksicht ist die auf eine Vermehrung meiner Einnahme, eine Rücksicht, die in dem gegenwärtigen Momente besonders dringend für mich ist.
Eure Excellenz, es ist mir bei meiner gegenwärtigen Einnahme schlechthin unmöglich mit meiner Familie zu existiren.
Ich habe im vorigen Jahre neben meinem festen Gehalt von 900 fl CM als Collgienhonorar 600 fl CM eingenommen. Dieser für die Zahl der hiesigen Studirenden große Betrag erklärt sich aber daraus, daß im vorigen Schuljahre sehr viele nicht dem ersten Cursus angehörige Juristen in Folge der neuen Studienordnung das römische Recht gehört haben. Ich hatte im ersten Semester des vorigen Jahres 60 Hörer, während die Durchschnittszahl der Hörer des ersten Cursus kaum 40 beträgt. Meine Einnahme aus dem Collegienhonorar erfährt daher, statt zuzunehmen, eine beträchtliche Abnahme. Ich habe in diesem Semester nur 34 Hörer, von denen nach Ausweis des von der Universitätskanzlei ausgefertigten Katalogs 6 ganz und 10 halb von den Collegiengeldern befreit sind. Da ich achtstündig lese, so wird das Collegienhonorar dieses Semesters daher ohne Abzug der Gebühren für mich nur 184 fl CM betragen. Bei dieser Einnahme kann ich die nothwendigen Ausgaben nicht bestreiten. Meine Ehe ist bereits mit Kindern gesegnet worden, im vorigen Monat ist mir der zweite Knabe geboren. Die mit einem so erfreulichen Ereignis verknüpfte Erweiterung des Hausstandes, die Unkosten, welche die Übersiedlung nach Pesth und von Pesth mit sich gebracht hat, ein längerer Aufenthalt in München zur Benutzung der dortigen Bibliothek, die bei der Anwesenheit Seiner Königlichen Hoheit des Erzherzogs Karl Ludwig unvermeidliche Anschaffung einer Dienstuniform und dergleichen mehr, in Verbindung mit dem theuren Leben am hiesigen Ort haben mein kleines mütterliches Erbtheil bereits so angestrengt, daß ich auch mit diesem in kurzer Zeit nicht mehr aushelfen kann; ich habe es seit meiner Verehelichung bereits über die Hälfte consumirt.
Da meine Frau kein Vermögen besitzt, so bleibt mir bei dem gegenwärtigen Stande meiner Einnahme mithin nur die Alternative, entweder mich so einzuschränken, daß ich meine Lebensweise unter das Niveau reducire, welches das sociale Herkommen für einen homo literatus festgestellt hat, oder mich in Schulden zu stürzen. Das erstere fällt, namentlich an einem kleinen Orte, sehr schwer; das zweite ist, abgesehen davon, daß es unerlaubt ist, jedenfalls ein großes Übel.
Werden Eure Excellenz es unbescheiden finden, wenn ich unter diesen Umständen eine Vermehrung meiner Einnahme als ein für mich höchst wünschenswerthes Ereignis betrachte?
Eine solche Vermehrung meiner Einnahme würde aber bewirkt werden, wenn ich an den juristischen Rigorosen theilnehmen dürfte.
Für die Eröffnung dieser Participation giebt es einen doppelten Weg.
Erstens meine Ernennung zum Ordinarius. Es kann mir nicht entfernt in den Sinn kommen, auf diese meine Bitte zu richten. Es steht am allerwenigsten mir zu, ein Urtheil darüber zu haben, ob und wann Eure Excellenz es für angemessen halten werden, bei Seiner Majestät meine Ernennung zum ordentlichen Professor zu beantragen. Ich wüßte auch gar nicht, auf welche Verdienste ich mich berufen sollte, um eine solche Bitte zu motiviren.
Um was ich Eure Excellenz bitten möchte, ist nur dies: Wenn ich seit der Zeit meiner Anstellung bis heute kein literarisches Lebenszeichen von mir gegeben habe, so mögen Hochdieselben trotzdem überzeugt sein, daß ich meine Zeit nicht in Unthätigkeit zugebracht habe. Aber es giebt Bücher, die schneller, es giebt solche, die langsamer beendigt werden. Auch das vorzüglichste Lehrbuch oder Handbuch kann in verhältnismäßig viel kürzerer Zeit zu Stande gebracht werden, als eine Arbeit, deren Aufgabe weniger ist, bereits gewonnene Resultate zu combiniren und zu verarbeiten, als neue zu gewinnen. Gestatten Eure Excellenz mir, kurz das Thema zu bezeichnen, mit dessen Bearbeitung ich mich beschäftige. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, die wechselseitigen Beziehungen des jus civile und jus canonicum einerseits historisch zu verfolgen, andrerseits beide Rechtsgebiete in ihrer heutigen Verbindung darzustellen, das canonische Recht, insofern es noch heute einen Bestandtheil des sogenannten gemeinen Civilrechts bildet, das Civilrecht in denjenigen Theilen, in denen es durch das canonische Recht mehr oder weniger influenzirt ist. Der erste Theil der Aufgabe erfordert vor allen Dingen ein gründliches Eingehen auf die Glossatorenzeit. Und gerade hier ist unendlich wenig vorgearbeitet. Für das römische Recht kommt doch das in kritischer sowohl als jeder andern Beziehung so meisterhafte Werk Savignys zu statten. Es ist hier für die Dogmengeschichte bereits der Weg geebnet, das Material bezeichnet. Anders für das canonische Recht. Hier gilt es sich das Gebiet erst literarhistorisch erobern, feststellen, auf welche Schriftsteller es ankommt, in welchem chronologischen Verhältnis sie stehen, was sie geschrieben haben, wo ihre Schriften zu suchen sind. Von den Schriften, welche zu diesem Theil meiner Arbeit in Beziehung stehen, existiren 19 nur handschriftlich auf den verschiedensten Bibliotheken, von einigen ist es mir noch nicht gelungen den Ort ihrer Aufbewahrung festzustellen. Diese Arbeit ist daher nicht schnell zu beendigen. Das schließt allerdings nicht aus, daß ich die Erörterung einzelner Fragen, deren Natur eine abgesonderte Behandlung gestattet, schon früher dem Druck übergebe. Die nächste Veranlassung dazu wird mir die Auffindung einer interessanten Handschrift der hiesigen Bibliothek bieten, deren kritische Erörterung ich in Kürze veröffentlichen werde.
Halten Eure Excellenz zu Gnaden, daß ich Hochdenselben, statt von Resultaten, von Projecten rede. Worauf es mir ankam, war nur, Eurer Excellenz die Überzeugung zu gewähren, daß ich die jedem Professor obliegende Verpflichtung, an der Förderung der Wissenschaft nach Kräften mitzuwirken, auch meinerseits nicht außer Augen gesetzt habe.
Das zweite Mittel, meine Theilnahme an den juristischen Rigorosen zu bewirken, wäre, daß Eure Excellenz die Gnade hätten, unmittelbar meine Zuziehung zu verfügen. Allerdings bildet es die Regel, daß außerordentliche Professoren nicht an den Rigorosen participiren. Aber von dieser Regel sind, wie ich mit Bestimmtheit weiß, bereits Ausnahmen gemacht. Ob nun die von mir angeführten Gründe von der Art sind, um eine Ausnahme für mich zu motiviren, darf ich dem gnädigsten Ermessen Eurer Excellenz anheimgeben.
Ich richte meine Bitte zunächst nur auf die Berechtigung zur Theilnahme an zwei Rigorosen, dem zweiten, in dem das römische und dem dritten, in dem das österreichische Bürgerliche Recht einen Prüfungsgegenstand bildet. Das letztere liegt mir wegen seiner nahen Verwandtschaft mit dem römischen am nächsten. Auf diese Weise würde noch immer der Unterschied zwischen den Ordinarien und mir gewahrt bleiben; von jenen participiren einige an sämmtlichen, andere an drei, keiner aber nur an zwei Rigorosen.
Durch die Gewährung dieser meiner ehrerbietigsten Bitte würde weder dem k.k. Aerar noch irgend einem Dritten eine Last auferlegt werden. Durch den Austritt des k.k. Raths Prockner werden vier Antheile vacant. Wenn über diese nicht anderweitig verfügt wird, so fallen sie dem sogenannten Kanzleifonds zu, einer erst seit kurzem geschaffenen Casse, auf der gar keine bestimmte Verpflichtung ruht, und die bis dahin lediglich zur außerordentlichen Anschaffung von Büchern gedient hat. Ich bitte nicht um sämmtliche vier Antheile, sondern nur um zwei.
Mit Ausführung der die Rigorosen betreffenden hohen Ministerialbestimmungen vom 2. October 1855 wird freilich die gegenwärtige Rigorosenordnung eine Änderung erleiden. Da dieser Zeitpunkt aber erst nach anderthalb Jahren eintritt, so dürfte darin kein Hindernis für die Gewährung meiner ebenso angelegentlichen als ehrerbietigsten Bitte liegen:

Eure Excellenz wollen gnädigst verfügen, daß ich mit dem Beginn des nächsten Semesters zu dem zweiten und dritten Rigorosum der hiesigen juristischen Facultät zugezogen werde.

Nur zu lange habe ich die huldvolle Nachsicht Eurer Excellenz durch Erörterung meiner Angelegenheiten auf die Probe gestellt. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich dabei irgend etwas versehen haben sollte. Zugleich aber bitte ich den Ausdruck tiefsten Respectes zu genehmigen, mit dem ich verharre

Eurer Excellenz ganz gehorsamster Diener
Dr. Maassen

Innsbruck, den 12. Januar 1857