Leo Thun teilt dem Bibliothekar Franz Pfeiffer mit, dass er ihn nicht an die Universität Wien berufen werde. Thun hatte nämlich von Maximilian Handel die Nachricht erhalten, dass Pfeiffer einen Lehrstuhl an der Wiener Universität übernehmen möchte. Pfeiffer, der in einer gemischt-konfessionellen Ehe lebt, wäre dafür auch bereit, seine Kinder, die derzeit protestantisch getauft sind, im katholischen Glauben zu erziehen. Thun würde es aus wissenschaftlicher Sicht zwar sehr freuen, einen guten Gelehrten wie Pfeiffer für die Wiener Universität gewinnen zu können, allerdings würde eine Berufung den Anschein moralischen und religiösen Opportunismus' erwecken. Thun glaubt nämlich, dass bei den Studenten Pfeiffers lasche Haltung in religiösen Fragen einen schlechten Eindruck hinterlassen würde. Daher erteilt er Pfeiffer eine Absage.
Der Brief ist parallel als Entwurf im Nachlass von Leo Thun erhalten und verzeichnet unter der Signatur A3 XXI D336.
Wien den 1. April 1855
Geehrter Herr Bibliothekar!
Baron Handel hat mir in diesen Tagen
mitgetheilt, daß Sie ihm Ihren Wunsch eröffnet haben, eine Professur der
deutschen Literatur an der Wiener
Universität zu erlangen, daß Sie ihn zugleich Ihrer aufrichtigen
katholischen Gesinnung, für welche Ihre literarischen Arbeiten Zeugnis geben
versichert und die Erklärung beigefügt haben, daß wenn Sie Ihre Kinder in der
protestantischen Konfession erziehen ließen, solches nur nach dem Wunsch der
Familie Ihrer Gemahlin, um dem
Fortkommen der Kinder kein Hindernis zu bereiten geschehen sei, und daß Sie
gesonnen seien, im Falle Ihrer Anstellung in Wien mit der
Zustimmung Ihrer Gemahlin Ihre Kinder
in der katholischen Religion erziehen zu lassen. Ich weiß nicht, ob hierdurch
gesagt sein soll, daß Ihre Gemahlin für diesen Fall bereits in die katholische
Erziehung der Kinder eingewilligt habe, oder ob diese Zustimmung noch als eine
Bedingung deren Erfüllung zweifelhaft ist, zu betrachten sei.
Dabei kann ich
nicht unbemerkt lassen, daß ich vor einiger Zeit einen Brief von Ihnen1 gesehen habe, in welchem Sie sich über die
Frage der Erziehung etwas anders ausgesprochen haben, indem Sie von der Ansicht
ausgingen, daß der überwiegende Einfluß, den die Mutter auf die Erziehung der
Kinder zu nehmen berufen ist, namentlich wenn der Vater durch Berufsgeschäfte
abgehalten ist, sich selbst viel mit der Erziehung zu beschäftigen, es
nothwendig bedinge, daß die Kinder dem Glaubensbekenntnisse der Mutter folgen.
Die berührten Fragen sind solche, die so sehr dem Heiligthume des Familienlebens
angehören, daß ich mir niemals anmaßen würde, sie unaufgefordert zu berühren.
Nachdem jedoch Ihre Unterredung mit dem Gesandten seiner kaiserlichen Majestät dazu eine Aufforderung
enthält, so wollen Sie mir erlauben mich mit voller Offenheit
auszusprechen.
Einen tüchtigen Lehrer der deutschen Literatur für die
Wiener Universität zu gewinnen,
liegt mir sehr am Herzen. Es bedarf Ihnen gegenüber nicht mehr als der Erwähnung
wie sehr die religiöse Überzeugung der Schüler durch die Behandlung des
Unterrichtes in diesem Gegenstand berührt werden kann. Bei der Sorge für die
Besetzung der Lehrkanzel in Wien, welche von großem
Einfluß auf die Heranbildung der Lehrer an den Gymnasien werden muß, fühlte ich
mich im Gewissen verpflichtet darauf bedacht zu sein, daß nicht nur die Gefahr
einer der religiösen Überzeugung schädlichen Auffassung der deutschen Literatur
und ihrer Geschichte ferne gehalten, sondern daß auch der richtige Standpunkt,
von welchem aus die deutsche Literatur und ihre Bewegung in älterer und neuerer
Zeit in ihrer Beziehung zur Kirche und zum Glauben zu beurtheilen ist, den
Schülern so klar werde, wie es nothwendig ist, damit sie als Lehrer an
katholischen Gymnasien heilsam, und die religiöse Überzeugung kräftigend auf die
Jugend zu wirken befähiget werden. Ich zweifle weder daran, daß Sie dieser
Aufgabe gewachsen sind, noch an der Aufrichtigkeit Ihrer dem Baron Handel gegebenen Versicherung daß
Sie in diesem Sinne zu wirken gesonnen seien. Allein nichts scheint mir
mißlicher, als die Lage eines Lehrers dessen Handlungsweise nicht in vollem
Einklang steht, mit der Richtung seiner Lehre, nichts gefährlicher für die
Überzeugungen seiner Schüler, als wenn sie Ursache haben zu zweifeln, ob seine
Worte aus seiner innersten Überzeugung hervorgehen. Der leiseste Verdacht der
Augendienerei vernichtet jeden heilsamen Einfluß auf jugendliche
Gemüther.
Was nun die Erziehung Ihrer Kinder anlangt, so bin ich weit davon
entfernt, mir ein Urtheil über Ihre Handlungsweise erlauben zu wollen. Gott
allein kennt die Verhältnisse, unter denen wir Menschen handeln und vermag den
Zwiespalt zu beurtheilen, in den mitunter unabwendbaren Thatsachen uns
versetzen. Allein daß die Kirche uns auf das bestimmteste verbiethet und
verbiethen muss, zu gestatten, daß unsere Kinder außerhalb ihrer Gemeinschaft
aufwachsen, daß sie uns nicht erlaubt, noch erlauben kann aus irdischen
Rücksichten von Ihrem Gebothe abzuweichen sind Thatsachen, die heut zu Tage
nicht ignoriert werden können, und der Katholik der in unserer Zeit seine Kinder
in einem anderen Glauben erziehen läßt, kann sich mindestens nicht dem Schein
entziehen, daß ihm sein Glaube nicht die heiligste Angelegenheit sei. Wird der
Vorwurf des Indifferentismus bei den Einen, der Verdacht bei den Anderen
schwinden, wenn Sie Ihrer Kinder erst dann in den Schoß der Kirche führen, wenn
Sie eine Anstellung in Österreich erhalten
haben, oder wenigstens die Zusicherung einer solchen haben? Werfen Sie in die
Seelen Ihrer Kinder selbst nicht den Keim des Unglaubens, wenn früher oder
später in ihnen der Gedanke erwachen kann, nur irdischer Vortheile wegen habe
man sie die Religion abschwören lassen, in der ihre Mutter sie liebevoll erzogen
hat?
Nicht dazu möchte ich meine Hand biethen. Dieses sind die ernsten
Gedanken die mich abgehalten haben für die Berufung eines Gelehrten zu wirken,
vor dessen Kenntnissen und literarischer Täthigkeit ich hohe Achtung habe.
Hochachtungsvoll
Euerer Wohlgeboren
ergebener
Graf Leo Thun