Der österreichische Gesandte in Stuttgart Maximilian Handel sendet dem
Minister die gewünschten Informationen über den Stuttgarter Bibliothekar
Franz Pfeiffer. Handel hat diesen kürzlich kennen gelernt und Pfeiffer
eröffnete ihm bei dieser Gelegenheit seinen Wunsch, eine Professur an
der Wiener Universität zu erlangen. Pfeiffer hatte dabei auch erklärt,
dass seine Kinder nur deshalb protestantisch getauft und erzogen worden
sind, um ihnen das berufliche Fortkommen in ihrer derzeitigen Heimat
nicht zu erschweren. Er selbst sei aber katholisch und werde die Rechte
der Kirche auch auf einem Lehrstuhl stets verteidigen. Pfeiffer erklärte
sich zudem bereit, seine Kinder – im Falle einer Berufung nach Wien –
katholisch zu erziehen.
Im Konzept für ein Antwortschreiben an
Pfeiffer schreibt Thun, dass es ihn aus wissenschaftlicher Sicht sehr
freuen würde, einen Gelehrten wie Pfeiffer für die Wiener Universität
gewinnen zu können. Thun bedauert aber, ihn nicht berufen zu können,
weil er nicht den Anschein erwecken möchte, dass er Pfeiffers
moralischen und religiösen Opportunismus gutheiße.
Als Beilage ein eh. Konzept Thuns für einen Brief an Franz Pfeiffer. Wien, 1. April 1855. Die Reinschrift des Konzepts ist im Nachlass von Pfeiffer in der Württembergischen Landesbibliothek erhalten.
Stuttgart, 24. März 1855
Hochgeborner Graf,
Sowohl in Befolgung eines Erlasses des k.k. Ministeriums der auswärtigen
Angelegenheiten, als in Beantwortung Euer Excellenz Schreibens vom 21. August
vorigen Jahres bin ich in der Lage gewesen, über den königlich Württembergischen
Bibliothekar Dr. Pfeiffer Auskünfte zu
ertheilen.
Dieser Gelehrte hat sich vor kurzem mir vorgestellt, um mir
seinen Wunsch, die Stelle eines Professors der deutschen Literatur an der
Wiener Universität zu erlangen
und die Geneigtheit Euer Excellenz, ihm diese Stelle zu verleihen, mitzutheilen,
im Falle die k.k. Gesandtschaft zufriedenstellende Aufklärungen über die
protestantische Religion der Kinder des Dr.
Pfeiffer zu geben im Stande wäre.
Herr Dr. Pfeiffer hat mir
mündlich bestättigt, was ich bereits in meinem Schreiben vom 3. September
vorigen Jahres anzudeuten die Ehre gehabt; nämlich, daß er, nur auf
ausdrücklichen Wunsch der Familie seiner
Frau, und um dem Fortkommen seiner Kinder nicht hinderlich zu
seyn, diese in der protestantischen Religion erziehen läßt. Er hat hinzugefügt,
daß er persönlich als Katholik für die Rechte der Kirche eingenommen sey, daß
dies aus seinen Schriften hervorgehe, daß er in dieser Richtung auf der
Lehrkanzel wirken wolle und daß er, mit Zustimmung seiner Frau, seine Kinder in
der katholischen Religion erziehen werde, im Falle ihm jene Anstellung in
Wien zu Theil würde.
Ich muß
mich darauf beschränken vorstehende Äußerungen des Dr. Pfeiffer zu Euer Excellenz Kenntnis zu
ringen, in dem ich es Hochdenselben anheimstelle, ob und welche weitere Folge
denselben zu geben seyn dürfte.
Genehmigen Euer Excellenz den Ausdruck
meiner ausgezeichnetesten Hochachtung
Handel
<Eine Abschrift von diesem Briefe auf Briefpapier zu machen, und mit dem beiliegenden Briefe an unseren Gesandten Baron Handel in Stuttgart zu expediren.>1
Geehrter Herr Bibliothekar!
Baron Handel hat mir in diesen
Tagen mitgetheilt, daß Sie ihm Ihren Wunsch eröffnet haben, eine Professur
der deutschen Literatur an der Wiener
Universität zu erlangen; daß Sie ihn zugleich Ihrer
aufrichtigen katholischen Gesinnung, für welche Ihre literarischen Arbeiten
Zeugnis geben, versichert und die Erklärung beigefügt haben, daß wenn Sie
Ihre Kinder in der protestantischen Religion erziehen ließen, solches nur
nach dem Wunsche der Familie Ihrer Gemahlin, um dem Fortkommen der Kinder kein Hindernis zu
bereiten, geschehen sei, und daß Sie gesonnen seien, im Falle Ihrer
Anstellung in Wien mit der
Zustimmung Ihrer Gemahlin Ihre
Kinder in der katholischen Religion erziehen zu lassen. Ich weiß nicht, ob
hiedurch gesagt sein soll, daß Ihre Gemahlin für diesen Fall bereits in die katholische
Erziehung der Kinder eingewilliget habe, oder ob diese Zustimmung noch als
eine Bedingung, deren Erfüllung zweifelhaft ist, zu betrachten
sei.
Dabei kann ich nicht unbemerkt lassen, daß ich vor einiger Zeit
einen Brief von Ihnen gesehen habe, in welchem Sie sich über die Frage der
Erziehung etwas anders ausgesprochen haben, indem Sie von der Ansicht
ausgingen, daß der überwiegende Einfluß, den die Mutter auf die Erziehung
der Kinder zu nehmen berufen ist, namentlich wenn der Vater durch
Berufsgeschäfte abgehalten ist, sich selbst viel mit der Erziehung zu
beschäftigen, es nothwendig bedinge, daß die Kinder dem Glaubensbekenntnisse
der Mutter folgen. Die berührten Fragen sind solche, die so sehr dem
Heiligthume des Familienlebens angehören, daß ich mir niemals anmaßen würde,
sie unaufgefordert zu berühren. Nachdem jedoch Ihre Unterredung mit dem
Gesandten Seiner k.k.
Majestät dazu eine Aufforderung enthält, so wollen Sie mir
erlauben, mich mit voller Offenheit auszusprechen.
Einen tüchtigen
Lehrer der deutschen Literatur für die Wiener Universität zu gewinnen, liegt mir sehr am Herzen. Es
bedarf Ihnen gegenüber nicht mehr als der Erwähnung, wie sehr die religiöse
Überzeugung der Schüler durch die Behandlung des Unterrichtes in diesem
Gegenstande berührt werden kann. Bei der Sorge für die Besetzung der
Lehrkanzel in Wien, welche von
großem Einflusse auf die Heranbildung der Lehrer an den Gymnasien werden
muß, fühle ich mich im Gewissen verpflichtet darauf bedacht zu sein, daß
nicht nur die Gefahr einer der religiösen Überzeugung schädlichen Auffassung
der deutschen Literatur und ihrer Geschichte ferne gehalten, sondern daß
auch der richtige Standpunkt, von welchem aus die deutsche Literatur und
ihre Bewegung in älterer und neuerer Zeit in ihrer Beziehung zur Kirche und
zum Glauben zu beurtheilen ist, den Schülern so klar werde, wie es
nothwendig ist, damit sie als Lehrer an katholischen Gymnasien heilsam und
die religiöse Überzeugung kräftigend auf die Jugend zu wirken befähiget
werden. Ich zweifle weder daran, daß Sie dieser Aufgabe gewachsen sind, noch
an der Aufrichtigkeit Ihrer dem Baron
Handel gegebenen Versicherung, daß Sie in diesem Sinne zu
wirken gesonnen seien. Allein nichts scheint mir mißlicher, als die Lage
eines Lehrers, dessen Handlungsweise nicht in vollem Einklange steht mit der
Richtung seiner Lehre, nichts gefährlicher für die Überzeugungen seiner
Schüler, als wenn sie Ursache haben zu zweifeln, ob seine Worte aus seiner
innersten Überzeugung hervorgehen. Der leiseste Verdacht der Augendienerei
vernichtet jeden heilsamen Einfluß auf jugendliche Gemüther.
Was nun die
Erziehung Ihrer Kinder anbelangt, so bin ich weit davon entfernt, mir ein
Urtheil über Ihre Handlungsweise erlauben zu wollen. Gott allein kennt die
Verhältnisse unter denen wir Menschen handeln und vermag den Zwiespalt zu
beurtheilen, in den mitunter unabwendbare Thatsachen uns versetzen. Allein
daß die Kirche uns auf das Bestimmteste verbiethet und verbiethen muß zu
gestatten, daß unsere Kinder außerhalb ihrer Gemeinschaft aufwachsen, daß
sie uns nicht erlaubt, noch erlauben kann aus irdischen Rücksichten von
ihrem Gebothe abzuweichen, sind Thatsachen, die heut zu Tage nicht ignorirt
werden können, und der Katholik, der in unserer Zeit seine Kinder in einem
anderen Glauben erziehen läßt, kann sich mindestens nicht dem Scheine
entziehen, daß ihm sein Glaube nicht die heiligste Angelegenheit sei. Wird
der Vorwurf des Indifferentismus bei den Einen, der Verdacht bei den Anderen
schwinden, wenn Sie Ihre Kinder erst dann in den Schoß der Kirche führen,
wenn Sie eine Anstellung in Oesterreich
erhalten haben, oder wenigstens die Zusicherung einer solchen haben? Werfen
Sie in die Seele Ihrer Kinder selbst nicht den Keim des Unglaubens, wenn
früher oder später in ihnen der Gedanke erwachen kann, nur irdischer
Vortheile wegen habe man sie die Religion abschwören lassen, in der ihre
Mutter sie liebevoll erzogen hat? Nicht dazu möchte ich meine Hand biethen.
Dieses sind die ernsten Gedanken, die mich abgehalten haben für die Berufung
eines Gelehrten zu wirken, vor dessen Kenntnissen und literarischen
Thätigkeit ich hohe Achtung habe.
Hochachtungsvoll
Eurer
Wohlgeboren
ergebener
Wien am 1. April 1855