Der Dichter und Professor Oskar von Redwitz informiert Leo Thun über seinen Entschluss, seine Professur an der Universität Wien aufzugeben und erläutert die Gründe hierfür. Zunächst bedankt er sich bei Thun für dessen Förderung und übersendet dem Minister als Dank zwei Exemplare seines Werks "Sieglinde". Er möchte sich in Zukunft vollkommen der Dichtung widmen, weil diese seine innerste Berufung sei. Er hatte zunächst gehofft, dass er seine Lehrtätigkeit in Wien mit seiner künstlerischen Tätigkeit vereinbaren könne, nun musste er aber feststellen, dass sich diese Hoffnung nicht erfüllte. Redwitz hofft, dass Thun seinen Entschluss akzeptieren wird.
Hochgeborner, hochzuverehrender Herr Graf!
Mit den wahrhaftigsten Gefühlen innigsten Dankes für die mir von Euer Hochgeboren
in so reichem Maaße geschenkte Huld und Liebe und in der aufrichtigsten
Verehrung Hochihrer Person erlaube ich mir Euerer Excellenz meine
„Sieglinde“1
zu übersenden mit der Bitte das andere Exemplar als Zeichen größter herzlichster
Ehrerbietung der gnädigen Frau
Gräfin gütigst einhändigen zu wollen.
Trotz dem, daß bereits
die Critik, deren unlautere Motive nur zu leicht zu errathen sind, mit giftigem
Hohn alles aufbietet, um mein Werk sogleich beim Erscheinen unterdrücken zu
wollen, was mir indes sehr wenig Kummer bereitet, so bin ich doch fest
überzeugt, Euere Excellenz einsichtiger und gerechter Geist wird bei ruhiger
Lesung Sieglindes mir das Zeugnis nicht versagen wollen, daß ich mit heiligem
Ernst der Kunst, mit aller Begeisterung eines christlichen Herzens die höchst
tragische Idee der Welt, das Opfer und seine erlösende, siegreiche Liebe in
dramatischem Bild zu verherrlichen bestrebt war, gewiß um des Dichters würdige
Aufgabe, die freilich bei der tiefen Verkommenheit unsrer dramatischen Zustände
von den Bannerträgern des modernen Dramas und ihren zahlreichen Trabanten auf
Tod und Leben angefeindet werden wird, wie ich mir das von Anfang an nicht
anders erwartet habe. Ich stehe eben mit meiner Harfe auf dem Felsen der Kirche
und muß deshalb mit ihr die Passion ergeben durchmachen. Das sehe ich mit dem
klaren Auge eines bereiten Kämpfers und beklage mich auch nicht. Es kann nicht
anders sein. Und sänge ich Lieder wie Davids Psalmen, ich würde doch verfolgt
und bekämpft werden in allen denkbaren Angriffen mit jüdischen, heidnischen und
scheinbar christlichen Waffen. Doch ich hoffe zu Gott, den ich verherrlichen
will, ich werde nicht zu Schanden werden und je heißer der Streit, um desto
begeisterter ausharren in Hoffnung des einstigen Sieges, wenn er auch erst überm
Grabe mir zutheil wird. Zugleich wage ich es schon jetzt, Euerer Excellenz vor
der Hand in privatimer Mittheilung meinen Entschluß freiwillig zu eröffnen, nicht
mehr nach Wien zurückzukehren. Die besonnenste, nichts
weniger als eilige Erwägung aller Umstände, meiner poetischen Aufgabe wie meiner
früheren Verhältnisse als Professor, forderte diesen Entschluß unumgänglich,
wollte ich mich nicht in die höchst unwürdige Lage versetzen, als Dichter oder
als Professor meiner Aufgabe nur halb zu genügen. Ich sah es endlich sonnenklar
ein, daß jede dieser Thätigkeiten die volle Kraft und Anstrengung des Geistes
erfordert, um vor Gott und der Welt gewissenhaft bestehen zu können und so mußte
ich mich jener Aufgabe des Lebens gänzlich frei wiedergeben, zu deren Erfüllung
mein innerer Beruf mich am tiefsten hinzog, wie dies Euere Excellenz gewiß
vollkommen erkennen und billigen werden. Der niedrigere Gesichtspunkt, daß ich
in meinen jetzigen Verhältnissen in voller Freiheit meiner Zeit und Thätigkeit
kaum ein Drittheil dessen bedarf, was ich in
Wien zu meinem Professorengehalt hinzusetzen mußte,
stand zwar in zweiter Reihe, fiel aber begreiflicherweise immer gewichtig genug
in die Waagschale; abgesehen davon, daß meine jetzige Lage die ungestörte,
friedliche Einsamkeit, die mit häufigen Ausflügen und größern Reisen zweitweise
zu vertauschen meine Mittel sehr gut gestatten, natürlich dem Gedeihen meiner
Poesie unsäglich förderlicher ist als das ruhelose, stets gestörte Leben einer
großen Stadt.
Hätte ich dies alles im Voraus so klar eingesehen, so hätte
ich mich natürlich nie unterfangen, blos um einen einstweiligen Versuch[?] zu
machen, die Zeit Euerer Excellenz in Anspruch zu nehmen. Gott weiß, ich bin mit
großer Freude und Liebe nach Wien gegangen, aber auch,
lassen Euer Excellenz mich das offen eingestehen, mit anderen Erwartungen. Ich
glaubte als Professor eine Stellung einzunehmen, wie sie z. B. Geibel, dem ich mich wohl an die Seite
stellen darf, in München zutheil
ward, daß eben über dem Professor der Dichter nicht ganz übersehen wird. Euere
Excellenz haben mich mit aller denkbaren Liebe und Theilnahme beehrt, die ich
nie vergessen werde, ich brauche deshalb auch gewiß nicht zu fürchten, von Euer
Hochgeboren in dieser freimüthigen Äusserung mißverstanden zu werden, aber von
anderer Seite ward mir nicht die Unterstützung zutheil, zu der ich zwar nicht im
Mindesten berechtigt war, auf die aber gehofft hatte. Indes ich danke nun dem
lieben Gott aus dem Grund meines Herzens für die Vereitlung dieser Hoffnung,
denn ich sehe es nun ja klar ein, die gütige Vorsehung hat so alles am besten
für mich gefügt, denn ich würde als Dichter es immer neu beklagen müssen, wenn
mich die glänzendste Stellung in Wien mir die Freiheit
geraubt hätte, ganz nach Herzenswunsch in ungestörter Geistesfreude fern von dem
Treiben und Glanz der großen Welt meiner Poesie, die mein Leben ausmacht, mich
so hingeben zu dürfen, wie der liebe Gott mir es jetzt so gütig
gestattet.
Ich weiß, Eurer Excellenz so menschenfreundliches edles Herz zürnt
mir ob dieser so ganz vertrauensvollen Herzenseröffnung nicht; nein, es nimmt
gerade diese formlose Offenheit für das beredteste Zeugnis meiner ungeheuchelten
innigen Verehrung hin.
Und so scheide ich denn von Eurer Excellenz mit dem
nochmaligen ehrerbietigsten Danke für alle Liebe und Theilnahme. Ich werde immer
dankbar Ihrer gedenken, und es thäte mir unendlich wehe, wenn ich durch
irgendetwas, durch irgendein Wort die gute Meinung, die Euer Hochgeboren von mir
zu hegen die Liebe hatten, auch nur im Mindesten geschwächt hätte. Ob ich wohl
daran thue, mit meiner förmlichen Entlassungsbitte noch bis zum Schlusse meines
Urlaubs zu zögern, darüber wollen mir Euere Excellenz vielleicht einmal einen
gütigen Wink ertheilen lassen. Ich will dann ganz Hochihrem Rathe folgen.
Bewahren mir Euere Excellenz dann auch für die Zukunft Ihre Liebe und
Theilnahme, empfehlen Sie mich auf das Ehrerbietigste der gnädigen Frau Gräfin und nehmen Sie meine
rückhaltslose Offenheit zum Pfand der wahrhaftigsten Verehrung hin, mit der ich
für immer verharre
Euerer Excellenz
von Herzen ergebenster
Dr. Oskar Freiherr von Redwitz
Schellenberg bei Kaiserslautern, 27. Dez. 1853