Oskar Redwitz an Leo Thun
Schellenberg, 27. Dezember 1853
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Regest

Der Dichter und Professor Oskar von Redwitz informiert Leo Thun über seinen Entschluss, seine Professur an der Universität Wien aufzugeben und erläutert die Gründe hierfür. Zunächst bedankt er sich bei Thun für dessen Förderung und übersendet dem Minister als Dank zwei Exemplare seines Werks "Sieglinde". Er möchte sich in Zukunft vollkommen der Dichtung widmen, weil diese seine innerste Berufung sei. Er hatte zunächst gehofft, dass er seine Lehrtätigkeit in Wien mit seiner künstlerischen Tätigkeit vereinbaren könne, nun musste er aber feststellen, dass sich diese Hoffnung nicht erfüllte. Redwitz hofft, dass Thun seinen Entschluss akzeptieren wird.

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Schlagworte

Edierter Text

Hochgeborner, hochzuverehrender Herr Graf!

Mit den wahrhaftigsten Gefühlen innigsten Dankes für die mir von Euer Hochgeboren in so reichem Maaße geschenkte Huld und Liebe und in der aufrichtigsten Verehrung Hochihrer Person erlaube ich mir Euerer Excellenz meine „Sieglinde“1 zu übersenden mit der Bitte das andere Exemplar als Zeichen größter herzlichster Ehrerbietung der gnädigen Frau Gräfin gütigst einhändigen zu wollen.
Trotz dem, daß bereits die Critik, deren unlautere Motive nur zu leicht zu errathen sind, mit giftigem Hohn alles aufbietet, um mein Werk sogleich beim Erscheinen unterdrücken zu wollen, was mir indes sehr wenig Kummer bereitet, so bin ich doch fest überzeugt, Euere Excellenz einsichtiger und gerechter Geist wird bei ruhiger Lesung Sieglindes mir das Zeugnis nicht versagen wollen, daß ich mit heiligem Ernst der Kunst, mit aller Begeisterung eines christlichen Herzens die höchst tragische Idee der Welt, das Opfer und seine erlösende, siegreiche Liebe in dramatischem Bild zu verherrlichen bestrebt war, gewiß um des Dichters würdige Aufgabe, die freilich bei der tiefen Verkommenheit unsrer dramatischen Zustände von den Bannerträgern des modernen Dramas und ihren zahlreichen Trabanten auf Tod und Leben angefeindet werden wird, wie ich mir das von Anfang an nicht anders erwartet habe. Ich stehe eben mit meiner Harfe auf dem Felsen der Kirche und muß deshalb mit ihr die Passion ergeben durchmachen. Das sehe ich mit dem klaren Auge eines bereiten Kämpfers und beklage mich auch nicht. Es kann nicht anders sein. Und sänge ich Lieder wie Davids Psalmen, ich würde doch verfolgt und bekämpft werden in allen denkbaren Angriffen mit jüdischen, heidnischen und scheinbar christlichen Waffen. Doch ich hoffe zu Gott, den ich verherrlichen will, ich werde nicht zu Schanden werden und je heißer der Streit, um desto begeisterter ausharren in Hoffnung des einstigen Sieges, wenn er auch erst überm Grabe mir zutheil wird. Zugleich wage ich es schon jetzt, Euerer Excellenz vor der Hand in privatimer Mittheilung meinen Entschluß freiwillig zu eröffnen, nicht mehr nach Wien zurückzukehren. Die besonnenste, nichts weniger als eilige Erwägung aller Umstände, meiner poetischen Aufgabe wie meiner früheren Verhältnisse als Professor, forderte diesen Entschluß unumgänglich, wollte ich mich nicht in die höchst unwürdige Lage versetzen, als Dichter oder als Professor meiner Aufgabe nur halb zu genügen. Ich sah es endlich sonnenklar ein, daß jede dieser Thätigkeiten die volle Kraft und Anstrengung des Geistes erfordert, um vor Gott und der Welt gewissenhaft bestehen zu können und so mußte ich mich jener Aufgabe des Lebens gänzlich frei wiedergeben, zu deren Erfüllung mein innerer Beruf mich am tiefsten hinzog, wie dies Euere Excellenz gewiß vollkommen erkennen und billigen werden. Der niedrigere Gesichtspunkt, daß ich in meinen jetzigen Verhältnissen in voller Freiheit meiner Zeit und Thätigkeit kaum ein Drittheil dessen bedarf, was ich in Wien zu meinem Professorengehalt hinzusetzen mußte, stand zwar in zweiter Reihe, fiel aber begreiflicherweise immer gewichtig genug in die Waagschale; abgesehen davon, daß meine jetzige Lage die ungestörte, friedliche Einsamkeit, die mit häufigen Ausflügen und größern Reisen zweitweise zu vertauschen meine Mittel sehr gut gestatten, natürlich dem Gedeihen meiner Poesie unsäglich förderlicher ist als das ruhelose, stets gestörte Leben einer großen Stadt.
Hätte ich dies alles im Voraus so klar eingesehen, so hätte ich mich natürlich nie unterfangen, blos um einen einstweiligen Versuch[?] zu machen, die Zeit Euerer Excellenz in Anspruch zu nehmen. Gott weiß, ich bin mit großer Freude und Liebe nach Wien gegangen, aber auch, lassen Euer Excellenz mich das offen eingestehen, mit anderen Erwartungen. Ich glaubte als Professor eine Stellung einzunehmen, wie sie z. B. Geibel, dem ich mich wohl an die Seite stellen darf, in München zutheil ward, daß eben über dem Professor der Dichter nicht ganz übersehen wird. Euere Excellenz haben mich mit aller denkbaren Liebe und Theilnahme beehrt, die ich nie vergessen werde, ich brauche deshalb auch gewiß nicht zu fürchten, von Euer Hochgeboren in dieser freimüthigen Äusserung mißverstanden zu werden, aber von anderer Seite ward mir nicht die Unterstützung zutheil, zu der ich zwar nicht im Mindesten berechtigt war, auf die aber gehofft hatte. Indes ich danke nun dem lieben Gott aus dem Grund meines Herzens für die Vereitlung dieser Hoffnung, denn ich sehe es nun ja klar ein, die gütige Vorsehung hat so alles am besten für mich gefügt, denn ich würde als Dichter es immer neu beklagen müssen, wenn mich die glänzendste Stellung in Wien mir die Freiheit geraubt hätte, ganz nach Herzenswunsch in ungestörter Geistesfreude fern von dem Treiben und Glanz der großen Welt meiner Poesie, die mein Leben ausmacht, mich so hingeben zu dürfen, wie der liebe Gott mir es jetzt so gütig gestattet.
Ich weiß, Eurer Excellenz so menschenfreundliches edles Herz zürnt mir ob dieser so ganz vertrauensvollen Herzenseröffnung nicht; nein, es nimmt gerade diese formlose Offenheit für das beredteste Zeugnis meiner ungeheuchelten innigen Verehrung hin.
Und so scheide ich denn von Eurer Excellenz mit dem nochmaligen ehrerbietigsten Danke für alle Liebe und Theilnahme. Ich werde immer dankbar Ihrer gedenken, und es thäte mir unendlich wehe, wenn ich durch irgendetwas, durch irgendein Wort die gute Meinung, die Euer Hochgeboren von mir zu hegen die Liebe hatten, auch nur im Mindesten geschwächt hätte. Ob ich wohl daran thue, mit meiner förmlichen Entlassungsbitte noch bis zum Schlusse meines Urlaubs zu zögern, darüber wollen mir Euere Excellenz vielleicht einmal einen gütigen Wink ertheilen lassen. Ich will dann ganz Hochihrem Rathe folgen. Bewahren mir Euere Excellenz dann auch für die Zukunft Ihre Liebe und Theilnahme, empfehlen Sie mich auf das Ehrerbietigste der gnädigen Frau Gräfin und nehmen Sie meine rückhaltslose Offenheit zum Pfand der wahrhaftigsten Verehrung hin, mit der ich für immer verharre

Euerer Excellenz

von Herzen ergebenster
Dr. Oskar Freiherr von Redwitz

Schellenberg bei Kaiserslautern, 27. Dez. 1853