Fürstbischof Joseph Rauscher läd die Dekane seiner Diözese zu einer gemeinsamen Versammlung ein und erklärt, warum sich die Einladung so lange verzögert hat. Als er zum Bischof ernannt worden war, wollte er sogleich die Dekane der Diözese einladen und sich mit ihnen über die Verhältnisse und Bedürfnisse in der Diözese austauschen. Rauscher musste die Einladung jedoch verschieben, weil er im selben Jahr noch zur Bischofsversammlung nach Wien gerufen wurde. Da in der Bischofsversammlung wesentliche Fragen zur Neugestaltung der österreichischen Kirche diskutiert wurden, von deren Lösung die Zukunft bzw. die Stellung der Kirche abhing, konnte er dieser nicht fernbleiben. Nun da die Beratungen in Wien ein Ende gefunden haben, lädt Rauscher alle Dekane ein, sich am 16. April in Graz einzufinden, um mit ihm die Ergebnisse der Bischofsversammlung zu besprechen.
Hochwürdiger Herr Dechant!
Als die göttliche Fürsehung in einer ernsten Zeit mir die Bürde des bischöflichen
Amtes auflegte, beschloß ich sogleich, jene, auf deren Mitwirkung ich
vorzugsweise angewiesen bin, um mich zu versammeln, um über die Verhältnisse und
Bedürfnisse der mir anvertrauten Gemeinden auf dem kürzesten Wege unterrichtet
zu werden. Allein, ich hatte kaum die Leitung meiner Kirche übernommen, als das
Herannahen der bischöflichen Versammlung mich nach Wien
berief. Die Aufgabe, die unser dort harrte, war groß und mannigfach und der
Julius hatte begonnen, bevor ich in meine Diöcese zurückkehren konnte. Im weiten
Bereiche der österreichischen Lande
harrten alle getreuen Kinder der Kirche mit Sehnsucht des Erfolges und ich hatte
Grund zu hoffen, daß ich in nicht langer Zeit über die Entfernung der Hemmnisse,
welche die Wirksamkeit der vaterländischen Kirche beirrten, eine erfreuliche
Mittheilung würde machen können. Auch erschien es als zweckmäßig, daß die
Zusammenkunft benützt würde, um über die Bestimmungen, welche das kirchliche
Leben erneuern sollten, Aufklärungen zu geben und über die Durchführung
derselben zu berathen. So fand ich mich bestimmt, der Einladung einen, wie ich
hoffte, kurzen Aufschub zu geben. Allein, die Angelegenheit vertagte sich. Die
Regierung Seiner Majestät übernahm ein Riesenwerk zu vollenden. Die vulkanischen
Gewalten des Jahres 1848 sind auch wider Oesterreich furchtbar tobend hereingebrochen; der mächtige Bau eines
Staates, welcher 38 Millionen schirmend auffaßte, wurde bis in seine tiefsten
Grundlagen erschüttert. Überall galt es das Eingesunkene aufzurichten, das
Wankende zu stützen, das Verworrene zu ordnen und die nächsten Bedürfnisse der
Rechtsordnung forderten gebieterisch Berücksichtigung. Im November vorigen
Jahres rief meine Pflicht als Mitglied des bischöflichen Ausschusses mich
abermals nach Wien. Es handelte sich um
nichts Geringeres als um die Neugestaltung der österreichischen Kirche und die
Natur der Dinge brachte es mit sich, daß manche Schwierigkeit auftauchte. Am 20.
Jänner glaubte ich meinen Mitarbeitern im Herrn die Aussicht eröffnen zu können,
daß über Fragen von hoher Wichtigkeit eine Entscheidung, welche den Rechten der
Kirche Anerkennung zolle, in nächster Zukunft erfolgen werde. Die
weitverzweigten Verhältnisse, welche man in allen ihren Rückwirkungen erwägen
wollte, führten noch einige Zögerung herbei; doch nun ist der Zeitpunct nahe, in
welchem viele und namentlich jene Fragen, von deren Lösung die Stellung der
Kirche abhängt, die langersehnte Entscheidung finden werden. Um so mehr beeile
ich mich Sie zu ersuchen, spätestens am Abende des 16. April sich zu Gratz[Graz] einfinden zu wollen. Ich zweifle nicht, daß am 17. die
bevorstehende Erledigung bereits in die Öffentlichkeit getreten ist. Um so
reichhaltiger wird der Gegentand unserer Besprechungen seyn. Sollten Sie sich
verhindert sehen, an dieser Zusammenkunft theil zu nehmen, so wird es mich
freuen, wenn Einer der Pfarrvorsteher des Dekanates Ihre Stelle vertritt und
mich mit seiner Erfahrung und seiner Erkenntnis der örtlichen Verhältnisse
unterstützt.
Empfangen Sie übrigens, hochwürdiger Herr Dechant, die
Versicherung meiner Achtung und wohlwollenden Theilnahme.
Gratz, am 2. April 1850