Dem Slawisten František Čelakovský wurde von Leo Thun mitgeteilt, dass der dritte Band seines böhmischen Lesebuches in der gegenwärtigen Fassung nicht als Lehrbuch für die Gymnasien geeignet sei. Čelakovský erläutert daher seine Ansichten gegen die von Thun erhobenen Einwände: Der dritte Band ist ein Leitfaden zur praktischen Darstellung der Literaturgeschichte, dessen Bearbeitung sich allerdings als schwierig darstellte. Der Grund hierfür lag insbesondere darin, dass es nur wenig böhmische Literatur gebe. Er stimmt zwar mit Thun grundsätzlich darin überein, dass eine Literaturgeschichte nicht an das Nationalgefühl eines Volkes appellieren sollte, trotzdem ist er der Meinung, dass ein gewisses Lob auf die eigene Nation einen guten Einfluss auf die Jugend habe. Auch könnten Hus und Žiska nicht aus der Literaturgeschichte verbannt werden, da sie Bestandteil der Weltgeschichte seien. Ferner rechtfertigt er seine Auswahl von Stücken mit erotischem Inhalt: Sofern diese nicht gegen Recht und Sittlichkeit verstoßen würden, sollten diese seiner Ansicht nach für Schüler zugänglich sein. Den Vorwurf einer zu geringen Berücksichtigung der mährischen und slowakischen Literatur weist er mit dem Verweis auf die geringe Anzahl von literarischen Werken in diesen Sprachen zurück. Sollte Thun trotz dieser Einwürfe auf Änderung bestehen, würde sich Čelakovský gezwungen sehen, von der Umarbeitung des dritten Bandes abzusehen und den Auftrag zurückzugeben.
Aus dem mir von Eurer Exzellenz über den 3. Band des böhmischen Lesebuchs 1 zugekommenen Bescheide 2 habe ich ersehen, daß dasselbe in seiner
gegenwärtigen Abfassung als nicht geeignet für den Gymnasialgebrauch befunden
wurde. Obgleich ich nicht in Abrede stellen will, daß manches von den dort
aufgenommenen Stücken nun als nicht ganz passend und zeitgemäß erscheinen mag,
so war ich doch ob der Menge der mir vorgehaltenen Ausstellungen nicht nur sehr
unangenehm berührt, sondern ich muß auch die ergebenste Bitte stellen, meinen
Ansichten und Gegengründen ein geneigtes Gehör zu schenken, da es mir durchaus
nicht gleichgültig sein kann, in welchem Lichte ich in dieser Beziehung vor
Eurer Exzellenz erscheine. In dem von mir abgeforderten und Eurer Exzellenz in
Wien vorgelegten Entwurf zur Abfassung der
böhmischen Lesebücher bezeichnete ich den 3. Band ausdrücklich als einen
Leitfaden zur praktischen Darstellung der Litteraturgeschichte, die am
Obergymnasium tradiert wird, und es sollten nebenbei auch Proben der
verschiedenen Stil- und Dichtungsarten gegeben werden, so weit es nur immer der
beschränkte Raum gestattet und unsere Litteratur solche darbietet. Daß ferner
bei den jetzigen Umständen in einem böhmischen Lesebuche auf eine correcte
Diction in eben dem Grade, ja noch mehr als auf den didaktischen Inhalt Bedacht
zu nehmen seie, schien mir unerläßlich. Eure Exzellenz haben die großen
Schwierigkeiten, die sich einer solchen Arbeit in den Weg stellen und die aus
der eigentühmlichen Lage unserer geringen Litteratur resultiren, allerdings
nicht verkannt; allein diese ihre Färbung ganz unbeachtet zu lassen oder
verwischen zu wollen, ist geradezu unmöglich und steht mit dem Begriffe eines
chronologisch geordneten Handbuches im Widerspruche.
Ich stimme auch darin
Eurer Exzellenz vollkommen bei, daß ein Volk höher steht, welches nicht
fortwährend an das Nationalgefühl in Vers und Prosa bemüßigt ist zu appeliren
nöthig hat, und daß auch für uns Böhmen die Zeit kommen muß, wo wir uns dieses
Hebels werden entschlagen können. Eure Exzellenz sind aber in unsere Litteratur
und Lebensverhältnisse zu tief eingeweiht, als daß ich zu erinnern brauchte, wie
grade dies Festhalten an dem übernommenen Erbe und der Kampf für dasselbe den
rothen Faden bildet, der sich seit den ältesten Zeiten durch das Leben unsres
Volkes hinzieht, und wie eben dieser Mahnruf als einer der Hauptfaktoren
anzusehen ist, der unsere klägliche Lage Zustand [sic!] nach und nach zum
Bessern führte.
Hätten die Wecker Puchmajer, Jungmann,
Kollàr u. a. nicht mit starker Hand an
die Thür des Hauses gepocht, wir schliefen wahrscheinlich noch den tiefen Schlaf
wie zu Ende des vorigen Jahrhunderts. In dem Grade als wir reicher werden,
werden auch die Klagen über Armuth von selbst abnehmen; früher kaum. Es thut mir
daher leid, daß vornähmlich gegen die aus Puchmajer aufgenommenen Gedichte
Bedenklichkeiten erhoben wurden, da z.B. das Gedicht Hlas Čecha 1802 (das
nebenbei gesagt ein Meisterstück echt böhmischer Sprache ist) durch die
Vergleichung unserer jetzigen Lage gegen jene vor 50 Jahren nur von einem
wohlthätigen Einfluß auf unsere Jugend sein kann und sie wirklich zum wahren
Danke und Anhänglichkeit an die Regierung zu stimmen im Stande ist. Es schien
mir unerläßlich in das Lesebuch auch ein paar rhetorische Stücke aufzunehmen.
Unsere Litteratur ist aber so arm auf dem Gebiete der weltlichen Beredsamkeit,
daß ich durch die Aufzeichnung der zwei kurzen Landtagsreden aus der Noth eine
Tugend machen mußte. Kollàrs Rede dagegen
glaube ich noch jetzt vor dem ihr gemachten Vorwurfe schützen zu müssen, da ein
auf anerkannt guten Eigenschaften und wirklichen Tugenden begründetes Lob der
eigenen Nation nur zur Stärkung und Erhebung des Gemüthes führen kann und auch
ein solches derartig gerechtes Selbstlob an keinem anderen Volke je getadelt
wurde.
Keine andere Auswahl war auch bei den dramatischen Proben möglich, da
bekanntlich allen besseren Arbeiten dieser Art stets ein Liebesmotiv zu Grunde
liegt, was doch von dem Buche fern gehalten werden mußte.
Slatoslav [sic!,
richtig Svatislav]3 ist freilich keine
klassische Arbeit, aber als Aushülfe, so lange nichts Besseres da ist, immer zu
brauchen. Eure Exzellenz wünschen auch die Namen Hus und Zižka aus dem
Lesebuche ganz ausgeschlossen zu sehen. Doch können meines Bedünkens diese Namen
eben so wenig in einer und wenn auch wie immer kurzgefaßten böhmischen
Litteraturgeschichte als in der Weltgeschichte stillschweigend übergangen
werden. Die wenigsten Proben, die ich excerpirte, ja stehen, wie ich hoffe, zu
der Religion in keiner Beziehung und wenn ich aus Hussens Schriften kaum 4 Seiten aufnahm, so ist das Beweis
genug, wie kurz ich über diese delikate Sache hinwegzukommen suchte. Eurer
Exzellenz kann es nicht entgangen sein, wie in unserm Jahrhundert diese Namen
nur dadurch bei Jung und Alt zu dem unverdienten Ansehen gelangten, weil man sie
unserm Volke auf jede mögliche Art zu verleiden suchte. Würde man in dieser
Weise auch fernerhin vorgehen, so würde das, was man bezwecken will, kaum
erreicht werden und man würde vielmehr der eigenen Absicht entgegen arbeiten.
Weist man aber diesen Namen den ihnen gebührenden Platz an, bestimmt wird auch
ihr Glanz verschwinden und die Menge wird sie für keine außergewöhnlichen
Erscheinungen mehr hinnehmen. Ich würde schließlich das Lied Obraz [?] kaum der
Erwähnung werth halten, knüpfte sich nicht daran eine Bemerkung, die ich nicht
unterdrücken kann. Ich gestehe es offen, ich habe das Gedicht und ein paar
Sonette, die in das erotische Gebiet hinüber streifen nicht ohne Absicht
gewählt, weil ich keinen hinlänglichen Grund sehe, warum man reiferen Jünglingen
auch ein und das andere Gedicht dieser Art vorenthalten sollte, sofern es nicht
gegen Anstand und Sittlichkeit verstößt und weil manche der besseren
ausländischen Lesebücher für höhere Bildungsanstalten dieselbe Methode befolgen.
Denn wollte man consequent sein, dürfte man keinen einzigen Dichter Schülern des
Obergymnasiums zur Lectüre anempfehlen. Wenn dann um dieselbe Zeit oder einige
Jahre darauf unsere Jünglinge verhalten werden, sich mit römischen Klassikern
vertraut zu machen, was hätte man erst hier zu besorgen und welche Scenen der
Verderbtheit und Unmoralität treten ihnen da vor die Augen! – Tupy’s Gedichte sind aber so geartet, daß ich
sie selbst als Vater jedem meiner Kinder in die Hand geben will, ohne den
mindesten Nachtheil daraus besorgen zu müssen. Auch der Vorwurf, ich hätte der
litterärischen Thätigkeit der Mährer und Slowaken zu wenig Rechnung getragen,
kann mich gar nicht treffen, da es wahrlich Niemandem mehr als eben mir recht
erwünscht gewesen wäre, von dieser Seite her eine reichere Ausbeute zu machen.
Das Lesebuch weist noch die Namen Žerotin, Komenský,
Palacký, Holý, Kolár, Šafařik,
noch andere, die einen festen Fuß in unserer Litterärgeschichte gefaßt hätten
oder deren Arbeiten für mein Lesebuch sprachlich und fachlich paßten, habe ich
nicht vorgefunden und (sehe ich mich vergebens um).
Sollte es dennoch Eure
Exzellenz als unabweisbar und durchaus nothwendig finden, daß von den mir
vorgehaltenen Änderungen und Weglassungen in keiner Weise abzugehen sei, so sehe
ich keine Möglichkeit vor mir in den so eng gezogenen Gränzen mich des hohen
Auftrags mit dem gehofften Erfolg entledigen zu können und wäre genöthigt von
der weiteren Umarbeitung des dritten Theils ganz abzustehen.
Höchstens wäre
es möglich, einen den ersteren zwei ähnlichen Band von lose zusammengetragenen
Lesestücken und ohne alle chronologische Verbindung zu Stande zu bringen, was
aber keineswegs das wäre, was ich anfänglich im Sinne trug und proponirte.
Indem ich der hochgeneigtesten Entschließung darüber entgegensehe, habe ich die Ehre mich mit tiefer Ehrfurcht zu zeichnen
Eurer Exzellenz
ergebenst unterthäniger
..
16. März 1851