Der nicht genannte Schreiber schildert seine Meinung zur Gründung und Zukunft der Zeitung „Morawské Nowiny“ („Mährische Zeitung“). Er war von Leo Thun aufgefordert worden, das im November 1848 neugegründete Blatt zu unterstützen. Er will dies gerne tun, sobald sich ihm Gelegenheit dazu bietet. Der Schreiber sieht in der Zeitung eine Möglichkeit, die gemäßigten nationalen Kräfte zu fördern und gegen die radikale Blätter aufzutreten. Allerdings bezweifelt er, dass der Chefredakteur Franz Klacél der richtige Mann für diese Aufgabe sei, außerdem seien seine politischen Ansichten zweifelhaft. Zudem glaubt der Schreiber, dass Klacél zu wenig Einfluss habe. Zum Beweis führt er einen Artikel desselben an. Schließlich betont der Schreiber, dass die Zeitung – soll ihre Existenz und ihr Einfluss gesichert werden – große finanzielle Unterstützung benötige. Außerdem sei es nötig, unverbrauchte Redakteure zu gewinnen. Die Strategie der Zeitung müsse sein, den Aufwiegelungen der radikalen Zeitungen eine gemäßigte Stimme entgegenzusetzen.
Ungezeichnete Abschrift eines Briefes ohne Absender und Adressat.
Euer Wohlgeboren!
Graf Leo Thun theilte mir unlängst
                           Ihr Schreiben an ihn mit und sandte mir das Nr. 1 des Morawské Nowiny und
                           forderte mich auf, die Sache zu fördern, wenn ich dazu Gelegenheit haben
                           sollte.
Allerdings habe ich jetzt noch wenig Gelegenheit dazu, glaube aber,
                           daß sich mir mit der Zeit mehr biethen wird, und will sie wenn und so oft sie
                           sich mir biethet, recht fleißig benützen. Zum Beweise hievon nehme ich mir die
                           Freiheit, wenn auch unbekannterweise, direct an Sie zu schreiben.
Was Sie
                           über die Rolle, welche Mähren in der
                           österreichischen Politik spielen könnte, sagen, ist vollkommen richtig; Mähren ist schon durch seine geographische Lage
                           zwischen Böhmen, der Slovakei und Schlesien vorzüglich dazu geeignet,
                           und wird keine Eifersucht erwecken. Es ist ferner richtig, wie das förderndste
                           Mittel hiezu eine Journalistik ist, in welcher das besonnene Verfolgen aller
                           jener nationellen Zwecke, welche mit dem wahren Wohle der Nation und – da dies
                           von dem Bestande Oesterreichs bedingt wird
                           – auch mit dem Bestande und der Kraft Oesterreichs vereinbar sind, vorherrschend ist.
                           Graf Thun hat ebenso recht, wenn er vor
                           allem wünscht, daß das Haupt der slavisch-nationellen Parthei in
                           Mähren sich durch irgendeine Manifestation den Rücktritt
                           von der Verfolgung obiger Tendenz unmöglich macht.
Ich glaube aber, daß sich
                           Thun sehr irrt, wenn er
                           Klácel für das Haupt dieser Parthei haltet, und glaube, daß auch Sie irren, wenn Sie
                           den Artikel „Učel a prostředky“ [Zweck und Mittel] als eine Bürgschaft nehmen,
                           daß Klácel Ihre obige Tendenz ehrlich
                           verfolgen wird, und wenn Sie die Fundamentspunkte dieser Tendenz, in diesem Aufsatze wiedergegeben finden. Der bewußte
                           Artikel ist ein confuses Gemisch von Hegelischer, Herbartianischer usw.
                           Philosophisterei, ist bitter gegen die anderen Nationalitäten, was die Einheit
                           und Kraft Oesterreichs und folglich auch das Wohl der
                           österreichischen Slaven nicht fördert, – und sagt
                           endlich in praktisch-politischer Hinsicht gar nichts
                              Anderes als: daß man an der Constitution vom 4. März festhalten solle:
                           Dies ist aber heute keine Concession mehr, welche die Ultra-Nationellen und
                           Demagogen der guten Sache machen, sondern es ist ihr eigener einziger Halt, und
                           deshalb finden Sie diesen selben Satz in allen oppositionellen und
                           Ultra-Blättern ebenfalls aufgestellt; ja, die deutschen Narodní Nowiny [Die
                           Nationalzeitung], welche sich auch „Union“ nennen, gehen in ihrer Nummer 29
                           bereits so weit, daß sie recht eindringlich davor warnen, von dem § 123 1 nur ja keinen Gebrauch zu machen. Das Nr. 12 der Narodní
                           Nowiny bringt einen Artikel aus den „Morawské Nowiny“ unter dem Titel „ex srdce
                           morawského“ [aus dem Herzen Mährens], welcher so vollkommen in das Horn des
                           Ultra-Čechismus in Böhmen bläst, daß dieser auf diese Art nicht isolirt werden wird. Rüksichtlich der
                           Politik hat nun Klácel nicht mehr
                           gethan als Hawliček, Pinkas, Palacký usw. und hinsichtlich der
                           Vertretung der Nationalität, scheint er mir mit der Parthei der Narodni Nowiny
                           durchaus Hand in Hand zu gehen; mit dem einzigen Unterschiede, daß er weint, wo
                           sie fluchen.
In welchem Ansehen Klácel in Mähren steht, und welchen Einfluß er
                           dort ausübt, weiß ich nicht; kann Sie aber versichern, daß beides, sein Ansehen
                           und sein Einfluß, in Böhmen sehr beschränkt ist, und weiß aus
                           ganz verläßlichen Quellen, daß es sich die Narodni Nowiny zum Grundsatze gemacht
                           haben, ihm insoweit entgegenzutreten, und gerade so viel lächerlich zu machen
                           und zu verdächtigen, daß sein Blatt nur jene geringe Verbreitung finde, die es
                           bis jetzt gefunden hat, diese Gränze der Anfeindung aber gewiß nicht zu
                           überschreiten, damit die Redaction dem Klácel nicht abgenommen werde, indem schwer ein Redakteur eines
                           offiziellen Organs gefunden werden dürfte, der die Narodni Nowiny theils direct
                           theils indirect so gut unterstützt, wie Klácel.
Soll also Ihr Plan in Ausführung kommen, so ist es
                           vor allem nöthig, um andere ausgiebigere Mittel, d. h. einerseits um Geld,
                           andererseits um neue noch unabgenützte Namen zu
                           sorgen. Sind diese Mittel zur Stelle geschafft und in dem Maße gesichert, daß
                           man 2-3 Jahre lang aushalten kann, dann ist es an der Zeit vorzutreten, und dann
                           werden die folgenden Jahre auch den Verlust der ersteren ersetzen, bis dorthin
                           aber glaube ich kaum, daß wir etwas anderes thun können, als den Vorpostenkrieg
                           fortzuführen, und den Feind sich selbst aufzehren zu lassen.
In
                           Prag haben diesen Vorpostenkrieg die Pražské Nowiny
                           bereits ernstlich begonnen und werden ihn hoffentlich ebenso fortsetzen. Der
                           Grundplan aller Operationen muß seyn: die Inconsequenzen der Ultra-Blätter jedesmal hervorzuheben, und dann jedesmal zu schließen, daß derjenige Volkslehrer, der so vorgeht,
                           entweder ein Betrüger, oder ein Unwissender, in jedem Falle aber zum Volkslehrer
                           nicht nur untauglich, sondern als solcher dem Volke selbst gefährlich ist. Ich
                           werde mir die Freiheit nehmen, Ihnen diejenigen Nummern der Pražské Nowiny,
                           welche vorzüglich in diesem Sinne vorgehen werden, seiner Zeit zu senden, wenn
                           Sie nicht anderweitig Gelegenheit haben, dieses Blatt zu lesen.
Ganz in
                           diesem Sinne sollten auch die Morawské Nowiny vorgehen, und außer ihnen die
                           Slowanské Nowiny in Wien; jedes Blatt der slavischen
                           Ultra-Presse überhaupt, vorzüglich aber jenem Blatte negirend entgegentretend,
                           welches an ihren eigenen Absatzorten am meisten gelesen wird. Daß nun Klácel so auftreten wolle, bezweifle ich und glaube selbst, daß er es nach seinem früheren
                           unbestimmten Verhalten gar nicht kann, wenn er auch
                           wollte. In dieser Behauptung bestättigt mich z. B. gleich wieder das Nr. 30 der
                           Union, welche ich gerade erhalte. Dieses Blatt erzählt, wie die Morawské Nowiny
                           eine lächerliche deutsche Einladung von Schneidergesellen als Beweis anführet
                           wie Mähren vorzüglich slavisch sey. Ich habe vor wenigen
                           Stunden den beiliegenden böhmischen Zettel erhalten, und kann Documente von
                           derartigem cechischen Styl und Orthographie zu Tausenden beibringen; und nicht
                           nur von einzelnen Personen, sondern auch von Cooperationen,
                           Stadtverordnetencollegien usw. die schwerer ins politische Gewicht gehen, als
                           die Holleschauer Schneiderzunft. Was
                           würde Herr Klácel sagen, wenn ich sie
                           in einem deutschen Blatte veröffentlichen und als Beweis anführen wollte, daß
                           diese Leute (die kein Wort deutsch verstehen) Deutsche seyn müssen und folglich
                           meine Gegend (die durchaus čechisch ist) eine deutsche seyn müsse, weil die Leute schlecht čechisch
                           schreiben?!
Verzeihen Sie, daß ich so aufrichtig mit Ihnen spreche, es
                           geschieht gewiß nur aus warmer Theilnahme für Ihren ebenso patriotischen als gut
                           basirten Plan. Ich habe aber seit 2 Jahren so viele, ebenso patriotische und
                           ebenso richtig combinirte Pläne daran scheitern sehen, daß man auch nicht
                           genügende Mittel ergriff, und glaube, daß es Ihnen ebenso ergehen wird, wenn Sie
                           Klácel hiezu verwenden oder
                           überhaupt damit vortreten wollen, bevor Sie sich tüchtiger Organe und tüchtiger
                           Geldkräfte versichert haben.
Ich erlaube mir ferner Ihnen bei dieser
                           Gelegenheit meinen Aufsatz „O rakouském Krajanstwí“ [Über die österreichische
                           Landsmannschaft] einzusenden, Sie ermächtigend, jeden Ihnen beliebigen und
                           passenden Gebrauch davon zu machen. Er dürfte Ihnen Gelegenheit biethen zu
                           erfahren, welche Gränzen Klácel seinen
                           nationellen Zwecken steckt. Dieser Aufsatz, welcher deutsch in der „Wage“
                           erschien, hat in Prag Aufsehen gemacht, wird aber von
                           allen demagogischen ultracentralistischen und nationellen Blättern, sowohl
                           čechischen als deutschen durchaus nicht besprochen, weil ihnen natürlich, dem
                           einen wie dem anderen, unendlich viel daran liegt, daß die österreichische
                           Landsmannschaft nicht geweckt werde.
Mich nochmals entschuldigend
Euer Wohlgeboren
ergebener Diener
Liblin, Post Rokycan, den 18. Jänner 1850