Der Historiker Albert Jäger informiert Leo Thun über die politische Gesinnung von Karl Stumpf. Der Minister hatte Albert Jäger um einige Informationen dazu gebeten, denn offenbar hatte es Zweifel an dessen Loyalität gegeben. Jäger versucht diese Zweifel bestmöglich zu zerstreuen. Zunächst teilt er dem Minister zwar mit, dass Stumpf während des Revolution des Jahres 1848 – damals noch als Student – eine feurige Rede in Olmütz gehalten hatte, er beschwichtigt aber gleichzeitig und rechnet das dem jugendlichen Eifer Stumpfs und dem Überschwange der Zeit zu. Seither habe sich Stumpf aber gemäßigt und mehrfach seine loyale Haltung bewiesen. Dies wurde auch vom ehemaligen Kreispräsidenten Hermann Pokorny bezeugt. Während seiner nachfolgenden Anstellung an der Universität und am Gymnasium in Olmütz hat er sich außerdem stets als treuer Anhänger und Verteidiger der katholischen Kirche erwiesen. Jäger führt dies insbesondere auch auf seine Erziehung im Hause von Baron Lilien zurück. Albert Jäger bürgt persönlich für Stumpf.
Euer Excellenz!
Euer Excellenz haben mich mit dem Auftrage beehrt, über die in Zweifel gezogene
politische und religiöse Gesinnung des Herrn Carl Stumpf Erhebungen zu
pflegen, welche positive Beweise für die Zuverläßigkeit seiner Gesinnung liefern
sollen. Ich freue mich in der angenehmen Lage zu sein, Euer Excellenz folgende
Thatsachen referiren zu können.
Stumpf hat allerdings im Jahre 1848 bei
Gelegenheit einer Fahnenübergabe in Olmütz
eine Rede gehalten, die nicht ganz frei von der damaligen Schwärmerei für das
Deutschthum war. Allein schon damals, ehe Euer Excellenz ihn als Supplenten in
Olmütz verwendeten oder
hierher nach Wien beriefen, sei die
Sache von dem ehemaligen Kreispräsidenten Pocorny untersucht und als völlig unerheblich erklärt worden,
was vermuthlich auch damals schon zur Kenntniß Euer Excellenz gelangte. Was aber
jede Beschuldigung gegen Stumpf entkräftet, ist der Umstand, daß dieser junge Mann gerade
dort, wo er diese Jugendlichkeit beging, also gerade in Olmütz, durch die Gnade Euer Excellenz zweimal Gelegenheit
bekam, eine Wirksamkeit zu entwickeln, welche ihn nicht nur von jedem Verdachte
reinigt, sondern ihm auch die Unterstützung und das Wohlwollen Euer Excellenz
erwarb, das war seine Wirksamkeit als Supplent am Gymnasium und voriges Jahr als
Supplent an der juridischen Facultät. In dem einen wie in dem andern Kreise
wirkte Stumpf in einem
solchen Geiste, der ihm die Achtung aller erwarb. Als Gymnasiallehrer hatte er
wiederholt Gelegenheit, Zweifel oder Äußerungen der Schüler in Betreff
biblischer oder kirchlicher Überlieferungen, in Betreff des Papstthumes etc. mit
dem strengsten Ernste und in streng kirchlichem Sinne zu lösen oder
zurückzuweisen. Als Supplent an der juridischen Facultät genoß er nicht nur die
Achtung seiner Collegen, sondern insbesondere die Achtung der theologischen
Professoren in hohem Grade, eben wegen seiner correcten Gesinnung. Er selbst
ging am liebsten mit diesen letzteren um, ja soweit ging sein Ernst, daß er
selbst Anfeindungen wegen des Ernstes seiner Gesinnung ausgesetzt war. Auch mit
den politischen Beamten in Olmütz,
besonders mit dem ehemaligen Kreispräsidenten Pocorny, stand Stumpf während seines vorjährigen Aufenthaltes daselbst im
freundlichsten Verkehre. Hatte also Stumpf im Jahre 1848 in
Olmütz eine Jugendlichkeit begangen –
er war damals, was Euer Excellenz gnädigst berücksichtigen wollen, Student der
Physik, jung, ein hervorragender Kopf, die ja alle damals Feuer fingen! – so hat
er später auf demselben Schauplatze Beweise einer soliden, loyalen, ihm die
allgemeine Achtung und vorzugsweise die Achtung derjenigen Männer erworben, in
deren Augen nur eine correkte Gesinnung Werth hat. Überdies zeigt sich dieser in
Olmütz bewiesene Rückschlag der
Gesinnung in der ganzen Richtung der Studien, welche Stumpf betreibt, für ihn hat
nur das Positive nicht das Negative ein Interesse: der Rückschlag muß durch den
Gang seiner Studien nothwendig noch größer werden. Dazu kommt noch, daß
Stumpf eine
Erziehung erhalten, die durch und durch religiös und von der loyalsten Gesinnung
geleitet war. Er ist der Pflegesohn des Baron
Lilien, der Staatsrath bei Fürst Metternich war. Dieser
übte den größten Einfluß auf seine erste Erziehung und Bildung, die nach seinen
Anordnungen eingerichtet wurde. Die Witwe Baronin
Lilien, eine strenge Katholikin, ehrt und liebt Stumpf wie ihren Sohn. Sie
vergöttert ihn beinahe gerade wegen seines religiösen Gemüthes.
Endlich wenn
Euer Excellenz auch mir erlauben ein Gewicht in die Schale zu legen, möchte ich
die unbedingte Bürgschaft für Stumpf übernehmen. Ich beschäftige mich bald 30 Jahre mit
Unterricht und Pädagogik; ich glaube mir einigen Takt im Fache der Erziehung
vielleicht mehr als in dem der Didactik zutrauen zu dürfen, es müßten mich alle
Erfahrungen und Beobachtungen täuschen, wenn ich mich an Stumpf irrte. Mir fällt ein,
was Stolberg von Bucholtz sagte, als er gefragt
wurde, ob man es wagen dürfe diesen auf die Universität Göttingen, wenn ich
nicht irre, zu schicken: „Wenn Bucholtz nicht geschickt werden soll, wer soll dann hingehen?“
Nach der Überzeugung, welche ich aus dem zweijährigen Umgange mit Stumpf gewonnen habe, glaube
ich die Versicherung abgeben zu können, daß Euer Excellenz die Sendung Stumpfs nach Berlin nie
bereuen werden.
Indem ich bei dem Drange von Geschäften, welche Euer
Excellenz so sehr in Anspruch nehmen, es indiscret fände durch mein persönliches
Erscheinen Euer Excellenz zu behelligen, erlaube ich mir noch die
ehrfurchtsvolle Bitte, den Ausdruck meines tiefgefühlten Dankes und meiner
unbegränzten Verehrung genehmigen zu wollen, mit welchem ich verharre
Euerer
Excellenz
unterhänigster Diener Albert Jäger
Wien, 6. Mai 1854