Separatvotum zur Bezirkseinteilung in Böhmen von Heinrich Clam-Martinic
Prag, März 1853
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Regest

Graf Heinrich Clam-Martinic legt in seiner Funktion als Mitglied der Kommission für die Neueinteilung der Bezirksgrenzen in Böhmen einen alternativen Entwurf für die Einteilung dieser Grenzen vor. Sein Entwurf nimmt die ehemaligen Dominiengrenzen zur Grundlage der Einteilung der Bezirke. Aus der Sicht von Clam-Martinic würde damit eine Grenzziehung ermöglicht, die historisch gewachsen ist und der damit auch nicht der revolutionäre Beigeschmack der derzeitigen Einteilung anhaften würde. Er glaubt, dass nur eine Einteilung von Verwaltungseinheiten, die auf historisch gewachsenen Traditionen fußen, eine gute und von der Bevölkerung anerkannte Verwaltung ermögliche und damit auch den Fortbestand der Monarchie sichern könne.

Anmerkungen zum Dokument

Gekürzt abgedruckt in: Ralph Melville, Adel und Revolution in Böhmen, Mainz 1998, S. 366–368.

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000B-D9B7-2

Schlagworte

Edierter Text

Votum separatum

In den Kommissionsberathungen über die Frage, auf welcher Grundlage die Bezirkseintheilung in Böhmen durchzuführen sei, habe ich im Wesentlichen nur dahin mich auszusprechen Gelegenheit gehabt, daß nach meiner Überzeugung durch die uns gegebene Instruktion in Entgegenhaltung zu den allerhöchst sanktionirten Grundzügen vom 31. December 18511 diese Frage darum keineswegs als prinzipiell gelöst zu betrachten sei, weil das Prinzip, nach welchem die in Aussicht gestellte besondere Stellung des großen, ehemals herrschaftlichen Grundbesitzes geregelt werden soll, nicht festgestellt erscheint oder wenigstens der Kommission nicht bekannt ist, und weil es jedenfalls im Bereiche der Möglichkeit liegt, daß diese Stellung eine solche werden soll, daß die Vereinigung der dermal zerrißenen frühern herrschaftlichen Besitzcomplexe in der untersten administrativen Eintheilung als ein nothwendiges Corrolar derselben, als eine Conditio sine qua non sich darstellen wird. Ich habe es eben deshalb für eine Pflicht der Kommission angesehen, sich in dieser wichtigen Frage Licht zu verschaffen, um nicht durch die neue Abgrenzung der Bezirke, also durch eine wesentlich administrative Maßregel der prinzipiellen Lösung einer in der höchsten Bedeutung des Wortes legislatorischen Frage vorzugreifen und derselben möglicherweise Hemmnisse in den Weg zu legen. Dieser Meinung ist die Kommission ihrer Mehrheit nach beigetreten. Ich habe den Entwurf einer Eintheilung, bei welcher die möglichste Beibehaltung der Dominiengrenzen als Grundsatz festgehalten wurde, ausgearbeitet und glaube durch denselben dargethan zu haben, daß sich der Durchführung dieses Prinzips keine unübersteiglichen Hindernisse in den Weg stellen; und ebenso wie ich anerkannt habe, daß vom bloßen Standpunkte der leichten und bequemen Administrirbarkeit die Beibehaltung der dermaligen Eintheilung mutatis mutandis den Vorzug verdiene, daß ferner durch das Verlassen dieser Eintheilung, soweit es durch die Rückkehr zu den Dominiengrenzen bedingt ist, für die Übergangsperiode wesentliche Schwierigkeiten erwachsen, ebenso habe ich behauptet und fühle mich verpflichtet, es zu verfechten, daß diese Schwierigkeiten sowohl als die einseitige Rücksicht auf die Bedürfnisse einer leichten und bequemen Administration oder eigentlich mehr der Bequemlichkeit der Administrirten jedenfalls sekundäre Motive sind, so lange es sich um eine der wichtigsten prinzipiellen Fragen handelt, und zwar schon aus der Rücksicht, weil die in der Übergangsperiode einen Zeitraum von jedenfalls begrenzter Dauer hervortretenden Übelstände durchaus nicht auf eine Linie gestellt werden können mit den in die Zukunft hinüberragenden Consequenzen des Prinzips der Organisation und weil anderseits durch den jahrhundertelangen Bestand der Dominieneintheilung der Beweis geliefert ist, daß mit derselben eine geregelte Administration durchaus nicht unvereinbar ist.
Über das Prinzip selbst sich auszusprechen, hielt ich nicht für die Aufgabe der Kommission; bei der Art und Weise aber, wie die Frage mit Bezug auf die Kommissionsarbeiten zum interimistischen Abschluße gediehen ist und zur Vorlage höchsten Orts gelangen soll, halte ich mich für berufen und verpflichtet, meiner bei den Kommissionsberathungen in formeller Beziehung ausgesprochenen Ansicht, in welcher Beziehung ich mich auf die in den Protokollen enthaltenen Äußerungen berufe, auch noch beizufügen, daß ich mich nach meiner innigsten Überzeugung unbedingt auch in prinzipieller Rücksicht für die möglichste Rückkehr zu der frühern Dominieneintheilung aussprechen muß. Ich bin fest überzeugt, daß die Frage der Stellung des herrschaftlichen Grundbesitzes von entscheidendem Einfluß auf die Vitalität und organische Begründung der neuen Einrichtungen ist.
In derselben liegt die Möglichkeit, aus der dermaligen, aus den revolutionären Umwälzungen hervorgegangenen und den Stämpel ihres Ursprungs tragenden innern Gliederung des Staates, welche eine wesentlich atomische und eben deshalb anorganische ist, zu einer auf neuen, den geänderten Verhältnissen entsprechenden organischen Verbänden berechnenden zu gelangen.
Dieser Möglichkeit eines organischen Bildungsprozesses nicht absolut hemmend in den Weg zu treten, scheint mir von so alles überwiegender Wichtigkeit, daß momentane und rein administrative Übelstände wohl jedenfalls in den Hintergrund treten müßten.
Solche Schwierigkeiten, und zwar in noch viel höherm Maße, wurden bei der Organisation im Jahre 1849–1850 ohne irgend eine Nothwendigkeit heraufbeschworen; sie sind überwunden worden; die Folgen des Prinzips dieser Organisation aber, die mannigfachen Consequenzen eines willkührlichen Zerschneidens und Zerreißens von historisch gewordenen Institutionen dauern fort als ebenso viele brennende Fragen, deren Lösung bisher nicht gelungen ist; eben so und noch leichter werden sich diese Übergangsschwierigkeiten dermal überwinden lassen, wo sie sich nicht als Folgen einer willkührlichen, nach der Schablone ausgearbeiteten Maßregel darstellen, sondern der Durchführung eines höhern Prinzips zum Opfer gebracht werden, jene brennenden Fragen aber werden auf dem einzig möglichen Wege ihrer naturgemäßen Lösung zugeführt.
Und selbst vom Standpunkte der Administration glaube ich, das Prinzip vertheidigen zu müssen.
Was die Wirksamkeit der neu errichteten untersten landesfürstlichen Ämter lähmte, was denselben in jeder Beziehung hemmend in den Weg trat, war eben der Mangel eines gesunden Organismus nach unten.
Die Erfahrung hat laut und unwiderleglich dafür gesprochen, daß die Communalen Institutionen, wie sie dermalen bestehen, keinen Grund gefaßt haben, daß sie den Bedürfnissen, thatsächlichen Verhältnissen und vorhandenen Elementen in keiner Weise entsprachen, daß die Organe der Gemeinden den Behörden von keiner Hülfe, daß sie diesen gegenüber in demselben Stande der Unmündigkeit, wie die einzelnen Individuen, sind, dieses Übel wird unverändert bleiben, mag das Gemeindegesetz noch so sehr umgeändert, der Wirkungskreis der Gemeindeorgane noch so sehr eingeschränkt werden. Durch eine solche durchgreifende Einschränkung werden nur die Angelegenheiten communaler und localer Natur in die Hände der Behörden gelegt, diese aber wieder nur einem vollends anorganischen Maße von zu administrirenden Atomen gegenüber gestellt.
Ob dieselben in einer solchen Stellung, möge ihr Wirkungskreis in territorialer Beziehung noch so unabgegränzt seyn, eine thatkräftige Wirksamkeit werden entfalten können, erscheint mir mehr als zweifelhaft und ich komme eben deshalb auf meine früher ausgesprochene Ansicht zurück, daß es gerade im nächsten Bedürfnisse der Administration liegt, durch die neue Organisation der Behörden, die Möglichkeit der Bildung organischer Verbände nicht nur nicht abzuschneiden, sondern vielmehr wie immer thunlich anzubahnen. Eine solche Möglichkeit liegt aber, da sie im comunalen Organismus nicht zu finden ist, nur in einer neben der Comune stehenden Institution und es stellt sich als eine solche, wenn auch in unbestimmten Umrissen, eben jene Stellung des großen Grundbesitzes dar. Daß ich von der Überzeugung durchdrungen bin, daß diese Stellung keineswegs auch im Entfernten auf den frühern Grundlagen, sondern nur auf neuen Basen begründet werden kann, welche den neuen Verhältnissen und den im Mittel liegenden Thatsachen, die die Continuität der historischen Entwicklung unterbrochen haben, entsprechen, glaube ich wohl kaum besonders aussprechen zu müssen. Meine Ansicht über die Art dieser Stellung niederzulegen, bin ich nicht berufen, möge sie aber in welcher Weise immer geregelt werden, so muß sie doch, um jenem oben erwähnten Bedürfnisse, jenem Berufe, den ich angedeutet habe, zu entsprechen, nicht bloß innerhalb der einzelnen Ortsgemeinde ihre Abgrenzung finden, sie muß sich auf den ein Ganzes bildenden ehemaligen herrschaftlichen Grundbesitz basiren, und eben deshalb ist die Vereinigung des Gebiethes in der untersten administrativen Eintheilung, wie ich es früher erwähnte, die conditio sine qua non einer solchen Institution.
Endlich muß ich mir noch erlauben, eine weitere gewichtige Rücksicht hervorzuheben.
Eine Gebietsabgrenzung vom bloßen Standpunkte der bequemen Administrirbarkeit oder, wie gesagt, eigentlich der Bequemlichkeit der zu Administrirenden, ist und bleibt eine willkührliche. Es ist eine faktische Unmöglichkeit, den Wünschen und Ansprüchen Aller gleichmäßig gerecht zu werden. Immer wird und muß es Gemeinden oder Individuen geben, deren Wünsche und Begehren nicht berücksichtigt werden können, schon darum, weil sehr oft, um denselben zu fügen, jenen andern Gemeinden oder Individuen entgegengetreten werden müßte. Und doch hätten bei dem zu Haupte gestellten Prinzip alle Ansprüche gleiches Recht auf Gewährung und es hätte eine solche Eintheilung nur dann eine innere Berechtigung, wenn sie allen gerechten Wünschen, allen wirklichen Interessen entsprächen, was nie und nimmer der Fall seyn kann, wenn auch davon abgesehen werden wollte, daß hiebei ein unendlicher Spielraum für die individuelle Auffassung, ja selbst für Willkühr geöffnet bleibt.
Anders ist es, wenn diese Eintheilung auf ein höheres Prinzip basirt, namentlich wenn sie auf eine historisch entwickelte Grundlage gebaut wird. Hier ist ein fester Maßstab, eine entschiedene Richtschnur geboten und die Prätensionen und Wünsche des Einzelnen treten vor der Authorität des Prinzips zurück.
Die Regierung ist jetzt, wo sie zu einer neuen Organisation schreitet, die sie aus freier Machtvollkommenheit, unbeirrt durch äußere Einwirkungen durchführt, noch in der glücklichen Lage, an eine historisch gewordene Grundlage anknüpfen zu können, welche der 3jährige Bestand einer gemachten Institution ganz zu brechen nicht vermochte. Es ist dies meiner Ansicht nach eine der glücklichsten Vorbedingungen für das große Werk, eines der günstigsten Auspicien für dessen Bestand und Lebensfähigkeit, eine Thatsache von um so größerem Werth, als sie, wenn nicht vorhanden, durch keine Macht geschaffen werden könnte; diese günstige Constellation aber jetzt, wo es noch Zeit ist, zu benützen und zu Gute zu machen, scheint mir von mehr Gewicht für die neue Organisation, als alle noch so vollkommen entworfenen Schemas und Schablonen und es drängt mich das Bewußtseyn meiner angelobten Pflicht, diese meine innerste Überzeugung ohne Rückhalt ehrfurchtsvoll auszusprechen.

Prag, am ... März 18532

Graf Clam-Martinitz mp