64 Thesen gegen die Kirchenbeschlüsse der Unkirchlichen in Ungarn
o. O., o. D. [1859/60?]1
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Das Dokument enthält 64 Thesen, in denen die Situation der Evangelischen Kirche in Ungarn aufgeworfen wird. Dabei werden insbesondere die lasche religiöse Haltung sowie der Nationalismus vieler Protestanten thematisiert. Ganz besonders wird aber die kirchliche Führung der Evangelischen Kirchen in Ungarn kritisiert und für eine Reform der Kirche plädiert.

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64 Thesen gegen die Kirchenbeschlüsse der Unkirchlichen in Ungarn

1. Thuet Buße! Bekehret Euch von Eurem religiösen Nihilismus zum Evangelium Jesu Christi; für dessen Tiefen die Meisten unter Euch nur ein spöttelndes Lächeln haben.
2. Lernet Geschichte und verfälschet sie nicht.
3. Euere Ahnen waren auch außerhalb der Convente evangelische Christen; sie hielten am Evangelio im Hause und vor der Welt; sie liebten die öffentlichen Gottesdienste und feierten das Gedächtnissmal des Todes Jesu Christi.
4. Sie opferten im Krieg ihr Blut, im Frieden ihr Gut für Glauben und Kirche.
5. Heut zu Tage heißt bei den Meisten von Euch "evangelisch" so viel als "ungläubig"; "protestantisch" so viel als "radical" und daß Ihr evangelisch seid, bekennet Ihr zweimal im Jahre, und zwar im Senioral- und im Districtualconvente.
6. Euere Conventsbeschlüsse vom 1. September sind der politische Antagonismus gegen das Tabaksmonopol, die Finanzwache und die Stämpelgebühr.
7. Wie heißen die zwei Todtengräber der evangelischen Kirche Ungarns? Engherziger Nationalismus und religiöser Nihilismus.
8. Der Ultramagyar lernt Nichts, vergißt Nichts und macht dadurch aus seinen aufopferndsten Freunden entschiedenste Gegner.
9. Gerechtigkeit aller Tugend Anfang!
10. Graf Stefan Szésenyi war somit der einzige Mann seines orientalischen Volksstammes, der Tugend zu üben angefangen hatte. Überdies ist er nicht blos ein Patriot, sondern auch Christ.
11. Hochmuth brachte Euch und das Land oft schon zum Falle.
12. Gott schütze uns vor der Tyrannei Euerer Freiheitstheorien.
13. Ihr predigt uns Demuth und Autonomie; damit Ihr selbst vor der Kirche keine Demuth und in ihr keine Autonomie, sondern Euer Commando geltend machet.
14. Kirche, als Kirche, als Anstalt zur Erlösung, Heiligung und Besserung, heißt bei Euch Pietismus.
15. Vom Theologen fordert man nicht, was einst Luther gefordert hat: christliche Gesinnung und Begeisterung, nur nationell soll er gesinnt sein.
16. Die evangelischen Geistlichen hat man immer nur insoweit geschätzt, tolerirt, inwiefern sie Euch gedient, gehuldigt haben. Aber:
17. Sie erwachen zum Bewußtsein.
18. Wir sind nicht Euere Diener, nicht Diener der Gemeinden, sondern des Königs der Wahrheit.
19. Wir dienen dem Weltheiland als seine Boten, um Euch zu verkündigen, was Er verkündigen würde, stände Er persönlich unter Euch.
20. Für diesen Dienst, für diese Arbeit an Euch, werden wir durch Euch erhalten.
21. Der Arbeiter aber ist seines Lohnes werth – und Ihr sollt dafür keinen Dank haben.
22. Die evangelischen Geistlichen Ungarns werden lieber den Bettelstab ergreifen als Menschenknechte sein.
23. Nur Wenige fürchten noch mehr Euch als Gott.
24. Unserer Geduld Faden reißt; die Ketten müssen fallen.
25. Kommt es zum Bruche, zur Trennung: auf Euer Haupt falle die Schuld, die Last der Verantwortung.
26. Der vormärzliche Zustand der evangelischen Kirche war die zweite Kreuzigung Christi.
27. Lieber gar keine Kirche als die Wiederherstellung dieser die Kirche und die Geistlichkeit entehrenden Zustände.
28. Ihr habt geherrscht, wir gearbeitet und gedarbt.
29. Ihr habt Alles überstürzt, die Kirche zum Tummelplatze nationeller Propaganda gemacht; und als der Zorn Gottes über dieses Land kam, mußten die Unschuldigen mit den Schuldigen leiden.
30. Dennoch lernet, dennoch vergesset Ihr Nichts.
31. Die größten Verfolgungen gegen die Evangelischen giengen vom Osten unseres Reiches aus und waren Wolken, die nach der Hauptstadt des Reiches zogen und von dort als Gewitterwolken zurückkehrten, um sich hier mit erschlichenen kaiserlichen Vollmachten zu entladen.
32. Das deutsche, echt deutsche Element war dem Protestantismus nie so feindlich wie das fanatische einheimische.
33. Kaiser Josef II. hat trotz der ungarischen Hierarchie das Toleranz-Edict octroyirt.
34. Kaiser Leopold II. hat trotz der ungarischen Stände den 26. Artikel oktroyirt.
35. Das Grundgesetz unserer kirchlichen Existenz ist somit ein königliches Geschenk.
36. Unsere Ahnen trugen zum Throne eine Dankadresse und begrüßten darin den Kaiser und König als die höchste Autorität der Kirche.
37. Warum schweigt jetzt Herr von Szontagh aus dem Theißer Districte, wo er doch noch vor Jahr und Tag gesprochen hat: Unsere Hauptaufgabe ist, um die Person des Kaisers uns zu scharen, damit Er sehe, daß wir seine Getreuesten sind?
38. Lüge ist's, daß zwischen dem Landesvater und den 3 Millionen evangelischen Volkes eine Scheidewand aufgestellt sei; das Pester Landseniorat ist nicht die 3 Millionen Volkes.
39. Die evangelische Kirche Ungarns muß an Haupt und Gliedern reformirt werden. Wir fordern:
40. Allgemeine Besteuerung aller Protestanten. Nicht der Bauer und Bürger allein soll die Kirche erhalten.
41. Parität in der Repräsentation der Kirche; es soll der weltliche Stand nicht vorherrschen in den Kirchenversammlungen.
42. Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Kirche.
43. Ordnung und Vollstreckungsrecht.
44. Trennung der Superintendentenwürde vom Pfarramte. Gewißenlos ist es, zu wünschen, daß man zweien Herren diene.
45. Matrimonialgerichte
46. Der Arbeit, dem Verdienste seine Krone. Zahlet die Vorgesetzten und Würdenträger Euerer Kirche, wie es der Verdienst und die Würde gebietet.
47. Heiliges Recht und Anwartschaft auf einen Theil des Staatsschatzes für evangelische Kirchen- und Schulzwecke.
48. Neue Eintheilung der Kirchensprengel.
49. Ausüben des Königlichen Oberaufsichtsrechtes weder durch Dicasterien noch durch ein Consistorium, sondern durch eine eigene evangelische Section beim hohen k.k. Cultusministerium.
50. Dank daher, nur von Bösen nicht gefühlter Dank unserem Monarchen, daß er diesen höchsten unserer Wünsche zuvorgekommen ist.
51. Dieses Alles um jeden Preis.
52. Wo möglich mit Euch, wo nicht, auch ohne Euch.
53. Christus hat nicht blos Frieden, Er hat auch das Schwert gebracht und wünschte, daß das Feuer seines Geistes je eher entbrenne.
54. Auch wir wollen Frieden, aber keinen Friedhofsfrieden.
55. Wir sind bereit auch zu leiden. Hat ja Christus mehr für uns gelitten.
56. Unsere bisherige Kirchenverfassung war eben so wenig apostolisch-evangelisch als die der Hochkirche in England.
57. Eueren Conventsbeschlüssen ist das Volk, der Kern der evangelischen Kirche, fremd.
58. Die neue Kirchenordnung vom 1. September ist mit zu rohen Händen angefaßt worden; das gebildete Europa hätte uns andere Manieren zugemuthet.
59. Die natürlichen Feinde der evangelischen Kirche lachen mit der Opposition und wir sollten weinen; daß wir aber mitlachen wird zu einer historischen Lächerlichkeit werden.
60. Freiheit haben wir genug in der Kirche, um christlich vernünftig zu leben; – möchten wir nur vernünftig und christlich genug leben, um wahrhaft frei zu sein.
61. Eine feste Burg ist unser Gott.
62. Ein Mann thut uns noth. – Luther!
63. Leset das 13. Capitel Let. Pauli an die Römer.
64. An diesen Thesen halten wir, ob die Welt voll Teufel wär'; so wahr uns Gott helfe. – Amen.