Ernst Moy de Sons an Leo Thun
Innsbruck, 06. Jänner 1855
|

Regest

Der Kirchenrechtler Ernst Moy de Sons äußert sich neuerlich zur Frage der Sprachenverwendung bei den Rigorosen. Zunächst bedankt er sich bei Leo Thun, dass dieser seine Kritik an der jüngsten Verordnung hierzu mit so viel Nachsicht aufgenommen habe. Moy räumt ein, dass er in mancher Hinsicht zu scharf geurteilt habe. Er steht jedoch zu seiner Ansicht, dass es an der Innsbrucker Universität möglich sein müsse, die italienischen Studenten in ihrer Muttersprache zu prüfen. Er versteht allerdings sehr wohl, dass nicht jedes Fach in beiden Sprachen gelehrt werden könne. Außerdem glaubt er, dass man mit aller Kraft verhindern müsse, dass die welschtiroler Studenten in Padua oder Pavia studierten, weil sie dort dem italienischen Nationalismus und zahlreichen Liederlichkeiten ausgesetzt wären. Daher sollte man sie in ihrem Heimatland zumindest bei den Prüfungen nicht sprachlich benachteiligen. Moy erneuert daher seine Bitte, dass die italienischen Studenten bei den Rigorosen auch auf Italienisch antworten dürfen.
Anschließend berichtet Moy über seine Lehrtätigkeit: Die Studenten – insbesondere die Welschtiroler – seien sehr fleißig und würden bei spontanen mündlichen Kolloquien durchwegs gut abschneiden. Er musste allerdings mehrfach mit Bedauern feststellen, dass die Studenten an den Fragen des Kirchenrechts wenig Interesse zeigten. Er ist außerdem entsetzt darüber, dass schon in den niederen Semestern die christliche Behandlung der Geschichte kritisiert werde. Aus diesem Grund hat er mit seinem Katholischen Verein einen Lesezirkel gegründet, in dem die aktuelle katholische Literatur vollständig vorhanden ist. Damit soll den Studenten verdeutlicht werden, dass auch Katholiken im Felde der Wissenschaft Großes leisten. Er ist sich des Spotts, den er dafür erntet, zwar gewiss, doch er erträgt diesen mit Gleichmut.

Anmerkungen zum Dokument

Schlagworte

Edierter Text

Hochgeborener Herr Graf!

Ich bin gerührt und beschämt, daß Euer Exzellenz meinen Brief so einläßlich und mit so gütiger Nachsicht zu beantworten geruthen. Es ist mir ganz recht geschehen, daß Euere Exzellenz die Lernfreiheit und die Gleichberechtigung der Sprachen, auf die ich mich berief, als Schlagwörter des Jahres 1848 zurückwiesen. Ich hätte mich dieser Ausdrücke gar nicht bedienen sollen, zumal ich doch nur etwas vertheidigen wollte, was Euer Exzellenz als an sich selbst richtig anerkennen, nämlich daß es im Ganzen nicht darauf ankommen dürfe, wo und wie ein Candidat die Kenntnisse sich verschafft hat, die er in einer Prüfung beurkunden soll, und daß in einem Lande, wo die Bevölkerung der Sprache nach in zwei fast gleiche Hälften getheilt ist, nicht die Sprache des einen Theiles in der Art bevorzugt werden soll, daß dem anderen Theile daraus ein wesentliches Hindernis seines Fortkommens erwachse. In dieser letzteren Beziehung erlaube ich mir nun – und ich hoffe damit nicht die Geduld Euer Exzellenz allzusehr zu mißbrauchen – die gehorsamste Bemerkung zu machen, daß die Universität Innsbruck bisher, wenn gleich an derselben nicht auch italienische Vorträge gehalten, doch so weit als Landesanstalt angesehen und behandelt worden ist, daß den Candidaten aus Wälschtirol die Möglichkeit gewährt seyn sollte, ihre Prüfungen daselbst in ihrer eigenen Sprache abzulegen. An und für sich läßt sich auch kein Grund denken, warum das, was ihnen in Ansehung der Staatsprüfungen gewährt ist, nicht auch bezüglich der Rigorosen stattfinden sollte. Gestatten auch die Mittel nicht, die Lehrfächer doppelt, mit Italienern und Deutschen zu besetzen, so spricht doch die Billigkeit dafür, daß man wenigstens bei den Prüfungen die Candidaten wälscher Zunge nicht in deteriorem conditionem gegenüber ihren deutschen Landsleuten versetze, zumal die Kosten der Lehranstalt zum Theil aus Landesmitteln und Stiftungen bestritten werden. Es gibt viele erhebliche Gründe, nebst dem des Erlernens der deutschen Sprache, welche es den Wälschtirolern wünschenswerth machen können, ihre Söhne an der eigenen Landesanstalt studiren zu lassen, namentlich die zahlreichen Familien- und anderen Verbindungen, welche es ihnen in der Landeshauptstadt möglich machen, sie hier sicherer und unter besserer Aufsicht unterzubringen, dann die Absicht, sie vor dem Contagium der Italianità und der Lüderlichkeit zu bewahren, die notorisch in Padua und Pavia unter den Studierenden herrscht. Es scheint mir daher, daß ihnen ein schmerzliches und nicht billiges Opfer auferlegt werde, wenn die Benützung der Landesuniversität von dem Erfolg des deutschen Sprachstudiums in der Art abhängig gemacht wird, daß ihre Söhne auch bei den Prüfungen in deutscher Sprache zu antworten im Stande seyen, ohne sich durch den Gebrauch dieser ihnen fremden Sprache bedeutend gehindert und im Vergleiche mit den deutschen Candidaten benachtheiligt zu fühlen. Für die examinirenden Professoren hingegen erwächst daraus doch keine wesentliche Schwierigkeit; denn unter den höher Gebildeten, namentlich in Deutschland, gibt es wenige, denen die italienische Sprache gänzlich fremd wäre, und bei einigem guten Willen ist es mit Hilfe des Lateinischen wahrlich nicht schwer, es in Kurzem wenigstens bis zum Verstehen des Italienischen zu bringen. Vermag aber selbst das Interesse, an allen Prüfungen Antheil nehmen zu können, bei dem einen oder anderen Professor nicht, ihn zur Überwindung dieser kleinen Schwierigkeit zu bewegen, so kann doch leicht dafür gesorgt werden, daß nichts desto weniger bei den Prüfungen der Italiener sämmtliche Fächer von des Italienischen kundigen Examinatoren vertreten seyen, und dann ist der Ausschluß – die Dispensation – einzelner Professoren von diesen Prüfungen keine allzuaufallende und etwa nicht zu duldende Abnormität, da ja auch an den Universitäten in Deutschland nur die Facultätsmitglieder bei den Rigorosen prüfen, bei weitem aber nicht überall alle Professoren auch Facultätsmitglieder sind.
Aus diesen Gründen möchte ich, trotz des überzeugenden Gewichtes der von Euer Exzellenz mit so großer Güte auseinandergesetzten Beweggründen, doch es immerhin befürworten, daß es bei der jetzt eingeführten Ordnung, daß nämlich bei den Prüfungen der italienischen Zöglinge unserer Universität die Examinatoren deutsch zu fragen haben, dem Candidaten jedoch auf italienisch zu antworten vergönnt ist, sein Bewenden habe.
Sollten übrigens Euer Exzellenz finden, daß ich mich der italienischen Studenten allzueifrig annehme, so will ich nicht läugnen, daß ich für dieselben eine gewiße Vorliebe habe, weil sie bei weitem die talentvollsten und bei mir sehr fleißig sind, auch in der Regel, namentlich aus dem Kirchenrecht sehr gute Prüfungen machen. Ich muß übrigens der Mehrzahl der Studierenden nachrühmen, daß sie meine Vorträge mit großem Eifer und sehr befriedigendem Erfolg besuchen.
Die Colloquien, die ich von Zeit, stets unangekündigt und unverhofft mit ihnen halte, gewähren mir in dieser Hinsicht eine tröstliche Beruhigung. Doch darf ich eine traurige Wahrnehmung dabei nicht unterdrücken. Ich halte beide Vorträge, über Kirchenrecht und Rechtsgeschichte, mit gleichem Eifer und Fleiß, stets ohne Heft, ganz frei und möglichst lebendig. Wenn ich aber aus dem Kirchenrecht collegisire, bekomme ich oft nur sehr unbefriedigende Antworten, während die Antworten aus der Rechtsgeschichte durchweg von treuer und lebendiger Auffassung des Gegenstandes Zeugnis geben. Das läßt sich wohl nur aus der geringeren Neigung erklären, welche für kirchliche Gegenstände bei den jungen Leuten zu finden ist. Auch ist mir schon zu Ohren gekommen, daß manche an meiner christlichen Auffassung in Behandlung der Geschichte Anstoß nehmen – junge Leute, die eben erst aus dem Gymnasium kommen! Sie haben schon Vorurtheile! Um diese Vorurtheile zu bekämpfen, habe ich jetzt als Vorstand des katholischen Vereines einen Lesecirkel eröffnet, wo die katholische periodische Literatur möglichst vollständig zu finden ist und die Leute sich überzeugen können, wie ungegründet die Meinung ist, als ob die Katholiken an wissenschaftlicher Thätigkeit und Tüchtigkeit hinter ihren Gegnern zurückstünden. Dieser Lesecirkel ist durch die Spenden einiger Wohlgesinnten besonders ärmeren Studenten zugänglich gemacht worden.
Mögen immerhin über meine „mystischen Tendenzen“ manche die Achseln zucken; sie tragen ihren Lohn in sich selbst und finden da und dort eine Anerkennung, die reichlich entschädigt für den Spott der Weltweisen.
Daß Euer Exzellenz nicht Muße finden würden, mein Buch zu lesen, darauf war ich leider gefasst. Euer Exzellenz brauchen es aber auch nicht; die Gesinnung, die es zu nähren und zu befestigen bestimmt ist, die ist ja in Ihnen durch und durch lebendig. Darum freue ich mich, unter Euer Exzellenz Leitung zu stehen und lege aus der Fülle des Herzens hier die Versicherung der tiefen Verehrung nieder, womit ich verharre

Euer Exzellenz
unterthänigster Diener
Frh. v. Moy de Sons
Professor

Innsbruck den 6. Jänner 1855