Andreas Wilhelm an Leo Thun
Krakau, 15. September 1855
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Regest

Schulrat Andreas Wilhelm berichtet Leo Thun, dass die in einem anonymen Schreiben dargestellte Situation am Teschener Gymnasium großteils der Realität entspreche. Viele der angeprangerten Taten seien zudem Stadtgespräch und blieben daher auch den Schülern nicht verborgen, so dass der moralische Einfluss der Lehrer auf die Schüler ein zweifelhafter sein müsse. Der verstorbene Fürstbischof Diepenbrock hatte zudem einige der Vergehen untersuchen lassen, ohne dass jedoch die Missstände behoben werden konnten. Ausführlicher geht Wilhelm auf die Affären des geistlichen Schuldirektors Philipp Gabriel und die schlechten Eigenschaften des bischöflichen Kommissärs Joseph Paduch ein. Wilhelm empfiehlt, den Direktor der Schule ehest möglich zu versetzen. Er will die Lage an der Schule weiter beobachten und Thun darüber informieren.

Anmerkungen zum Dokument

Schlagworte

Edierter Text

Eure Excellenz!

Dem durch den Herrn Ministerialsecretär Rudolf Kink erhaltenen hohen Auftrage entsprechend habe ich über das die sittlichen Verhältnisse in Teschen betreffende anonyme Schreiben1, das ich gleichzeitig an den Herrn Ministerialsecretär zurückstelle, nachstehendes in Gehorsam zu berichten.
Alle Angaben in dem Schreiben sind mir teils als wahr teils als Stadtgerede bekannt.
Was über Janota angeführt wird, ist richtig. In Krakau ist mir über ihn bisher nichts nachteiliges bekannt geworden.
Das Gerede über Danel scheint auf einen geringen Kreis beschränkt geblieben zu sein; nach seiner Aufnahme in das philologische Seminar und seit seiner Rückkehr war nichts mehr zu hören.
Daß der Vorfall mit Bitta sich zugetragen habe, wurde vor ungefähr 2 ½ Jahren nicht nur in Teschen offen und mit allgemeiner Entrüstung, sondern selbst in Troppau erzählt. Es hieß auch, der selige Cardinal habe eine Untersuchung deswegen angeordnet; aber man habe die Sache zu begleichen gewußt. Seitdem verlautete nichts über Bitta; aber vergessen ist das Geschehene noch nicht; denn die Erinnerung daran, so wie an ähnliche Vorfälle oder Beschuldigungen in betreff anderer Personen, die sich nicht rein zu erhalten wußten, wird bei gewissen Anläßen wieder wach gerufen. Solche Anläße ergaben sich im Schuljahre 1855, da der bischöfliche Commissär Josef Paduch, so viel mir zu Gehör kam, zweimal in die Lage versetzt wurde, in der von dem Schreiben bezeichneten Richtung drohende Klagen durch Geld beschwichtigen zu müssen.
Gabriel hatte der Person, von der man in Teschen so spricht, wie das Schreiben andeutet, anfangs ihre Wohnung neben der seinigen im ersten Stocke angewiesen. Man erzählte mir, er habe in ihrer Begleitung in den besseren Häusern Besuche gemacht und sich dann übel darüber geäußert, daß ihm die Besuche nur von den Männern, nicht auch von den Frauen derselben erwidert wurden. Auch habe sie sich an einigen Orten Frau Directorin titulieren lassen. Seit ungefähr 3 Jahren wohnt sie im Erdgeschoße; man sagt, Gabriel habe ihr dort ihre Wohnung deswegen angewiesen, weil ihm zu Gehör gekommen sei, daß die Bürger von Teschen über sein nahes Verhältnis mit ihr misliebige Äußerungen hätten laut werden lassen. Vor mir erwähnte er nur einmal so viel, daß er eine weibliche Person zur Führung der Hauswirtschaft nicht entbehren könne, so gern er jeden Schein vermeiden möchte, der Misdeutung zulasse.
Daß das Gerede über alle genannten Personen seinen Grund habe, davon bin ich bei mir selbst überzeugt; beweisen aber könnte ich es nicht.
Der Jugend können die offenkundigen Erscheinungen natürlich nicht verborgen bleiben; ja sie kennt die Verhältnisse viel genauer als das Gerede dieselben bezeichnet, und man darf sicher sein, daß moralische Gebrechen ihrer Lehrer, wenn auch geheim gehalten, ihr selten entgehen. Man will einige Male die Namen Gabriel und Sniehota neben einander an den Wänden im Schulgebäude geschrieben gefunden haben.
In dem äußeren Verhalten der Jugend ist nichts tadelnswertes wahrzunehmen; ob aber echt religiöser Sinn unter solchen Verhältnissen sich rein und unverdorben erhalten könne, und dem äußeren Verhalten überall das Innere entspricht, möchte wol zu bezweifeln sein.
Von dem Dechant Paduch ist es gewiß, daß sein Ruf ihn für das ihm in Bezug auf das Gymnasium übertragene Amt nicht geeignet erscheinen läßt. Auch heißt es, er komme in das Gymnasium nur, um zu schlafen; wie er denn auch einmal in der Mädchenschule neben mir auf seinem Stuhle eingeschlafen war.
An dem bisherigen Einfluße der Geistlichkeit auf das katholische Gymnasium in Teschen ist überhaupt so viel bekannt: daß sie sich auf denselben viel zu gute thut, ihre Thätigkeit bei dem Herrn Bischofe möglichst in das beste Licht setzt und dabei nicht versäumt, auch die Notwendigkeit der Besetzung des ganzen Gymnasiums mit geistlichen Lehrern aus religiösen Rücksichten hinzuweisen; daß aber ihre Thätigkeit meist auf äußeren Schein abzielt.
Wenn ich nun auch in Betreff der nächsten Zukunft des Gymnasiums meine Ansicht aussprechen darf, so wäre es diese: daß ich meine, Gabriel wäre bei Gelegenheit an ein anderes Gymnasium zu versetzen, auch deswegen, weil er unter den Verhältnissen in Teschen kaum je der Versuchung wird widerstehen können, für seine persönlichen Zwecke bei dem Herrn Bischofe und dessen Generalvicar in einer Weise thätig zu sein, welche für das Gymnasium nicht heilsam ist. Im Laufe des Schuljahres 1856 würde sich vielleicht, zugleich mit Rücksicht auf die Oberleitung des Chelesta’schen Convictes, ein Nachfolger für ihn finden lassen.
Ob auch Bitta zu versetzen wäre, wage ich nicht zu sagen. Sein Ruf hat jedenfalls gelitten; ich werde mir bei der nächsten Visitation vorsichtige Nachforschung angelegen sein lassen, und Eurer Excellenz das Resultat zu berichten nicht verabsäumen; so wie ich bei meiner nächsten Anwesenheit in Troppau dem Herrn Landespräsidenten den Wunsch Eurer Excellenz in Betreff von seiner Seite zu machender Mitteilungen kund zu thun nicht unterlassen werde.
Ich geharre mit dem Ausdrucke der tiefsten Verehrung

Eurer Excellenz unterthänigster Diener
Andreas Wilhelm

Krakau 15. September 1855