Eigenhändiger Entwurf von Leo Thun für sein Votum in der Ministerkonferenz zur Frage der Gewerbeordnung
o. O., o. D. [1854–1855] 1
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Regest

Leo Thun äußert sich zum Entwurf einer neuen Gewerbeordnung. Thun erkennt den grundsätzlichen Willen an, den Gewerbetreibenden größere Freiheiten zu gewähren. Er ist überzeugt davon, dass dies zu mehr Konkurrenz führen werde, was wiederum sicherstellen sollte, dass eine befürchtete Verschlechterung der erzeugten Produkte nicht stattfinden werde. Außerdem glaubt er, dass durch ein vereinfachtes Verfahren zur Anmeldung eines Gewerbes die öffentliche Verwaltung entlastet werden wird. Thun ist aber gegen eine vollkommene Liberalisierung, er möchte die Bedingungen zur Zulassung zu einem Gewerbe aber vereinfachen. Gleichzeitig ist Thun dafür, dass man möglichst an bestehende Regelungen anknüpft und nur dort vollkommen neue Regelungen findet, wo das Bedürfnis dafür bestehe.

Anmerkungen zum Dokument

Der letzte Teil des Konzepts fehlt.

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000B-D9B5-4

Schlagworte

Edierter Text

Sogleich zu meinem Gebrauch in der heutigen Minister Conferenz abzuschreiben und mir dahin zu schicken. Thun.2

Bereitwillig erkenne ich an, daß der vorliegende Gesetzentwurf nicht nur in Beziehung auf Klarheit der Redakzion, sondern auch bezüglich der darin enthaltenen Ideen große Anerkennung verdient.
Insbesondere halte ich die Idee für eine sehr glückliche an die Stelle der bisherigen, sehr verkommenen Innungen einen entwicklungsfähigen genossenschaftlichen Verband, – obligatorisch und mit Autorität, das ist mit den nothwendigen Eigenschaften jeder sozial-politischen Instituzion versehen – zu setzen.
Eben so freudig begrüße ich das Bestreben die Kluft zwischen Handwerk und fabrikmäßigem Gewerbsbetriebe, welche die soziale <Bedeutung der Innungen zerstört> 3, zu beseitigen.
Ebenso bereitwillig erkenne ich auch die Nothwendigkeit an, dem Gewerbsbetriebe eine größere Freiheit der Bewegung zu gewähren, als sie bisher bezüglich der zünftigen Gewerbe bei uns besteht. Als unerlässliche Forderung erscheint mir in dieser Beziehung der in § 45 ausgesprochene Grundsatz, daß jeder Gewerbtreibende alle zur vollkommenen Herstellung seiner Erzeugnisse nöthigen Arbeiten zu vereinigen befugt ist. Wird das zugestanden, so ist für Gesellen und Meister der unbehinderte Übergang von einem Gewerbe zu einem anderen, das eine oder andere mag bisher zünftig oder frei gewesen sein, unerläßlich, die Aufrechthaltung der dermal bestehenden Eintheilung und Unterscheidung der zünftigen Gewerbe, welche überdies ohnehin großentheils ganz unverständig ist, <eben so wie> 4 die strenge Scheidung der bisher zünftigen von den freien Gewerben, ganz unmöglich. Damit <fällt auch die Grundlage der bisherigen Vorschriften über den Antritt zünftiger Gewerbe zusammen.> 5
An die Stelle derselben setzt der Gesetzentwurf die unbedingte Freiheit des Antrittes.
Ich gebe zu, daß irgend welche Beschränkung derselben im Interesse des Publikums nicht nothwendig ist. Wer gute Waren finden will, ist auch jetzt der Mühe nicht enthoben, den zu suchen, der sie verfertigt und es ist wahrlich kein Grund vorhanden ihn dieser Mühe entheben zu wollen. Er wird auch ohne Zweifel die guten Waren um so leichter finden, je mehr Spielraum der Konkurrenz der Erzeuger gewährt ist.
Verstand verletzenden Meinung Anlaß zu geben, die Regierung lege auf die ordentliche Erlernung gar keinen Werth und halte jeden hergelaufenen Schwindler für eben so berücksichtigungswerth 6 als den soliden Meister und Gesellen. 7
Ich würde wünschen, daß die Gewerbeordnung statt alle mögliche gewerbliche Thätigkeit in durchaus gemeinsamen §§ zu behandeln, weshalb dabei selbst von dem hergebrachten Sprachgebrauch abgesehen werden muß, die Verschiedenheit der Aufgabe ersichtlich machte, welche einerseits bezüglich der bisher zünftigen und andererseits bezüglich der schon jetzt freien Gewerbe zu lösen ist, es handelt sich darum diesen eine soziale Organisazion zu geben, jene von beengenden Schranken zu befreien. In letzterer Beziehung dürften im Wesentlichen folgende Bestimmungen genügen:
Ein bisher zünftiges Gewerbe darf in Zukunft selbstständig betreiben:
Über bloßen Ausweis bei der Ortsbehörde
1) Jeder, der Geselle dieser oder eines verwandten Gewerbes geworden ist und als solcher durch wenigstens 2 Jahre gearbeitet hat.
Ein Geselle wird auch in Zukunft durch die Innung freigesprochen, wer entweder als Lehrling durch wenigstens 3 Jahre das Gewerbe erlernt oder durch 3 Jahre als Gehilfe in demselben gearbeitet hat, in beiden Fällen nach Erprobung seiner Befähigung.
Der Geselle hat Anspruch auf die Fürsorge, welche die Innung für das materielle Wohl der Gesellen durch Gesellenkassen, Krankverpflegung und drgl. trifft, ferner auch die Wahl zum Vertreter in Streitsachen (§ 121).
Wer in einer Innung Geselle geworden ist, muß in jeder anderen Innung als Geselle anerkannt werden, sobald er bei einem Glied derselben als Gehülfe in Arbeit steht.
2) Wenn ein Verwandtes bisher freies Gewerbe durch wenigstens drei Jahre selbständig und aufrecht betrieben oder in einem solchen durch wenigstens 6 Jahre als Gehilfe gearbeitet hat.
3) Wer sich durch höhere Bildung zur Leitung der beabsichtigten Gewerbsunternehmung die Befähigung erworben hat. Hierüber hat die politische Landesstelle nach Einvernehmung der Innung und der Handels- und Gewerbekammer zu entscheiden.
So schwankend diese Bestimmung ist, so dürfte sie doch keineswegs in der Ausführung besonderen Schwierigkeiten unterliegen, denn sie ist nichts als das Analoge der bisherigen Konzession zu fabriksmäßigen Gewerbeunternehmungen und unterscheidet sich davon nur dadurch, daß diese Unternehmungen künftig in den Innungsverband einbezogen werden.
Wenn sich unter den bisher freien Gewerben Genossenschaften bilden, so steht es ihnen frei durch ihre Statuten die voranstehenden Bestimmungen über das Gesellenwesen ebenfalls zur Geltung zu bringen. Es versteht sich von selbst, daß sodann auf die Gesellen ihres Gewerbes alles Anwendung findet, was aber über die Berechtigung zum selbstständigen Betreiben der bisher zünftigen Gewerbe so wie über den Übertritt der Gesellen in dieselben gesagt ist.

Ich glaube nicht, daß durch diese Bestimmungen die Freiheit des Gewerbetreibens, die die vorliegende Gewerbeordnung anstrebt, wesentlich beengt, und also in Beziehung auf die Belebung der industriellen Thätigkeit und die Konkurrenz im Gewerbe ein sehr verschiedenes Resultat erreicht wird.
Dieser Umstand kann nun allerdings auch gegen meinen Vorschlag geltend gemacht werden, zumal ich unbedingt zugeben muß, daß der Entwurf des Herrn Handelsministers in Beziehung auf Geschäftsverminderung der Behörden und Einfachheit des Gesetzes entschieden den Vorzug hat.
Allein dem offenbaren Schwindel und der cynischen Ausbeutung des soliden Handwerkers durch bloße Spekulanten, welche auch der Herr Handelsminister sicherlich nicht als etwas an sich gutes, sondern höchstens als etwas betrachten dürfte, was ohne größeren Nachtheil zu erzeugen nicht fern gehalten werden könne, würde dadurch doch einigermaßen und wie ich glaube, ohne Nachtheil für die Industrie vorgebeugt werden. Das dürfte unbestreitbar sein, wenn man sich veranschaulicht, in welcher Weise sich die Juden den einen und en anderen Vorschlag zu Nutzen machen würden.
Abgesehen hiervon sind die Motive meiner abweichenden Meinung allerdings nicht auf dem Gebiethe der Gewerbepolizei, sondern in den Eingangs erwähnten Betrachtungen zu finden, die sich auf den moralischen Eindruck des Gesetzes beziehen.
Ich bin auch damit einverstanden, daß denjenigen die ein Gewerbe betreiben, nicht die Macht eingeräumt sein soll, jemanden nur deshalb davon auszuschließen, um ihn nicht an ihrem Erwerbe Theil nehmen zu lassen, daß vielmehr jedem erlaubt sein soll, seinen redlichen Erwerb durch die Erzeugung dessen zu gewinnen, was er herzustellen vermag.
Ich gebe endlich zu, daß diese zugestandenen Sätze ihre konsequenteste Durchsetzung nur in dem Systeme der Gewerbsgesetzgebung finden, welches der Herr Handelsminister vorschlägt.
Allein so nothwendig es ist, daß bei jeder legislativen Arbeit ein theoretisch wichtiges System vorschwebe, welchem die leitenden Gedanken entnommen sind, so bin ich doch nicht der Meinung, daß die Aufgabe der Legislazion mit der Aufstellung eines theoretisch richtigen Systems zusammenfalle.
Nach meiner Überzeugung ist die vorliegende Gewerbeordnung zu abstrakt. Für die Theorie ist es ein Verdienst, an die Stelle einer Begriffsverweisung ein neues konsequentes System zu setzen. In der praktischen Legislazion halte ich es immer für wünschenswerth nicht etwas ganz Neues zu schaffen, sondern an das bestehende anzuknüpfen und es nur in so weit zu verbessern als es nothwendig ist, um anerkannten Bedürfnissen zu genügen, in der Sache und in Ausdrücken aber beizubehalten, was ohne Nachtheil beibehalten werden kann.
Muß selbst soviel geändert werden, daß der Zustand jedenfalls ein wesentlich neuer wird, so ist es doch ein moralischer Gewinn, daß der neue Zustand sich nur als eine Reform ankündige.
Das Neue findet so leichteren Eingang und es reizt weniger auf der einen Seite zur Unzufriedenheit auf der anderen zur Überhebung, und zerstört nicht die Achtung, die in allen Dingen dem bestehenden in so weit gezollt werden soll, als nicht seine Unhaltbarkeit nachgewiesen ist.
Das zünftige Gewerbswesen ist auf die regelmäßige Erlernung gegründet. Das ist an sich etwas ganz Vernünftiges. Auch bei voller Gewerbefreiheit wird es die Regel bleiben. Eben deshalb ist es eben auch ohne Nachtheil, es gesetzlich auszusprechen, und nicht zu dem für den jetzigen, nach den Zunftregeln herangebildeten Handwerker 8